Festbeträge: Kassen lockern Daumenschrauben Patrick Hollstein, 30.12.2021 08:21 Uhr
Normalerweise kennen die Festbetragsrunden der Krankenkassen nur eine Richtung: Die Preise gehen nach unten. Doch jetzt will der GKV-Spitzenverband erstmals die Erstattungsgrenzen für mehrere Wirkstoffe in größerem Umfang anheben. Allerdings sind überwiegend nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel betroffen, die seltener zu Lasten der Kassen verordnet werden.
Geplant ist eine ganze Reihe von Änderungen bei den Festbeträgen, insgesamt sind 45 Gruppen von Anpassungen betroffen. Erstmals sollen aber nicht nur die Preise, die die Kassen maximal für ein bestimmtes Arzneimittel zahlen, abgesenkt werden. „In 15 Gruppen sollen die Festbeträge zum Zweck der gesicherten Versorgung angehoben werden“, heißt es in der Erläuterung zum Stellungnahmeverfahren, das der GKV-Spitzenverband eingeleitet hat.
Anstieg auf der einen Seite
Konkret sollen die Grenzen bei folgenden Wirkstoffen/Gruppen angehoben werden:
- Choriongonadotropin – plus 14 Prozent
- Heparin (Rx) – plus 21 Prozent
- Lithium – plus 15 Prozent
- Retinol – plus 5 Prozent
- orale Antikoagulantien – plus 52 Prozent
- Ammoniumbituminosulfonat (OTC) – plus 31 Prozent
- Bromhexin (OTC) – plus 2 Prozent
- Clotrimazol (OTC) – plus 14 Prozent
- Cromoglicinsäure (OTC) – plus 1 Prozent
- Etilefrin (OTC) – plus 48 Prozent
- Heparin (OTC) – plus 64 Prozent
- Ibuprofen (OTC) – plus 11 Prozent
- Pyridoxin (OTC) – plus 2 Prozent
- Prostaglandin-Synthetase-Hemmer (OTC) – plus 29 Prozent
- Ophthalmika, vasokonstriktorisch (OTC) – plus 20 Prozent
Hintergrund ist die Vorgabe im Sozialgesetzbuch (SGB V), nach der die Festbeträge so festzusetzen sind, dass sie „Wirtschaftlichkeitsreserven ausschöpfen“ und „wirksamen Preiswettbewerb auslösen“, aber auch „eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung gewährleisten“. Daher müssen sie mindestens einmal im Jahr überprüft und in geeigneten Zeitabständen an eine veränderte Marktlage angepasst werden.
Dabei gilt, dass der Festbetrag den höchsten Abgabepreis des unteren Preisdrittels bezogen auf die Standardpackung nicht übersteigen soll. Mindestens ein Fünftel aller Verordnungen und mindestens ein Fünftel aller Packungen müssen aber zum Festbetrag verfügbar sein. Zugleich darf die Summe der jeweiligen Prozentsätze der Verordnungen und Packungen, die nicht zum Festbetrag erhältlich sind, den Wert von 160 nicht überschreiten. Hochpreiser mit einem Anteil von weniger als 1 Prozent an den verordneten Packungen sind dabei nicht zu berücksichtigen.
Preisrutsch auf der anderen Seite
Auf der anderen Seite sollen in 30 Gruppen die Festbeträge „auf Grund von Marktdynamik“ gesenkt werden:
Am stärksten betroffen sind Zoledronsäure (auch mit nicht als Wirkstoff ausgewiesenen Additiva) und Naloxon/Oxycodon mit einem Preisrutsch um die Hälfte. Um circa ein Drittel nach unten geht es für Levetiracetam, Ezetimib, Voriconazol, Venlafaxin und Linezolid. Immerhin rund ein Viertel soll gespart werden bei Mebeverin, Ibandronsäure (auch mit nicht als Wirkstoff ausgewiesenen Additiva) und Levetiracetam.
Zischen 20 und 10 Prozent liegen die Kürzungen bei Olanzapin, Mesalazin, Rivastigmin, Pregabalin, Sertralin, Buprenorphin, Mycophenolsäure, Pramipexol, Mesalazin, Aripiprazol, Eplerenon, Amoxicillin/Clavulansäure und Quetiapin. Einstellige Anpassungen gibt es bei Filgrastim, Clopidogrel, Temozolomid, Oxycodon, Leflunomid, Hydromorphon und Methylphenidat.
Fünf neue Festbeträge
Außerdem hat der GKV-Spitzenverband für fünf Gruppen neue Festbeträge festgelegt, die der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) im Laufe des Jahres gebildet hatte:
- Erlotinib
- Gefitinib
- Koloniestimulierende Faktoren, pegyliert
- Virustatika mit Wirkung auf Herpesviren
- Kombinationen von Angiotensin-II-Antagonisten mit Calciumkanalblockern und Hydro-chlorothiazid
Die Festbetragsvorschläge ergeben sich unter Berücksichtigung der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) durch Addition des Großhandelszuschlags in Höhe von 3,15 Prozent (höchstens jedoch 37,80 Euro) zuzüglich 0,70 Euro, des Apothekenzuschlages in Höhe von 3 Prozent zuzüglich 8,35 Euro, 0,21 Euro und 0,20 Euro sowie der Mehrwertsteuer in Höhe von 19 Prozent. Die Hersteller können noch bis 4. Januar zu den geplanten Festbeträgen Stellung nehmen.
Wegen mangelnder Besetzungszahlen will der GKV-Spitzenverband schließlich auch 15 Gruppen streichen:
- Amilorid + Hydrochlorothiazid – orale Darreichungsformen
- Azol-Antimykotika – vaginale topische Darreichungsformen: Econazolnitrat, Fenticonazolnitrat, Miconazolnitrat, Oxiconazol
- Cimetidin – parenterale Darreichungsformen
- Clodronsäure – orale Darreichungsformen
- Clonidin – feste orale Darreichungsformen, verzögert freisetzend
- Cromoglicinsäure (OTC) – Ophthalmika und nasale Darreichungsformen in Kombipackungen
- Cromoglicinsäure (OTC) – inhalative Darreichungsformen
- Furosemid – orale Darreichungsformen, verzögert freisetzend
- H1-Antagonisten (Antihistaminika mit zusätzlicher Hemmung der Mediatorfreisetzung) – abgeteilte orale Darreichungsformen: Ketotifen, Oxatomid
- H2-Antagonisten(OTC) – orale Darreichungsformen: Famotidin, Ranitidin
- Kombinationen von Beta-Rezeptorenblockern mit Diuretika und Vasodilatantien – orale Darreichungsformen: Atenolol/Chlortalidon/Hydralazin-HCl, Metipranolol/Butizid/Dihydralazinsulfat, Metoprololtartrat/Hydrochlorothiazid/Hydralazin-HCl, Oxprenolol-HCl/Chlortalidon/Hydralazin-HCl, Propranolol-HCl /Bendroflumethiazid/Hydralazin-HCl
- Metoclopramid – orale Darreichungsformen, verzögert freisetzend
- Nicergolin – orale Darreichungsformen
- Pankreatin (OTC) – magensaftresistente monolithische Darreichungsformen
- Tretinoin – topische Darreichungsformen
Der G-BA legt fest, für welche Gruppen von Arzneimitteln Festbeträge eingeführt werden. Der Festbetrag wird dann vom GKV-Spitzenverband festgelegt und ist der Betrag, den die Kassen maximal für das Arzneimittel bezahlen. Übersteigen die Kosten für das Präparat diese Erstattungsgrenze, zahlt der Patient entweder die anfallenden Mehrkosten oder erhält ein gleichwertiges Arzneimittel ohne Zuzahlung. Vor diesem Hintergrund gleichen die Hersteller die Preise ihrer Arzneimittel meist dem Festbetrag an. Den Apotheken drohen dann Lagerwertverluste.