Für Ketten trotz Mittelstandsprogramm Patrick Hollstein, 23.10.2007 16:18 Uhr
Mit nur schwer nachzuvollziehendem Nachdruck kämpfen seit einiger Zeit Bündnis 90/Die Grünen für die Zulassung von Apothekenketten: So brachte die Fraktion vor einem Jahr einen Antrag zur Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitzverbotes bei Apotheken in den Bundestag ein. Die Wirtschaftspolitik könnte den Grünen zum programmatischen Dilemma geraten: Denn die Forderung nach der Zulassung von Apothekenketten in Händen von finanzstarken Kapitalgesellschaften steht im Gegensatz zur Idee einer "Grünen Marktwirtschaft".
In einem Grundsatzpapier vom Juli dieses Jahres bekennt sich die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen unter anderem zum Ideal eines selbstbestimmten Mittelstands, zu verantwortungsvollen Unternehmern, genossenschaftlichen Initiativen und selbstbewussten Existenzgründern. Zwar wird die Notwendigkeit eines funktionierenden Wettbewerbs als "effizientes Suchverfahren für gute Lösungen“ immer wieder unterstrichen. Doch dieser soll nach Ansicht der Autoren fair sein. Übermächtige Ketten und Konzerne, einflussreiche Lobbyisten und starre Oligopole werden von den Grünen nur als Negativbeispiele genannt: "Die Strategie, 'nationale Champions' mit Monopolvorteilen im Inland fit für den Weltmarkt zu machen, wie sie insbesondere von der SPD vertreten wird, lehnen wir ab."
Angesichts solch klarer Worte ist es erstaunlich, in welchem krassen Gegensatz die Tagespolitik der Grünen zu ihrem wirtschaftlichen Grundsatzprogramm steht. Zu den Autoren der "Grünen Marktwirtschaft" gehören unter anderem auch sechs der sieben Abgeordneten, die vor einem Jahr im Bundestag eine Liberalisierung des Apothekenmarktes gefordert hatten: die gesundheitspolitische Sprecherin Biggi Bender, die wirtschaftspolitische Sprecherin Kerstin Andreae, die Parlamentarische Geschäftsführerin Dr. Thea Dückert sowie Brigitte Pothmer, Sprecherin für Arbeitsmarktpolitik, Margareta Wolf, Sprecherin für Außenwirtschaftspolitik und Markus Kurth, Sprecher für Sozial- und Behindertenpolitik.
"Wir wollen faire Wettbewerbsbedingungen für kleine und große Unternehmen schaffen", so der Anspruch der Grünen. Kleine und mittelständische Betriebe seien "das Rückgrat der deutschen Wirtschaft", heißt es in dem Papier. Deutschland brauche "mehr selbstbestimmte UnternehmerInnen, die bereit und in der Lage sind, persönliche Risiken einzugehen und auch Verantwortung für ihre Beschäftigten zu übernehmen". Wie ein klares Bekenntnis zur inhabergeführten Apotheke liest sich auch folgender Satz: "Nicht die abgehobenen ManagerInnen, die keine persönlichen Risiken aufnehmen und bei Fehlern mit vergoldeten Handschlägen verabschiedet werden, sind unser Leitbild."
Zwar wird auch im Wirtschaftsprogramm die starke Prägung des Gesundheitswesens durch gesetzliche Rahmensetzungen und korporatistische Selbstverwaltung kritisiert und mehr Wettbewerb eingefordert. Doch im selben Papier erkennen die Autoren an, dass der Markt generell nicht sich selbst überlassen werden kann, sondern dass er vielmehr einem "richtigen Mix aus Steuern, Grenzwerten und Verboten sowie indirekten Rahmensetzungen", also klaren Vorgaben folgen muss. Im Apotheken- und Gesundheitsmarkt prangerte Biggi Bender dagegen im Bundestag ein „Regelungsdickicht“ als Folge guter Lobbyarbeit und enger Klientelbeziehungen an.
Gegenüber APOTHEKE ADHOC erklärte Bender, man müsse auch im Gesundheitswesen verschiedene Formen des Unternehmensbesitzes zulassen, da es in anderen Branchen solche Einschränkungen nicht gebe. Auch die inhabergeführten Apotheken sollten die sich bietenden Chancen nutzen. Aus diesem Grund seien Schutzzäune für den Apothekenbereich nicht angebracht.
Möglicherweise dient nach dem Weltbild der Grünen Lobbyismus nur der Bewahrung des Status quo; wer Veränderungen einfordert, aus welchen Gründen auch immer, scheint bei den Grünen Vorschusslorbeeren verbuchen zu können, auch wenn er aus der Wirtschaft kommt und zu den Profiteuren der von ihm betriebenen Politik zählen dürfte. In ihrem Drang nach Modernisierung könnten die Grünen-Politiker übersehen, dass Modernisierung auch zu neuen starren Strukturen führen kann. "Wir wollen einen Staat, der Markt und Wettbewerb auch gegen Monopole im Interesse der verschiedenen MarktteilnehmerInnen schützt", konstatieren die Grünen in ihrem Wirtschaftsprogramm. Vielleicht sollte das eigene Grundsatzpapier bemüht werden, wenn einige Grüne - womöglich gegen die Interessen der Basis - versuchen, funktionierende Systeme zu Fall zu bringen.
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