FAZ: MVZ statt Praxis, Videoberatung statt Apotheke Patrick Hollstein, 19.10.2023 15:02 Uhr
Dass ausgerechnet die wirtschaftsliberale Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) seine Reformpläne feiert, müsste Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eigentlich zu denken geben. In der aktuellen Ausgabe kommen Barmer-Chef Christoph Straub und der Ökonom Professor Dr. Boris Augurzky vom Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsinstitut (RWI) zu Wort. Ihre Botschaft: Die Einzelpraxis ist tot, es lebe das MVZ, es lebe die Light-Apotheke.
Zunächst geht es um die Klinikreform, die die Kassen seit langem fordern und die Augurzky als Mitglied in Lauterbachs Expertenkommission begleitet hat. Nachdem kein gutes Haar am bestehenden System gelassen ist und die eigenen Vorschläge gelobt wurden, kommt die FAZ auf das Thema GKV-Finanzen.
Anstandshalber werden zunächst die vielen kleinen Kassen in Frage gestellt, bevor die Leistungsausgaben angesprochen werden. Straub zufolge wird das ambulante System nicht kaputtgespart, alleine in den vergangenen neun Jahren seien die Kosten der vertragsärztlichen Versorgung von 32 auf 46 Milliarden Euro gestiegen.
Dass dennoch Praxen schließen, weil sie keinen Nachfolger finden, hat laut Straub nichts mit der Vergütung zu tun: „Im Gegenteil, in den Landarztpraxen lässt sich besonders gut verdienen, trotzdem fehlen Nachfolger.“ Die Gründe seien nämlich andere, weiß der Kassenchef: Junge Ärzte wollten sich nicht an einen Ort binden, geschweige denn in Vollzeit arbeiten. „Deshlab brauchen wir auch Versorgungszentren mit angestellten Medizinern, die flexibel arbeiten.“
Augurzky geht noch weiter: „Die Einzelpraxis im großen Stil hat tatsächlich keine Zukunft. Wie in den Kliniken wird es aus personellen und wirtschaftlichen Gründen größere Einheiten geben müssen.“
Die Sorge vor Kapitalinteressen teilt Straub nicht, man brauche schließlich Investitionen. „Ja, es gibt schwarze Schafe, aber wie weill man gutes von schlechtem Geld unterscheiden? Man muss genau hinschauen, man muss regulieren, aber man sollte Investoren nicht pauschal von der Trägerschaft ausschließen.“
Genau die richtige Lösung
Womit die FAZ bei der Frage nach Lauterbachs Reformplänen für den Apothekenmarkt angekommen ist. „Um einer möglichen
Unterversorgung auf dem Land entgegenzutreten, ist das genau die richtige Lösung“, findet Augurzky. Die 85-jährige Patientin müsse ja nicht selbst das Video starten, sondern könne weiter in die Apotheke gehen und am Bildschirm mit dem Apotheker sprechen. „Apotheker sollen auch bei der Vorsorge helfen oder impfen, sofern sie die Qualifikation dazu haben.“
„Standesdenken und Besitzstandswahrung sind aus der Zeit, im Ergebnis zählt die gute Versorgung in Zeiten knapper Fachkräfte“, weiß der Ökonom. Er wäre auch für Arzneimittelautomaten und dafür, dass qualifizierte Pflegekräfte mehr dürfen, zum Beispiel in bestimmten Fällen Rezepte zu verschreiben. „In anderen Ländern geht das auch.“