Focus beschwört Apothekensterben Alexander Müller, 24.06.2019 10:30 Uhr
Die Zahl der Apotheken ist seit Jahren rückläufig. Laut einem Bericht des Focus geht man bei der ABDA davon aus, dass dieser Trend anhält. In den kommenden zehn Jahren rechne die Bundesvereinigung demnach mit einem Rückgang von weiteren 2200 Apotheken. Auf Nachfrage erklärt ABDA-Sprecher Dr. Reiner Kern, dass es sich dabei um eine Hochrechnung gehandelt habe – „nicht mehr und nicht weniger“.
Zum Jahreswechsel gab es laut ABDA-Statistik noch 19.423 Apotheken. Allein in den ersten drei Monaten 2019 beträgt der Nettoverlust schon wieder 86 Apotheken. Zahlen für das zweite Quartal liegen noch nicht vor, es spricht aber nichts für eine Kehrtwende. Immerhin schrumpft die Apothekenzahl seit 2008, damals war der Höchststand von 21.602 Betriebsstätten erreicht. In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Apotheken demnach um 2179 gesunken.
Auf die Frage des Focus nach der Entwicklung in den vergangenen zehn Jahren habe man auf diesen Umstand hingewiesen, so Kern. Und sollte sich an dem Trend nichts ändern, würden eben wieder mehr als 2000 Apotheken schließen und Deutschland auf den Versorgungsstand von 1979 zurückfallen. Im Jahr 2028 gäbe es nach dieser Hochrechnung noch 17.223 Apotheken. Kern stellte klar, dass es keine konkrete Berechnung oder gar Studie zu der Entwicklung der Apothekenzahl in den kommenden zehn Jahre gibt. Andererseits: „Wäre es völlig abwegig, hätten wir die Aussage nicht gemacht“, so Kern.
Neben der ordnungspolitischen Unsicherheit – etwa das schleppende Gesetzgebungsverfahren zum Thema Boni – leiden die Apotheker laut Kern unter einer unsicheren wirtschaftlichen Perspektive. Sie seien die einzige Berufsgruppe im Gesundheitswesen ohne verbindliche Regelung für eine regelmäßige Honoraranpassung. Gerade für den Nachwuchs sei als dritte Säule eine klare fachliche Perspektive notwendig, Stichwort pharmazeutischen Dienstleistungen.
Auch gegenüber dem Focus wir wurden Nachwuchsprobleme und Wettbewerbsnachteile gegenüber dem Versandhandel als Gründe für den Rückgang der Apotheken genannt. Der Focus dürfte mit seinem Online-Auftritt allerdings nicht unbedingt dazu beitragen, die Konkurrenz des Versandhandels kleinzuhalten: Wann immer das Wort „Apotheke“ in diesem oder einem anderen Beitrag auftaucht, ist dieses verlinkt und führt direkt zu einer Preissuchmaschine.
Focus – über den Burda-Verlag immerhin am „Zukunftspakt Apotheke“ beteiligt – arbeitet mit dem Vergleichsportal „Medipreis“ zusammen. Unter der verlinkten Seite medipreis.focus.de heißt es: „Medikamente preiswert bestellen. Nutzen Sie den Focus-Preisvergleich und sparen Sie beim Einkauf von Medikamenten und Gesundheitsprodukten im Internet.“ Nutzer können nach Name, Hersteller oder PZN suchen, außerdem werden die häufig gesuchten Produkte angezeigt, aktuell etwa Voltaren, Almased oder Nasenspray Ratiopharm. Nach der Produktauswahl bekommt man eine Reihe von Versandapotheken angezeigt, bei denen man direkt bestellen kann.
Ein allgemeines Problem der Apotheken: Die Gewinne gehen gemessen am Umsatz weiter zurück. Nach Zahlen des Deutschen Apothekerverbands (DAV) lag die Quote am Netto-Umsatz 2018 nur noch bei 6 Prozent. Unter dem Strich blieben einer Apotheke damit im vergangenen Jahr 143.885 Euro. Die Personalkosten liegen gemessen am Umsatz bei 10,7 Prozent, dieser ist aber – vor allem aufgrund hochpreisiger Arzneimittel – auf durchschnittlich 2,381 Millionen Euro gestiegen. Weil die Apotheken bei den Gewinnen nicht gleichermaßen partizipieren, hat sich der Personalkostenanteil am Betriebsergebnis auf zuletzt 45 Prozent erhöht. Zum Vergleich: 2003 waren es 37,5 Prozent.
Das Apothekensterben wurde in den vergangenen Jahren durch die Filialisierung noch etwas abgebremst. Wenn ein Inhaber keinen Nachfolger findet, kann der Betrieb von einem Mitbewerber übernommen und als Filiale weitergeführt werden. Aber auch dieses Mittel ist endlich wegen der Begrenzung auf vier Apotheken – und weil sich nicht jeder Standort als Filiale lohnt.
Der DAV beobachtet auch hier eine nachlassende Dynamik: 2018 haben erstmals mehr Filialapotheken geschlossen als geöffnet (-17). Schon seit zwei Jahren rückläufig sind Apotheken mit nur einer Filiale. Größere Verbünde nehmen dagegen zu. Noch dramatischer ist die Entwicklung bei den selbstständigen Apothekern: 2018 gab es noch 14.882 Inhaber, damit hat seit 2008 mehr als jeder Fünfte aufgegeben.
Der DAV hat im vergangenen Jahr erneut eine deutlich stärkere Dynamik im Versandhandel beobachtet, vor allem bei OTC und Freiwahl. Nach Packungen lag der Marktanteil der Versender bei 13,6 Prozent, nach Umsatz sogar bei 17,7 Prozent (910 Millionen Euro). Dies entspreche einer Steigerung von 8,18 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das Rx-Geschäft liege nach wie vor bei 1 Prozent Versandanteil, bekanntlich könnten sich die Verhältnisse aber mit Einführung des E-Rezepts schnell verändern.