Freie Apothekerschaft zum ApoRG: Die Vorschläge im Detail Laura Schulz, 03.07.2024 07:18 Uhr
Auch die Freie Apothekerschaft (FA) bezog in der vergangenen Woche im Bundesgesundheitsministerium (BMG) Stellung zum Apotheken-Reformgesetz (ApoRG). Hierbei positioniert sie sich genauso wie die Abda klar gegen das Konzept einer Light-Apotheke ohne Approbierte. An anderen Stellen wie der Erweiterung der Impfkompetenzen, stimmt die FA dem Referentenentwurf hingegen zu; bei vielen Themen liefert der Verein konkrete Gegenvorschläge, die die Lage der Apotheken verbessern sollen. Denkbar wären demzufolge Kompetenzerweiterungen für Approbierte (beispielsweise Rx-Abgabe ohne Rezept) und PTA (beispielsweise impfen) und eine höhere Zuzahlung durch die Patient:innen, was ein höheres Apothekenhonorar finanzieren könnte. Die Vorschläge der FA im Detail.
Pharmazeutische Kompetenzerweiterung
Um eine breite Versorgung gewährleisten und den Ärztemangel kompensieren zu können, fordert die FA unter anderem eine Kompetenzerweiterung für Apotheker:innen: „Ärzte legen die Therapie fest, verordnen die erforderlichen Wirkstoffe inklusive Dosierung, sodass in der Apotheke unter Berücksichtigung der Patienten-Compliance, das bedarfsgerechte Arzneimittel und die Arzneiform festgelegt und abgegeben werden.“
Für beratungsintensive Patientengespräche wie bei Notfallkontrazeptiva oder etwa bei Fragen zu technischen Geräten wie Blutdruckmessgeräten sei zudem eine Erweiterung der pharmazeutischen Dienstleistungen (pDL) mit entsprechender Vergütung angebracht.
„Weiterhin sollte es unbedingt möglich sein, dass anhand des Medikationsplans die Abgabe kleinster im Handel befindlicher verschreibungspflichtiger Arzneimittel zur Akutversorgung über den Apotheker oder die Apothekerin möglich ist, um die Notfall- und Notdienstversorgung aufrecht zu erhalten und die Notfallzentren bzw. Bereitschaftspraxen zu entlasten“, so die FA.
Hier könnten Approbierte dann beispielsweise mit festgelegten günstigen Schnelldreher-Wirkstoffen aushelfen, wenn die Dauermedikation nicht bis zum nächsten Werktag reiche. „Die Finanzierung könnte durch den Patienten direkt erfolgen“, heißt es. Das entlaste die Kassen und belaste die Kund:innen meist nur geringfügig.
Behebung des Fachkräftemangels
Des Weiteren schlägt die FA Kompetenzerweiterung für PTA vor, damit diese den Status der Pharmazieingenieur:innen erreichen könnten. „Somit können diese mehr Verantwortung in Form von temporärer Vertretung des approbierten Personals übernehmen“, heißt es in der Stellungnahme. Auch eine Video-Zuschaltung, von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) als Telepharmazie benannt, sei dann möglich. Aber: „Eine komplette Leitung einer Apotheke im Filialverbund beziehungsweise als Zweigapotheke mit nur temporären Aufenthaltspflichten für approbierte Apothekerinnen und Apotheker lehnen wir ab.“
Beim vom BMG angedachten Konzept von Apotheken ohne Approbierte sei das Risiko der Haftung für die Inhaber:innen enorm groß. Zudem bestehe laut FA „an dem im Entwurf enthaltenen Regelungskonzept zur Telepharmazie verfassungsrechtliche Bedenken, da es sich um eine wesentliche Modifikation des geltenden Apothekenrechts handelt, die dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber vorbehalten ist und nicht in der Apothekenbetriebsordnung geregelt werden darf“.
Mehr Kompetenzen für PTA kann sich die FA auch hinsichtlich des Impfens vorstellen – „ähnlich wie bei MFA in Arztpraxen, die ein vergleichbares fachliches Niveau wie PTA aufweisen“. Zudem sei eine duale, schulgeldfreie Ausbildung der PTA angebracht sowie „die Etablierung neuer Lehrstühle in den Ländern, um den PTA Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb der Apotheke vor Ort zu ermöglichen“. Parallel dazu solle auch in allen Bundesländern ein Pharmaziestudienstandort zur Verfügung stehen.
Entlastung der Apotheken vor Ort
Aufgrund der gestiegenen Belastung seien die Notdienstgebiete „zwingend zu vergrößern und zeitlich enger zu begrenzen“, so die FA. Auch Teilzeitdienste und Rufbereitschaften in Ausnahmefällen statt einer strikten Anwesenheitspflicht sollten ermöglicht werden.
Den Vorschlag aus dem Entwurf, die Rezeptur innerhalb eines Filialverbundes auf eine Apotheke zu verkleinern, unterstützt die FA – „sofern der Filialverbund unmittelbar und zeitnah erreichbar ist“. Zudem könnten anstelle von Rezepturen auch teilweise ohne Bedenken Fertigarzneimittel abgegeben werden. „Dadurch sind Einsparungen innerhalb des Solidarsystems möglich, und das pharmazeutische Personal könnte weitaus effizienter eingesetzt werden, sodass die pharmazeutische Kompetenz innerhalb der Apotheke gesteigert wird.“
Finanzierung und Anpassung des Apothekenhonorars
Eine sofortige Anpassung der Apothekenhonorars für die Apotheken vor Ort sei alternativlos, stellt die FA klar. Sollten hier weiterhin Anpassungen ausbleiben, sei mit Leistungskürzungen durch die Apotheken zu rechnen. Das Fixum von aktuell 8,35 Euro muss sofort auf 12 Euro angepasst werden“, so die Forderung. „Alternativ könnte das Fixum auf 10 Euro festgesetzt und der in § 130 SGB V enthaltene Krankenkassenrabatt ersatzlos gestrichen werden“, schlägt die FA vor. Das würde dann auch zur erheblichen Entbürokratisierung beitragen. „Durch die E-Rezepte ist es mittlerweile möglich, sofort mit den entsprechenden Krankenkassen abzurechnen.“
Zusätzlich fordert die FA, das Skonto-Urteil durch eine Änderung der Arzneimittelpreisverordnung (AmPreisV) aufzuheben. Sollte der prozentuale Anteil der Apothekenvergütung von 3 Prozent auf 2 Prozent gesenkt werden, wären Hochpreiser nicht mehr finanzierbar. „In diesem Fall erwarten wir die Aufhebung des Kontrahierungszwanges.“
Die FA schließt auch nicht aus, die Patient:innen stärker in die Pflicht zu nehmen, um mehr Geld ins System zu bekommen: „Seit über 20 Jahren wurde die Eigenbeteiligung, also die gesetzliche Zuzahlung für die Arzneimittel – zu Lasten der GKV – nicht angepasst, nicht einmal der Inflation entsprechend.“ Hier könne „sehr einfach und effektiv“ angesetzt werden, das zusätzliche Geld könnte den Apotheken zugutekommen, schließlich seien Löhne und Sozialleistungen anders als das Apothekenhonorar über die vergangenen 20 Jahre immer wieder angepasst worden. „Patienten, deren finanzielle Möglichkeiten begrenzt sind, werden durch die jeweilige Krankenkasse von der Zuzahlung befreit. Sie werden somit nicht belastet“, berücksichtigt die FA.
Die größer werdende Zahl an Hochpreisern müsse ebenfalls dringend angepasst werden. Denkbar wäre laut FA eine Zusatz-Versicherung: „Wer mehr als die Basis-Versorgung möchte, muss einen höheren Versicherungsbeitrag leisten. Bei den privaten Krankenkassen ist dies seit Langem die Realität.“ Auch bei der Hilfsmittelversorgung sei das inzwischen üblich. „Um die Akzeptanz der Rabatt-Arzneimittel innerhalb der Bevölkerung weiter zu stärken, sollten diese grundsätzlich frei von der Zuzahlung sein.“ Die Zuzahlung könnte beispielsweise packungsgrößenbezogen oder preisbezogen angehoben werden, so der konkrete Vorschlag.
Rabatte auf die gesetzliche Zuzahlung dürfe es nicht geben, womit die FA auf die Rx-Boni anspielt, die Shop Apotheke gewährt und gegen die der Verein bereits an anderer Stelle vorgeht. Auch eine Absenkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel könnte die Kassen entlasten, „denn der Zugang zu Arzneimitteln für die Gesundheit der Bevölkerung ist wichtiger und essenzieller als Luxusartikel mit abgesenkter Mehrwertsteuer“.
Bei der Notdienstgebühr schlägt die FA eine „längst überfällige Anhebung“ auf mindestens 10 Euro vor. „Dies dient auch der Vermeidung missbräuchlicher Inanspruchnahme des Notdienstes. Wir empfehlen das gleiche Handling bei Inanspruchnahme des ärztlichen Bereitschaftsdienstes.“ Vorreiter seien hier die Tierärzte.
Zudem sieht die FA noch weitere Stellschrauben:
- „Das Eintreiben der gesetzlichen Zuzahlung beim Patienten ist eine gesetzliche Inkassopflicht und kostet die Apotheken Geld.“ Daher sei pro Zuzahlungsbetrag für die Apotheke ein Aufschlag von 20 Prozent denkbar, der über die Rechenzentren verrechnet wird.
- „Inkasso des Herstellerrabatts durch die Apotheken sollte wegfallen. Vielmehr sollten die Krankenkassen dies direkt mit den pharmazeutischen Unternehmen abrechnen.“
- „Retaxationen seitens der Krankenkassen sollten nur anteilig bei Fehlern, die durch die Apotheken selbst verursacht worden sind, erlaubt sein. Wenn der Versicherte mit dem korrekten Wirkstoff versorgt wurde, darf seitens der Krankenkasse nicht retaxiert werden.“
- Stichwort Securpharm: Es sollte aufgrund des Aufwandes pro Rx-Arzneimittel 0,50 Cent geben.
- „Die Lieferengpasspauschale muss angepasst werden (mindestens 10 Euro pro Arzneimittel).“
- „Es wird empfohlen, eine Krankenkassenreform anzustreben. Begründung: 95 gesetzliche Krankenkassen sind mit ihren 125.000 Mitarbeitern teurer als aktuell noch 17.500 Apotheken mit circa 160.000 Mitarbeitern. Die Ausgaben der GKV für Verwaltung sind gegenüber den Apotheken mehr als doppelt so hoch.“ Hier könnte vieles durch Digitalisierung effizienter gestaltet werden. „Die 95 Krankenkassen zeigen keine individuellen Angebote im Leistungs- und Kostenbereich, ein Wettbewerb ist quasi ausgeschlossen. Weiterhin muss es möglich sein, dass Versicherte sich entsprechend auch bei ausländischen Krankenkassen versichern können, wenn Arzneimittel europaweit bestellt und von der GKV bezahlt werden.“ So entstehe hier auch ein Wettbewerb zum Wohle der Patient:innen, so die FA
Sicherstellung der flächendeckenden Apothekenversorgung
Die FA schlägt für unterversorgte Gebiete zudem „Kompetenz-Apotheken“ vor, die neben den Aufgaben der öffentlichen Apotheke zusätzlich Aufgaben der Selbstverwaltung, Schulungen, Qualifizierungen und weitere Spezialaufgaben übernehmen könnten. Zweigapotheken, wie im Referentenentwurf vorgesehen, lehnt die FA ab. Diese würden „eine signifikante Qualitätsabsenkung bis hin zur Gesundheitsgefährdung darstellen und eklatant gegen den Schutzzweck des Apothekengesetzes verstoßen“.
Zum Konzept der Light-Apotheken hat die FA zusätzlich ein Gutachten bei ihrer Kanzlei Brock Müller Ziegenbein in Auftrag gegeben. Das Fazit der Rechtsberater: „Die geplante Änderung der ApBetrO, durch die der Betrieb von Apotheken ohne Anwesenheitspflicht für approbierte Apotheker legalisiert werden soll, widerspricht dem Leitbild des deutschen Apothekenrechts in grundlegender Weise. In Anbetracht der Tatsache, dass der mit dieser Rechtsänderung einhergehende Paradigmenwechsel auf der Ebene einer Rechtsverordnung geplant wird, erweist sich die beabsichtigte Neuregelung in § 3 Abs. 3a ApBetrO [laut Referentenentwurf] als unvereinbar mit höherrangigem Recht.“ Für eine solch schwerwiegende Rechtsänderung sei eine parlamentsgesetzliche Regelung erforderlich.