Retaxationen

Wenn Kassen drohen, lügen und spotten

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Berlin -

Die Krankenkassen drohen den Apothekern unverhohlen: Wer sich nicht an die Exklusivverträge in der Zystostatika-Versorgung hält, wird retaxiert. Eine anders lautende Klarstellung aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) wird als unbedeutende Einzelmeinung abgetan. Selbst vor Falschaussagen gegenüber Apotheken wird nicht zurückgeschreckt. Und in der Praxis wiederholen sich haarsträubende Fehler bei der Umsetzung der Verträge.

Bislang wurde die onkologische Praxis in der Oberpfalz von der Apotheke gegenüber beliefert. Doch diese darf seit Mai Versicherte der Barmer, TK und KKH nicht mehr mit Sterilrezepturen versorgen, weil die Ersatzkassen ihre Exklusivverträge scharf gestellt haben. Der Zuschlagsgewinner lässt die Lösungen von einer Klinik herstellen.

Lohnhersteller und Subunternehmer sind nach den Ausschreibungsbedingungen grundsätzlich möglich. Allerdings bleibt die Vertragsapotheke verantwortlich. Im Beispiel aus der Oberpfalz ist das wohl eher in der Theorie so: Die ehemals versorgende Apothekerin staunte nicht schlecht, als Fahrer der Klinik bei ihr in der Offizin standen und die Zyto-Lösungen abgeben wollten. „Die wussten überhaupt nicht, wo sie hin mussten“, berichtet sie. Die Beutel seien von der Klinik beschriftet gewesen.

Die Apothekerin hat nach diesem Erlebnis arge Zweifel, dass der Kollege mit dem Zuschlag der Barmer überhaupt die vorgesehene Endkontrolle vorgenommen hat. Die Kasse scheine sich um die Umsetzung ihrer Verträge jedenfalls nicht sonderlich zu kümmern. Um die Durchsetzung dafür umso mehr: Die Ersatzkassen werden alle Apotheken retaxieren, die ohne Vertrag onkologische Praxen beliefern.

Drei Wirkstoffe sind aufgrund der kurzen Haltbarkeit von den Verträgen ausgenommen: Melphalan, Dacarbazin und Mitomycin. Hier darf jede Apotheke weiterhin liefern, wie das für die Zyto-Ausschreibung verantwortliche Team von Barmer, TK und KKH einem Vertragsapotheker bestätigte. Bei der Abrechnung griffen dann die normalen Preise der Hilfstaxe, Verwurf sei aber in keinem Fall abrechenbar, heißt es in einem Schreiben.

Letzteres ist schlicht falsch. Zwar haben die Kassen in ihren Verträgen tatsächlich die Abrechnung der Verwürfe ausgeschlossen, sodass die Apotheker diese bei ihren Angeboten irgendwie einpreisen müssen. Das gilt aber nicht für Wirkstoffe, die überhaupt nicht Gegenstand der Verträge sind. Ein Barmer-Sprecher bestätigte das auch auf Nachfrage: „Die genannten Wirkstoffe sind von den Verträgen der Arge Parezu ausgeschlossen. Demnach kann die Abrechnung dieser Wirkstoffe mit Verwurf erfolgen.“ Warum die Fachabteilung dem Apotheker etwas anderes mitgeteilt hat, ist nicht nachzuvollziehen.

Offenbar sind die Kassen bei ihren Verträgen zu allem bereit. Dass die Ersatzkassen im Mai überhaupt noch gestartet sind, hat selbst bei anderen Kassen für Kopfschütteln gesorgt. Denn mit dem Arzneimittel-Versorgungsstärkungsgesetz (AM-VSG) werden alle Zytoverträge mit Apotheken abgeschafft. Bis die Unterschrift von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier unter dem Gesetz steht und dieses im Bundesanzeiger veröffentlicht wurde, ändert sich gar nichts.

Im Gesetz ist eine Übergangsfrist von drei vollen Kalendermonaten für die Verträge vorgesehen, nach aktuellem Stand also bis Ende August. Aus Sicht des BMG endet die Exklusivität aber bereits mit Inkrafttreten des Gesetzes – also in den nächsten Tagen oder Wochen. Die freie Apothekenwahl war demnach immer Wille des Gesetzgebers, der mit dem Verbot der Verträge auch auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) reagiert.

Die Parlamentarische Staatssekretärin im BMG, Annette Widmann-Mauz (CDU), hatte die Haltung ihres Hauses gegenüber einem Fraktionskollegen eindeutig zum Ausdruck gebracht. Daraufhin gab der Verband der Zytostatika herstellenden Apothekerinnen und Apotheker (VZA) gegenüber seinen Mitgliedern Entwarnung: Aufgrund der Formulierung in der Gesetzesbegründung zum „Wegfall der Exklusivität“ habe man schon mit einer gesetzgeberischen Klarstellung zum Apothekenwahlrecht während der Übergangszeit gerechnet. Tatsächlich habe das BMG nun ausdrücklich bestätigt, dass der Wegfall der Exklusivität ab Inkrafttreten des AMVSG gelte.

Weiter heißt es in dem Schreiben des VZA an die Apotheker: „Wir gehen davon aus, dass das BMG die Klarstellung zur Geltung des Apothekenwahlrechts schon während des Übergangszeitraums auch an die Krankenkassen adressieren wird und die Krankenkassen sodann die Ärzte/Apotheken entsprechend hierüber informieren werden.“

Natürlich kennen die Kassen die Ansage des BMG, sie nehmen sie nur nicht für voll. Die AOK Hessen hat etwa gegenüber Apothekern mitgeteilt: „Wir möchten Sie insbesondere darauf hinweisen, dass während der Übergangszeit die Exklusivität der Lieferberechtigung weiterhin gegeben ist.“ Die Vertragspartner seien demnach weiterhin exklusiv für die Belieferung zuständig. Und dann: „Der Einzelhinweis aus dem Bundesministerium für Gesundheit trägt in diesem Kontext nicht.“ Die AOK Hessen kündigt ebenfalls an, alle Apotheken zu retaxieren, die sich ohne Vertrag im fraglichen Zeitraum an der Zyto-Versorgung beteiligen.

Gleiches Bild bei der AOK Rheinland/Hamburg, die ebenfalls seit August exklusive Verträge hat. Das AM-VSG sehe eine Dreimonatsfrist für die Verträge vor. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts sei man an diese Vorgabe gebunden, heißt es in einem Schreiben der Kasse. „Anderslautende Interpretationen entbehren jeglicher rechtlichen Grundlage.“ Auch die AOK Rheinland/Hamburg droht mit Retaxationen.

Aus Sicht der Arge Parezu (Barmer/TK/KKH) gelten die Verträge „uneingeschränkt“ bis zum Ende der Übergangsfrist. Weitere Änderungen innerhalb der Frist seien dem Gesetzestext nicht zu entnehmen. Ein Wegfall der Exklusivität sei vom Gesetzgeber nicht vorgesehen und würde aus Sicht der Kassen auch der Übergangsfrist widersprechen. Schließlich sei die Exklusivität ein „Kernelement“ der Verträge. Demnach hätten Apotheken ohne Vertrag bis zum Ende dieser Frist auch keinen Vergütungsanspruch.

Genauso sieht es auch der Kassendienstleister GWQ, der zusammen mit der Ersatzkasse DAK Zytoverträge abgeschlossen hat. Das entsprechende Warnschreiben des Konsortiums entspricht beinahe 1:1 dem Brief von Barmer, TK und KKH. Die Kassen machen gemeinsam Front gegen das BMG. Die Apotheken müssen sich entscheiden, ob sie das Risiko einer Retaxation eingehen. Sie können dann nur darauf hoffen, dass die Kassen bluffen oder die Gerichte im Zweifelsfall den „Willen des Gesetzgebers“ ernster nehmen als die Krankenkassen.

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