Gefährdung der Patientensicherheit

Flohmärkte: Ärztepräsident unter Beschuss

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Berlin -

Einen Sturm der Entrüstung haben die Äußerungen von Ärztepräsident Dr. Klaus Reinhardt zum Thema Lieferengpässe ausgelöst. Die Ärzte sollten sich umgehend vom Vorschlag distanzieren, Tauschgeschäfte auf Flohmärkten zuzulassen, fordern Vertreterinnen und Vertreter der Apothekerschaft.

Engpässe eignen sich nicht für Populismus

„Arzneimittel gehören in Apotheken, nicht auf den Flohmarkt – schon gar keine abgelaufenen Arzneimittel“, so der Präsident der Bundesapothekerkammer (BAK), Thomas Benkert. „Es schockiert mich, dass der Präsident der Bundesärztekammer derartiges öffentlich vorschlägt. Verfallene Arzneimittel können die Gesundheit der Patientinnen und Patienten massiv gefährden, ganz abgesehen von haftungsrechtlichen Fragen. Zudem steht die Gesetzeslage dem klar entgegen und die aktuelle Situation eignet sich nicht für Populismus.“ Der Vorschlag gehe auch völlig an der Realität vorbei. „Die Apotheken stehen aktuell unter enormem Druck, das Fehlen von lebenswichtigen Arzneimitteln zu managen. Es wäre wünschenswert, wenn sich auch Repräsentanten der Ärzteschaft verantwortungsvoll an Lösungsansätzen beteiligen würden.“

Wie abgelegte Kleider tauschen

Thomas Rochell, Vorstandsvorsitzender des Apothekerverbandes Westfalen-Lippe (AVWL), sprach von einem „Offenbarungseid des deutschen Gesundheitssystems“. Dass Patienten Arzneimittel, die womöglich auch noch abgelaufen seien, wie abgelegte Kleider auf dem Basar tauschten, sei höchst riskant. „Je nach Vorerkrankung kann die Einnahme eines Mittels gesundheitliche Risiken haben. Auch können problematische Wechselwirkungen mit anderen Substanzen auftreten. Ohne eine vernünftige Beratung dürfen Arzneimittel daher nicht eingenommen werden.“

Nicht auszudenken sei, wenn auf solchen Flohmärkten sogar Antibiotika getauscht würden. Abgesehen vom Risiko, dass lebensgefährliche Resistenzen entstehen könnten, bestehe gerade bei Penicillinen ein hohes Allergiepotenzial. Aus gutem Grund verbiete das Gesetz im Übrigen, Arzneimittel nach dem Verfall in Verkehr zu bringen. „Es ist doch gar nicht nachzuhalten, ob der Vorbesitzer das Mittel korrekt gelagert hat oder ob es in diesem heißen Sommer zum Beispiel zu chemischen Reaktionen beziehungsweise Abbauprozessen gekommen ist, so dass das Mittel nicht nur nicht wirkt, sondern sogar gesundheitsschädlich ist“, warnt Rochell. Säfte seien nach Anbruch nur verkürzt haltbar, danach könnten sich gefährliche Keime entwickeln – und niemand könne wissen, wann der ursprüngliche Besitzer die Flasche geöffnet habe.

Ärzte sollen sich distanzieren

Als fahrlässig, verantwortungslos und heilberuflich nicht zu vertreten, kritisierte Tatjana Zambo, Präsidentin des Landesapothekerverbands Baden-Württemberg, den Vorstoß. „Ich bin wirklich absolut entsetzt!“ Selbstverständlich sei die Situation der Lieferengpässe bei einem gleichzeitig hohen Krankenstand besorgniserregend, so Zambo. „Dass man allerdings auf so eine absurde Idee kommt, dass die Menschen nun die in den Haushalten gelagerte Medikamente ohne jedweden fachlichen Rat munter fröhlich miteinander tauschen sollen, grenzt schon fast an Absurdität. Das gilt umso mehr, wenn dieser Vorschlag von einem Arzt kommt und noch dazu von einer durch sein Amt so herausgestellten Persönlichkeit“, so Zambo weiter.

Auch für den Vorschlag Reinhardts, bereits seit mehreren Monaten abgelaufene Medikamente hier einzubeziehen, hat Zambo kein Verständnis. „Mit einer solchen Idee tritt der Präsident der Bundesärztekammer die wichtige Errungenschaft der Arzneimittelsicherheit und gleichzeitig das Patientenwohl mit Füßen!“ Ihr sei auch kein Fall bekannt, bei dem in Arztpraxen abgelaufene Medikamente im Sprechstundenbedarf eingesetzt würden. „Ich kann mir keine Ärztin und keinen Arzt vorstellen, der hier Kompromisse machen würde“, meint Zambo.

Zambo fordert die Bundesärztekammer und die weiteren ärztlichen Standesvertretungen auf, sich unverzüglich von diesen Vorschlägen zu distanzieren. „Es ist selbstverständlich, dass in der derzeitigen Situation in den Haushalten keine Medikamente gehortet werden sollten. Aber in die Beliebigkeit darf man die Medikation von kranken Menschen nicht setzen.“

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