Bönig bringt Gesundheitskarte für Flüchtlinge Julia Pradel, 22.09.2015 13:27 Uhr
Die medizinische Versorgung von Flüchtlingen ist vergleichsweise umständlich: In den meisten Bundesländern brauchen Asylbewerber zunächst einen Behandlungsschein von der zuständigen Sozialbehörde. Die Beamten müssen darüber entscheiden, ob ein Arztbesuch gerechtfertigt ist oder nicht. Einfacher ist es mit der elektronischen Gesundheitskarte (eGK), die Flüchtlinge bekommen sollen. Noch leichter wird die Versorgung aus Sicht von Ordermed-Gründer Markus Bönig mit seiner eigenen Refugee-Karte.
Vorreiter in Sachen Gesundheitskarte für Flüchtlinge ist die AOK Bremen: Asylbewerber in Bremen und Hamburg können bei der zuständigen Sozialbehörde einen Antrag auf die eGK stellen. Die Behörde meldet sie bei der AOK an, die Kasse schickt die Gesundheitskarten an die Behörde. Dort können die Asylbewerber sie abholen.
Das Leistungsspektrum, auf das die Flüchtlinge in der Grundversorgung Anspruch haben, ist auch mit Gesundheitskarte dasselbe wie überall sonst: die Behandlung akuter Schmerzen und dazu nötige Arznei- und Verbandmittel. Kuren, Zahnersatz, Psychotherapie oder Satzungsleistungen bekommen Flüchtlinge höchstens auf Antrag und wenn die Sozialbehörde zustimmt.
Die Gesundheitskarte macht dennoch vieles einfacher: Die Flüchtlinge brauchen keine Behandlungsscheine von der Behörde, und deren Mitarbeiter müssen nicht darüber entscheiden, ob eine akute Krankheit vorliegt oder nicht. Die Entscheidung über die notwendigen Leistungen treffen dann die Ärzte. Die Karten selbst enthalten auf dem Chip einen Hinweis, dass es sich bei den Patienten nicht um Versicherte, sondern um Betreute handelt. Somit wissen Ärzte, was sie bei der Verordnung beachten müssen.
Die Abrechnung erfolgt wie bei Kassenpatienten über die Kassenärztliche Vereinigung (KV) beziehungsweise in den Apotheken über die Rechenzentren. Kostenträger ist die AOK Bremen. Die Kasse rechnet die erbrachten Leistungen anschließend mit den Behörden in Bremen und Hamburg ab.
Für die Verwaltung berechnet die AOK Bremen zehn Euro pro Monat und Flüchtling. Außerdem zahlen die Behörden einmalig acht Euro für die Gesundheitskarte und fünf Euro als Beitrag zum Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK).
In anderen Bundesländern sind ähnliche Konzepte geplant: In Nordrhein-Westfalen soll es die Gesundheitskarte für Flüchtlinge ab Januar geben – es ist das erste Flächenland, das die eGK für Asylbewerber einführt. Dazu wurde ein Rahmenvertrag ausgearbeitet, dem Kommunen und Krankenkassen beitreten können. Für die Verwaltung sollen die Krankenkassen einen Abschlag in Höhe von 8 Prozent der abgerechneten Leistungen erhalten, mindestens jedoch zehn Euro pro Flüchtling und Monat. Die Vereinbarung umfasst die Asylbewerber, die die Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes verlassen haben und einer Gemeinde zugewiesen wurden.
Den Gemeinden ist freigestellt, ob sie den Flüchtlingen die eGK anbieten oder weiter auf Behandlungsscheine setzen. Die Erfahrungen in Hamburg und Bremen hätten allerdings gezeigt, dass es Einsparungen in der Verwaltung gegeben habe, so das NRW-Gesundheitsministerium. Um die Umsetzung zu erleichtern, soll jede Gemeinde von nur einer Krankenkasse betreut werden – und hat damit auch nur einen Ansprechpartner. Das soll den Aufwand reduzieren. Dennoch ist es das Ziel, die Flüchtlinge landesweit gleichmäßig auf die teilnehmenden Krankenkassen zu verteilen.
Bislang sind die AOK Nordwest, die AOK Rheinland/Hamburg, die Novitas BKK, die Knappschaft, die DAK-Gesundheit, die Techniker Krankenkasse (TK), die Barmer GEK und die IKK Classic der Vereinbarung beigetreten. Die Krankenkassen können derzeit noch selbst darüber entscheiden, ob sie die eGK für Flüchtlinge anbieten.
Das soll sich nach dem Willen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (beide CDU) ändern. Gröhe hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, nach dem Länder und Kommunen Krankenkassen zur Ausgabe einer Gesundheitskarte an Flüchtlinge verpflichten können. Über die Maßnahme soll am Donnerstag auf dem Bund-Länder-Gipfel diskutiert werden. In der Union gibt es Widerstand: Er halte davon „gar nichts“, sagte Fraktionsvize Dr. Georg Nüßlein (CSU) der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Bönig ist schon einen Schritt weiter: Er ist auf den Zug aufgesprungen und bietet Kommunen derzeit als Alternative seine eigene Health-Card für Flüchtlinge an. Aus Sicht von Bönig erfüllt die Karte auf Anhieb den Bedarf nach schneller, unbürokratischer Hilfe für die Flüchtlinge. Die Karte soll die Kommunen zwischen drei und fünf Euro kosten, je nach Druckmenge. Weitere Kosten kämen auf die Kommunen nicht zu.
Bei der Registrierung in den deutschen Behörden soll ein Vitabook-Gesundheitskonto angelegt werden, in dem die Eckdaten der Person und ihrer Familie hinterlegt werden. Akute Zustände und aktuelle Medikamente können ebenfalls erfasst werden, genauso wie die Kostenübernahmeerklärung der Kommune. Damit ist die Karte aktiviert und kann dem Asylbewerber ausgehändigt werden.
Mit der Karte kann der Asylbewerber zum Arzt gehen. Der soll die Rechnung in das Gesundheitskonto des Flüchtlings hochladen. Dann lande sie sofort im Posteingang der Kommune, erklärt Bönig. Auf Rezepten werde die Kommune als Kostenstelle angegeben. Die Abrechnung erfolge also direkt, „ohne dass Krankenkassen dazwischen geschaltet werden müssen“, so Bönig. Im niedersächsischen Geestland soll die Karte ab der kommenden Woche eingesetzt werden. Andere Gemeinden geben sich inzwischen eher abwartend und warten auf ein Signal aus Berlin.