Die größten Ersatzkassen verbünden sich zu gemeinsamen Zyto-Verträgen: Barmer GEK, TK, KKH und die Deutsche BKK werden morgen eine entsprechende Ausschreibung veröffentlichen. Die Kassen repräsentieren laut Barmer Chef Dr. Christoph Straub 21 Prozent der Nachfrage in diesem Markt – die Verträge haben demnach ein Volumen von rund 620 Millionen Euro. Die Kritik an den Zyto-Verträgen hält Straub für unbegründet.
Nach dem Retax-Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) zu Zyto-Verträgen war klar, dass andere Kassen nachziehen würden. Die AOK ist mit Verträgen in fünf Bundesländern vorausgegangen, auch DAK/GWQ, die Knappschaft und Spectrum K haben die Zyto-Versorgung ausgeschrieben. Das umstrittene BSG-Urteil lieferte auch die Basis für die jetzt folgende Ausschreibung des Konsortiums um die Barmer. Außer der DAK sind alle großen Ersatzkassen dabei, die Deutsche BKK geht zum Jahreswechsel in der Barmer auf.
Die Ersatzkassen wollen im Februar 2017 starten und Verträge über ein Jahr mit Verlängerungsoption um zwei weitere Jahre abschließen. Dabei wird das Bundesgebiet in 246 Losgebiete aufgeteilt. Die liefernde Apotheke muss sich in diesem Gebiet befinden. Die Zuschnitte sind laut Straub so gewählt, dass dies gewährleistet ist und die Fahrtzeit maximal 90 Minuten beträgt. Das gilt allerdings nur für die liefernde Apotheke, nicht für einen etwaigen Herstellbetrieb. Jede Apotheke kann maximal vier Lose gewinnen – auch das gilt allerdings nur auf der Ebene des Vertragspartners.
Die Barmer verspricht sich Straub zufolge Einsparungen im zweistelligen Prozentbereich. Da es sich um eine Ausschreibung handele, sei er mit Prognosen vorsichtig, so Straub. Die von der AOK ins Spiel gebrachten 20 Prozent halte er aber für möglich.
Sparen wollen die Kassen unter anderem an den Verwürfen. Denn diese müssen die Apotheker – wie bei den anderen Ausschreibungen – bei ihren Geboten einpreisen. TK-Chef Dr. Jens Baas hatte die Ausschreibung unlängst angekündigt und dabei gesagt: „Wenn man keine Ausschreibungen tätigt, hat man am Ende nicht nur seine eigenen Ausgaben, sondern noch die der anderen.“ Straub zufolge wurde innerhalb des Kassenkonsortiums aber nicht darüber gesprochen.
Straub kennt auch die Diskussion über die kurze Haltbarkeit einiger Wirkstoffe. Er sieht das aber weniger kritisch: „Das trockene Pulver ist stabil, die kritische Phase beginnt, wenn es angerührt wird“, so der Barmer-Chef. Das Pulver könne man dagegen zwar nicht ewig, aber doch „einige Wochen“ verwenden. Zu Haftungsfragen äußerte er sich in diesem Zusammenhang nicht.
Straub würde sich wünschen, dass die Hersteller insgesamt kleinere Einheiten auf den Markt bringen, die den Bedarf in der Praxis besser deckten. Ansonsten rechnen allerdings auch die Ersatzkassen offenbar damit, dass die Apotheken weniger wegschmeißen. Es werde auch künftig Verwürfe geben, aber man erhöhe den Anreiz für eine andere Struktur der Verwendung der Substanzen, sagte Straub. Die Verträge seien eine „Chance, die Verwürfe zu reduzieren“.
Mit den Regionallosen bieten die Kassen Straub zufolge einen „Qualitätsfortschritt gegenüber der Regelversorgung“. Denn die wohnortnahe Versorgung werde damit gestärkt. Heute liege es häufig im Dunkeln, wo der Herstellungsort sei. Man wolle die Monopolisierung des Geschäfts nicht unterstützen, so Straub. Eine räumliche Nähe wollen die Ersatzkassen mit einer harten Ad-hoc-Belieferungsgrenze von zwei Stunden garantieren. Anders als bei Ausschreibungen anderer Kassen sei damit der Zeitraum vom Anruf der Praxis bei der Apotheke bis zur Lieferung gemeint. 30 Minuten für die Herstellung werden veranschlagt, und maximal 90 Minuten Lieferzeit.
Falls die Vertrags-Apotheke nicht liefern kann, darf der Onkologe eine andere Apotheke beauftragen. Die Mehrkosten werden dann dem Vertragspartner der Kasse auferlegt. Erster Ansprechpartner für den Arzt sei dabei immer die Kasse, so Straub. Bei den AOK-Verträgen gab es bei vergleichbaren Szenarien allerdings schon Probleme, weil die neu beauftragte Apotheke eine Null-Retaxation befürchten musste.
Der Barmer-Chef glaubt dagegen nicht, dass es in der Praxis Probleme geben wird. Man habe die bisherigen Erfahrungen berücksichtigt. So wird die Partner-Apotheke verpflichtet, in der onkologischen Praxis vorstellig zu werden und die künftige Zusammenarbeit zu besprechen. Auch die Patienten sollen informiert werden. „Für Patienten ändert sich nichts. Die wissen auch heute nicht, wer liefert und es interessiert sie auch nicht“, so Straub.
Onkologen zufolge könnte es allein deshalb Probleme mit den verschiedenen Ausschreibungen geben, weil die Praxen gegebenenfalls mit mehreren Apotheken zusammenarbeiten müssten. Straub hält auch diese Sorge für übertrieben: Es gebe künftig vier große Gruppierungen, deren Verträge den gesamten Markt abdeckten. „Auf diese Zahl müssen sich die Praxen einstellen, wobei es in der Praxis meistens eine Apotheke sein wird“, so Straub. Denn aufgrund der Losgebiete werde meist doch dieselbe Apotheke gewinnen, was übrigens unschädlich sei.
Die Barmer hatte in Nordrhein-Westfalen (NRW) 2011 schon einmal Zyto-Verträge getestet. Doch die Runde war gescheitert, weil die Ärzte weiter mit ihren gewohnten Apotheken zusammenarbeiteten. Nach einem Jahr warf die Barmer hin. Die Verträge seien von den Onkologen „torpediert“ worden, sagt Straub heute. Doch mit dem BSG-Urteil habe man jetzt Sicherheit.
Gleichwohl hat die Politik die Zyto-Ausschreibungen im Blick: Am 19. Oktober soll es hierzu eine Expertenanhörung im Bundestag geben. Davon haben sich die Ersatzkassen aber nicht beirren lassen. Es liefen jetzt erste Diskussionen, vielleicht irgendetwas zu machen, sagte Straub. Ob daraus ein Gesetzgebungsverfahren entstehe, sei vollkommen offen.
Mit der Ausschreibung fühlen sich die Ersatzkassen dennoch sicher – egal was kommt. Das Wettbewerbsrecht sei sehr rigide, so Straub. Gestartete Ausschreibungen könne man nicht einfach zurückziehen oder aus belanglosen Gründen stoppen. Es sieht also aus, als würden die Kassen Fakten schaffen, bevor die Politik reagiert.
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