Exklusiv: Apothekenpraktikum mit „Merkels Nachfolger“ Alexander Müller, 30.07.2021 11:16 Uhr
Als „Merkels Nachfolger“ steht der CDU-Bundestagskandidat Georg Günther unter besonderer Beobachtung. Der 33-Jährige schickt sich an, das Direktmandat in „ihrem“ Wahlkreis 15 (Vorpommern-Rügen – Vorpommern-Greifswald I) zu erringen. Zum Auftakt seiner Dialogtour durch den Wahlkreis hat er gestern in der Korallen-Apotheke von Petra Verhoeven ein Praktikum absolviert. APOTHEKE ADHOC durfte ihn exklusiv begleiten. Von der Vielzahl der Aufgaben und Leistungen der Apotheken zeigte sich Günther überrascht, entsetzt war er über der Masse an Dokumentationspflichten und den Null-Retaxationen.
„Ich habe da noch nie bestellt“, sagt Günther lachend, als sei es etwas sehr Anrüchiges, bei einer Versandapotheke Medikamente zu beziehen. Seine Position ist klar: „Ich bin kein großer Freund vom Online-Versandhandel, ich kenne auch niemanden, der da groß bestellt, ich kenne viele Leute, die auf die Apotheke vor Ort vertrauen und einen festen Ansprechpartner haben wollen, anstatt anonym irgendwo zu bestellen.“ Ein Versandverbot ist zwar für ihn derzeit kein Thema. „Trotzdem sehe ich das als große Gefahr und da müssen wir die Apotheken auch stärken.“
Verhoeven erklärt ihm, dass eine Apotheke als Mischkalkulation funktioniert, dass sie viele Leistungen erbringt, die sich für sich genommen nicht lohnen. Das wird Günther sehr einsichtig, als er später eine hydrophile Prednisolonacetat-Creme herstellen darf samt Dokumentation und dann die Vergütung dafür erfährt. Verhoeven fasst ihre Aufgaben so zusammen: „Ich brauche am Tag meinen Umsatz, damit ich hier nachts stehen kann und nichts verdiene.“ Die Höhe der Notdienstpauschale kann sich Günther gut ins Verhältnis setzen zu anderen Gebührensystemen. Der 33-Jährige ist Diplomfinanzwirt und arbeitet als Amtsbetriebsprüfer in der Landesfinanzverwaltung.
Doch jetzt will er nach Berlin in den Bundestag und ist auf „Dialogtour“. Dafür hat er seinen eigentlichen Job schon im April auf 50 Prozent reduziert. Nicht weniger als 533 Bewerbungen für Betriebspraktika hat er nach eigenen Angaben verschickt. Fest geplant sind schon eine Tour mit einem Edeka-Lieferanten, eine Kita, die Notaufnahme der Uniklinik Greifswald und ein Blumenladen. Und Landwirte werden selbstverständlich auch dabei sein.
Die Korallen-Apotheke aber ist seine erste Station, Günther bummelt heute Überstunden ab – am Ende wird er einen vollen Arbeitstag bei Verhoeven verbringen. Sie betreibt vier Apotheken in Stralsund und sitzt im Vorstand der Apothekerkammer Mecklenburg-Vorpommern. Als sie sich 1992 selbstständig machte, war es die achte Apotheke in der Hansestadt, heute gibt es 22. Auch über Personalmangel sprechen die beiden.
Weil Günther wie ein sehr engagierter Praktikant schon um 7:30 Uhr und damit eine halbe Stunde zu früh vor der Apotheke steht, wird er gleich Zeuge der Akutversorgung. Eine Familie möchte die Fähre nach Hiddensee nehmen und muss die Kinder freitesten. Verhoeven übernimmt das persönlich.
In der Apotheke darf Günther als Erstes die Warenannahme vornehmen. Eine Packung Bisoprolol wurde alleine in einer Wanne geliefert, der Preis des Arzneimittels beträgt 1,32 Euro. Eine gute Gelegenheit für Verhoeven, ihrem Gast die Rabattverträge zu erklären – und das Prinzip Null-Retaxationen. Bei der Geschichte staunen immer alle Politiker:innen in allen Apotheken. Sichtliche Freude hat der CDU-Kandidat daran, die Waren ins Generalalphabet einzusortieren. Verhoeven zieht das volle Programm mit ihm durch, lässt den Finanzprüfer sogar in ihre Bücher gucken.
Dazu gehört in ihrem Fall die Betroffenheit von der AvP-Pleite. Einen hohen sechsstelligen Betrag hat Verhoeven verloren. Von dem Insolvenzverfahren hat Günther natürlich gehört. Über die offenbar zu laschen Kontrollen bei den Rechenzentren wundert er sich nicht, er kennt die Bankenaufsicht aus der eigenen Berufspraxis. „Die BaFin ist ein zahnloser Tiger“, es fehle an Personal und digitaler Ausstattung. Die Inhaberin berichtet, dass es außer halbherzigen Kreditangeboten keine echte Unterstützung erfahren hat. „Es gibt keine Hilfe“, beklagt sie.
Dafür habe sie sich später immer wieder anhören müssen, die Apotheken hätten so gut verdient in der Corona-Pandemie. „Wir haben nicht die Masken von Herrn Spahn verteilt. Die haben wir selbst eingekauft – zu hohen Preisen am Anfang“, berichtet die Apothekerin. „Und wir haben uns das auch nicht ausgesucht.“ Schon nach der Verteilaktion im Dezember hatte Verhoeven zusammen mit den Vorstandskollegen der Kammer an Merkel geschrieben, deren Wahlkreisbüro fußläufig von ihrer Apotheke entfernt liegt. Doch eine Antwort kam nie. Das lässt Günther keine Ruhe, er will nachhaken.
Deutliche Worte findet der Kandidat später gegenüber APOTHEKE ADHOC zum Korruptionsskandal bei der Maskenbeschaffung in seiner Partei. „Das ist total schändlich, verachtend, dass man da so weit geht und noch mitverdienen muss. Ich habe das nicht verstanden“. Es sei sehr ärgerlich, dass sich da einige wenige an den Masken bereichert hätten. Für Günther persönlich kam der Skandal mitten in seiner Nominierungsphase zur Unzeit.
Eine immerhin unglückliche Figur bei der Maskenbeschaffung hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gemacht. Günther hat ihn beim Bundestagswahlkampf 2017 persönlich kennengelernt und ein paarmal in Berlin getroffen. Hat ihn Spahn als Minister überzeugt? „Ich denke, er hat eine sehr gute Arbeit geleistet, sicherlich musste er auch an der einen oder anderen Stelle dazulernen vor allem in den letzten Wochen und Monaten.“ Aber verglichen mit anderen Gesundheitsministern vor ihm und in der Pandemiebekämpfung habe Spahn „eine recht solide Arbeit geleistet“.
Wenn es bei ihm jetzt klappt mit dem Einzug in den Bundestag, will sich Günther vor allem bei seinem Steckenpferd der Finanzpolitik einbringen sowie beim Thema Bürokratieabbau, aber auch Tourismus und Landwirtschaft interessieren den. Die „großen Fußstapfen“ von Merkel versucht er dabei auszublenden, auch wenn er derzeit natürlich ständig darauf angesprochen wird.
Die scheidende Kanzlerin hat ihren Wahlkreis bei jeder Wahl seit 1990 direkt geholt, auch bei den Zweitstimmen ist die CDU hier traditionell die stärkste Kraft. Günthers Chancen, im September tatsächlich in den Bundestag einzuziehen, dürften nicht schlecht stehen. Als Landesvorsitzender der Jungen Union Mecklenburg-Vorpommern hat er zudem selbst schon eine gewisse Prominent.
Sein Fazit nach dem Apothekenpraktikum: Ihm sei im Gespräch mit Verhoeven bewusst geworden, was die Apotheken geleistet haben und wie schnell sie immer wieder reagieren mussten auf gesetzliche Verordnungen. Welche große Rolle sie bei der Bekämpfung der Pandemie gespielt hätten. Günther „natürlich“ auch in einer Apotheke gegen Corona impfen lassen, „das ist ja geschultes Personal“. Die Digitalisierung kann aus seiner Sicht zwar das Ausstellen der Rezepte vereinfachen. „Ein sehr gut ausgebautes Flächennetz an Apotheken steht aber bei mir an vorderster Stelle.“ Denn gerade in kleineren Städten habe er mitbekommen, dass Apotheken schließen, weil kein Nachfolger gefunden werden konnte. Das seien zwar marktwirtschaftliche Prozesse, die Versorgung müsse aber sichergestellt werden. Und eine Apotheke vor Ort müsse es genauso geben wie einen Arzt.
Verhoeven hat sich über den Besuch auch sehr gefreut. „Er war sehr aufmerksam und interessiert sich wirklich dafür.“ Von der neuen Regierung wünscht sie sich, dass sie die Apotheken besser einbindet und rechtzeitig informiert. Ob Masken oder Tests – von vielen neuen Aufgaben habe sie aus der Presse erfahren. „Wir machen das ja, aber man muss das vorher miteinander bereden.“ Ein Rx-Versandverbot würde sie sich auch wünschen, vor allem einen klaren Fahrplan für die Einführung des E-Rezepts. Ihren Job als Apothekerin liebt Verhoeven trotz all der Unwägbarkeiten: „Jeder Tag ist anders. Ich weiß nicht, wer kommt, mit welchen Sorgen. Und wenn die Menschen dann zufrieden sind und man in glückliche Gesichter blickt, dann macht mich das glücklich. Ich find’s immer noch schön.“