Kommentar zur Spahn-Debatte

Gabriel rüffelt Spahn und klagt eigene Versäumnisse an

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Berlin -

Er war knapp acht Jahre lang SPD-Chef, vier Jahre Ministerpräsident von Niedersachsen, vier Jahre Bundesumwelt-, drei Jahre Bundeswirtschafts- und ein Jahr Außenminister und Vize-Kanzler. Eigentlich hatte Sigmar Gabriel ausreichend Gelegenheit, sich um die Sorgen der Menschen zu kümmern. Nachdem ihn die SPD vom Hof gejagt hat, fällt dem „einfachen“ SPD-Abgeordneten auf, dass sich die Politik zu weit von der Lebenswirklichkeit der Menschen entfernt hat. Am Rande spielen in Gabriels Analyse auch die Apotheken mit. Das hätte Gabriel persönlich verhindern können, kommentiert Lothar Klein.

Dass Gabriel auf die Arzneimittelversorgung zu sprechen kommt, ist insofern überraschend, als er vor einem Jahr als Noch-SPD-Chef dabei mithalf, das politische Herzensanliegen der Apotheker, das Rx-Versandverbot als Antwort auf das EuGH-Urteil, zu blockieren. Als Wirtschaftsminister verhinderte Gabriel einen Konsens über den Gesetzesvorschlag von Ex-Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU). In der SPD wehrte Gabriel die Versuche der SPD-regierten Länder ab, die im Bundesrat erfolgte Zustimmung zum Rx-Versandhandelsverbot auch in der SPD-Bundespartei durchzusetzen.

Der Ausgang ist bekannt: Am Ende setzte sich die SPD-Bundestagsfraktion mit der Mehrheit von Parteilinker und Seeheimer Kreis gegen das Rx-Versandverbot durch – womöglich auch deshalb, weil Gabriel bei den Abgeordneten wegen seiner politischen Alleingänge keinen Rückhalt genoss.

Als Abgeordneter sucht Gabriel jetzt über den Berliner Tagesspiegel die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und räsoniert über das Versagen des Staates in der Daseinsvorsorge am Beispiel Vielerorts fehlender Infrastruktur. Hier kommen dann im Nebensatz als Aufzählung auch die Apotheken vor: „Wenn 20 Prozent der deutschen Gemeinden weder eine Schule, einen Hausarzt, eine Apotheke noch einen Laden oder auch nur eine Bushaltestelle haben, dann gehört das für die dort lebenden Menschen auch zum ‚Staatsversagen‘“. Da kann man Gabriel nur zustimmen.

Gemeint ist das aber als Antwort auf die von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (SPD) provozierte Debatte zur inneren Sicherheit und dem Kontrollverlust des Staates. In einem Gastbeitrag für den „Tagesspiegel“ schrieb Sigmar Gabriel über das „Schließen der Augen vor unbequemen Realitäten“, dem sich der größte Teil der politischen Eliten im Land lange Zeit schuldig gemacht habe: „Unsere Kinder gehen zumeist nicht in Kitas und Schulen mit mehr als 80 Prozent Migrantenanteil, wir gehen nicht nachts über unbewachte Plätze oder sind auf überfüllte öffentliche Verkehrsmittel angewiesen, leben nicht in der Rigaer Straße in Berlin und wenn wir zum Arzt gehen, bekommen wir schnell Termine und Chefarztbehandlung selbst dann, wenn wir Kassenpatienten sind“, so Gabriel.

Nun sagt der Volksmund ja, dass Einsicht der erste Schritt zur Besserung sei. Bei Gabriel kommt die Erkenntnis womöglich politisch betrachtet zu spät, als dass er noch etwas an den realen Zuständen ändern könnte. Dass Gabriel in der Bundespolitik noch einmal ein gewichtiges Wort mitreden können wird, ist unwahrscheinlich.

Spahn hält Gabriel vor, dass der neue Bundesgesundheitsminister den angeprangerten Kontrollverlust des Staates auf die innere Sicherheit und den Grenzschutz verenge und mit der Flüchtlingspolitik in einen Topf werfe. Stattdessen seien auch saubere Schulen mit genügend Lehrern, ausreichend Hausärzte in erreichbarer Nähe, ein funktionierender Nahverkehr und nicht zuletzt gute Löhne und Renten Aufgaben des Staates. Das alles ist genauso richtig wie die Aussage, dass der Erfolg der rechtspopulistischen AfD auf diese Missstände zurückzuführen sind: „Solche Wahlentscheidungen sind mehr ein Not- als ein rechtsradikales Signal, um die demokratischen Parteien auf die immer bedrohlicher wirkende Lebenssituation vor Ort aufmerksam zu machen.“ Auch weil die SPD unter seiner Führung Probleme zu lange ignorierte oder unbeantwortet ließ, sitzt die AfD heute im Bundestag. Auch wenn Gabriel seine Kolumne im Tagesspiegel an Spahn adressieren wollte, in weiten Passagen liest sie sich wie eine politische Selbstanklage.

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