Die Kanzlerin ist Gastgeberin des G7-Gipfels in Bayern. Wenn sich sieben mächtige Staats- und Regierungschef treffen, sind die Erwartungen hoch. Angela Merkel sagt, man könne nicht alle Konflikte in 24 Stunden lösen. Aber: Reden sei besser als Schweigen. Nur durch Gespräche seien große Krisen in der Welt zu lösen, sagte die CDU-Vorsitzende.
Frau Bundeskanzlerin, welches Signal soll vom G7-Gipfel auf Schloss Elmau ausgehen?
Das Signal, dass diese sieben großen demokratischen Industrienationen ihrer Verantwortung für die Weltwirtschaft und das Wohl von Millionen von Menschen nachkommen wollen. Diese Treffen einmal im Jahr sind wichtig, um gemeinsame Lösungsansätze zu finden für die Probleme, denen wir gegenüberstehen. Es ist ein Format für offene und persönliche Gespräche. Aus der Europäischen Union kennen wir das, im Verhältnis zu den USA, Kanada und Japan haben wir das viel seltener. Auch, dass wir die Gelegenheit haben, so intensiv mit den Regierungschefs einiger afrikanischer Staaten zu sprechen, ist ein Wert an sich.
Welche Ergebnisse am Sonntag und Montag sind absehbar?
Ich hoffe, dass wir bei einigen wichtigen Gesundheitsthemen ein ganzes Stück weiterkommen. Aus der Ebola-Krise haben wir gelernt, dass unsere weltweite Reaktion zu langsam koordiniert war. Die Welt muss besser auf Pandemien vorbereitet werden. Elmau kann dabei einen wichtigen Schritt nach vorne bedeuten. Auch an den Themen Antibiotika-Resistenzen und vernachlässigte Tropenkrankheiten haben wir monatelang mit unseren Partnern gearbeitet. Ich selbst habe Vorgespräche mit der Weltgesundheitsorganisation, mit Wissenschaftlern und Arzneimittelforschern geführt. Das wird Resultate bringen; wir werden uns auf ein gemeinsames Vorgehen einigen, denn nur gemeinsam können wir hier die Fortschritte erzielen, auf die Millionen warten. Sehr wichtig ist mir auch das Thema der Förderung von Frauen. In den Entwicklungsländern heißt das konkret, dass wir mehr von ihnen eine Berufsausbildung ermöglichen wollen.
Krieg und Frieden spielt bei der Erfolgsbeurteilung so großer Treffen immer eine Rolle. Wie steht es um die Ukraine?
Man kann von einem Sonntag und einem Montag in Elmau nicht die Lösung aller Konflikte erwarten. Wir werden aber eine Bestandsaufnahme des Minsker Prozesses vornehmen, der ja eine politische und friedliche Lösung für die Ostukraine ermöglichen soll. Auf diesem Weg müssen wir weitergehen, aber er wird weiterhin Zeit brauchen. Es waren übrigens die G7-Staaten, die im Vorfeld dieses Gipfels die Abschlussfinanzierung des künftigen Schutzmantels um das frühere Kernkraftwerk Tschernobyl sichergestellt haben. Eine eigene Arbeitssitzung widmen wir in Elmau der Herausforderung durch den internationalen Terrorismus. Regierungschefs von Staaten wie Nigeria, Irak und Tunesien, die täglich im Kampf gegen Organisationen wie Boko Haram oder IS stehen, werden über ihre Erfahrungen berichten. Dieser direkte Austausch ist mir sehr wichtig.
Wann kann Russlands Staatschef Wladimir Putin oder sein Nachfolger wieder an Treffen der großen Industrienationen teilnehmen?
Eine Teilnahme Russlands ist zurzeit nicht vorstellbar. Die G7 sind eine Gruppe von Staaten, die Werte wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit teilen. Zu unseren Prinzipien gehört es auch, dass wir das Völkerrecht und die Unverletzlichkeit der Grenzen verteidigen, weil sie die Basis unserer Friedensordnung sind. Russlands Annexion der Krim war dagegen eine Verletzung des Völkerrechts.
Dass sich Russland hier „verbrecherisch“ verhalten habe, wie Sie es in Moskau gesagt haben, haben Sie jetzt nicht wiederholt.
Meine Haltung zu Russlands Handlungen gegen die Ukraine ist seit Beginn des Konflikts klar und bekannt.
Wie soll es ohne Russland weitergehen?
Seit der internationalen Finanzkrise gibt es regelmäßige G20-Treffen, bei denen auch Russland zusammen mit allen wesentlichen Wirtschaftsnationen vertreten ist. Ich bin froh, dass sich auch dort eine sehr gute Arbeitsatmosphäre entwickelt hat. G7 hat jedoch eine ganz eigene Bedeutung, für Gespräche im größeren Kreis haben wir G20. Natürlich müssen und wollen wir mit Russland weiter zusammenarbeiten. Manche Konflikte, etwa den in Syrien, können wir ohne Russland gar nicht lösen. Ich halte deshalb regelmäßigen Kontakt zu Wladimir Putin.
Werden sie mit US-Präsident Barack Obama am Rande des Gipfels sprechen, und werden Sie versuchen, ihn von der Herausgabe der NSA-Suchbegriffsliste zu überzeugen? Das Konsultationsverfahren läuft ja.
Richtig, und es läuft auf dem dafür üblichen Weg, nicht auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs.
Die SPD hat Ihnen quasi ein Ultimatum gestellt, über diese sogenannten Selektoren bis zum 8. Juni aufzuklären. Ist Ihnen das ein persönliches Anliegen?
Die Bundesregierung wird nach Abschluss des Konsultationsverfahrens zum gegebenen Zeitpunkt eine Entscheidung treffen, die ich verantworten kann.
Also keine Klärung am Rande des G7-Gipfels?
Nein, die Entscheidung wird die Bundesregierung wie gerade beschrieben treffen.
Wie schwer ist der politische Schaden mittlerweile durch die Geheimdienstaffäre?
Ich bin überzeugt, dass wir für die Sicherheit und den Schutz unserer Bürger die enge Zusammenarbeit unserer Nachrichtendienste mit denen der USA und unserer anderen Partner brauchen. Auch wenn wir unterschiedliche Auffassungen in einigen Fragen haben und diese Punkte klären müssen, ist und bleibt die Partnerschaft mit den USA in unserem ureigenen deutschen Interesse.
Sind die USA noch der wichtigste Partner für Deutschland?
Die USA sind unser unverzichtbarer Partner und für unsere Sicherheit, etwa vor terroristischen Gefahren, von entscheidender Bedeutung. Darüber hinaus gibt es eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit, die viele Arbeitsplätze sichert. Amerika ist außerhalb der EU unser wichtigster Handelsexportpartner. Es ist daher im europäischen und gerade auch in unserem deutschen Interesse, dass wir schnell ein Freihandelsabkommen abschließen. Unsere Gesellschaften bauen auf gemeinsamen Grundwerten der Freiheit und der Demokratie auf. Dennoch haben wir auch in einigen Punkten unterschiedliche Auffassungen darüber, wie das richtige Verhältnis von individueller Freiheit und Datenschutz einerseits und den Bedürfnissen des Schutzes vor Terror andererseits zu gestalten ist. Dieses Verhältnis ist ja immer wieder neu zu bestimmen. Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Meine Aufgabe als Bundeskanzlerin ist es, bei uns dafür Sorge zu tragen, dass der Schutz vor Terror gewährleistet wird und gleichzeitig die persönlichen Freiheitsrechte des Einzelnen den notwendigen Schutz genießen.
Haben die deutschen Geheimdienste einen zu großen Spielraum fürs Ausspionieren?
Unsere Nachrichtendienste müssen sich an Recht und Gesetz halten und werden überdies parlamentarisch kontrolliert.
Geht die Welt unter, wenn TTIP nicht kommt?
Die Frage muss meines Erachtens lauten, ob ein Freihandelsabkommen uns in Europa hilft, Arbeitsplätze zu sichern oder neue zu schaffen, und ob es uns hilft, unsere hohen sozialen und ökologischen Standards zu halten – und da komme ich zweimal zu einem überzeugten Ja. Auch wir haben noch fast drei Millionen Arbeitslose. Wo immer wir Freihandelsabkommen abgeschlossen haben, haben sie dem Wirtschaftswachstum und den Arbeitsplätzen geholfen.
Von Gipfel zu Gipfel wurde die Begrenzung der Erderwärmung bekräftigt, aber das Zwei-Grad-Ziel ist gefährdet. Warum sind die Industrienationen so machtlos?
Wir haben durchaus eine Chance, dass die Klimakonferenz in Paris im Dezember ein Erfolg wird. Eine Voraussetzung dafür ist, dass wir die Klimafinanzierungszusagen von Kopenhagen 2009 – 100 Milliarden Euro privaten und öffentlichen Geldes – auch wirklich erfüllen. Die Industriestaaten müssen Vorreiter sein, aber Verpflichtungen der Industriestaaten allein reichen nicht aus, um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen. Wir brauchen auch konkrete Verpflichtungen der Schwellenländer. Es ist eine gute Nachricht, dass auch China jetzt einen Zeitpunkt benennt, ab dem es seine CO2-Emissionen zurückfahren will. Das hatte noch kein Schwellenland angekündigt. So mühsam jeder Fortschritt also auch ist: Weltweit spüre ich, dass sich klimapolitische Einstellungen zu verändern beginnen.
Welche Rolle spielt die griechische Schuldenkrise für die Runde der Staats- und Regierungschefs?
Direkt auf der Tagesordnung steht das Thema nicht. Aber wenn wir über die Weltwirtschaft sprechen und damit auch über die Eurozone, erschiene es mir nicht natürlich, wenn wir nicht auch über Griechenland sprächen.
Wie laufen die Verhandlungen in der EU über die griechische Schuldenkrise?
Wir sind in fortlaufenden Gesprächen und arbeiten sehr intensiv.
Macht Ihnen da irgendetwas Hoffnung?
Wir arbeiten, und beendet ist die Arbeit erst, wenn das Ergebnis stimmig ist.
Sie wollen die Wünsche und Sorgen der Bürger näher ergründen. Gegen den G7-Gipfel gehen Zehntausende auf die Straße. Was macht die Bundesregierung falsch?
Wir haben viel getan, um auf die Menschen zuzugehen, die sich kritisch mit der Globalisierung auseinandersetzen. Ich selbst diskutiere regelmäßig mit den Vertretern verschiedener Nichtregierungsorganisationen darüber. Wenn es jetzt im Umfeld des Gipfels Kundgebungen und Alternativveranstaltungen gibt, dann ist das auch Zeichen einer lebendigen Demokratie. Das Demonstrationsrecht ist ein hohes Gut und es wird auch bei einem G7-Gipfel gewährleistet. Aber es gibt auch Menschen, die nicht Inhalte kritisieren wollen, sondern den Staat und seine Sicherheitskräfte mit Gewalt herausfordern. Dagegen muss die Polizei im Interesse der Sicherheit vorgehen. Die Regierungschefs der G7 müssen in einer Welt voller Konflikte die Möglichkeit haben, auf einem solchen Gipfel miteinander zu beraten. Wir haben in der Geschichte Europas gesehen, wohin es geführt hat, wenn nicht gesprochen wurde.
Was verbinden Sie mit Schloss Elmau?
Die außerordentliche Schönheit der Natur dort. Und dass es, was ja viele hervorheben, ein Ort des geistigen Austausches ist. Das ist sicher nicht schädlich für die Veranstaltung.
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