Seit dem Jahreswechsel 2022/23 ist Dr. Reiner Kern nicht mehr als Leiter Kommunikation bei der Abda tätig – er wechselte das Lager und ist seit 1. November 2023 nun auf dem neu geschaffenen Posten des Director Communications and Public Affairs bei DocMorris. In dieser Position meldet er sich nun erstmals öffentlich zu Wort und teilt in seiner neuen Funktion beim Versender unter anderem mit: „Vor-Ort-Apotheken werden an vielen anderen Punkten im Versorgungssystem regulatorisch bevorteilt.“
Gerade jetzt geht es für die Apotheken ums Eingemachte: Karl Lauterbachs (SPD) Apotheken-Reformgesetz (ApoRG) droht, Lobbyismus wird derzeit auf allen Seiten betrieben. Waren es zuletzt noch der ewig apothekenkritische Ökonom Professor Dr. Justus Haucap im „The Pioneer“ oder DocMorris-CEO Walter Hess im „Tagesspiegel“, geht nun auch Kern mit ins Rennen für die Versender und damit auch gegen die Apotheken vor Ort.
Gefragt wurde Kern nun nach dem E-Rezept-Start vom Atlas-Forschungsprojekt, das seit Oktober 2019 an der Universität Witten/Herdecke angesiedelt ist und sich mit seinem multidisziplinären wissenschaftlichen Team den Herausforderungen der digitalen Gesundheitswirtschaft widmet. Das Projekt fragt regelmäßig nach dem „Bug des Monats“, also nach Fehlern im Digitalisierungsprozess.
Das sei das E-Rezept im Resultat zwar keineswegs, aber der Weg bis dahin: „Der Bug besteht darin, dass wir im Gesundheitswesen heute eine Telematikinfrastruktur haben, die vor über 20 Jahren konzipiert wurde und von den damaligen Gegebenheiten ausgehen musste“, so Kern in dem Digital-Blog. „Der Fehler in dem Bauplan aus heutiger Sicht: Man hat vor allem auf Hardware-Hochsicherheitskomplexe gesetzt. Arztpraxen und Apotheken haben zur Verschlüsselung einen Hardware-Konnektor. Versicherte benötigen eine elektronische Gesundheitskarte als Identitätsnachweis, der Arzt einen Heilberufsausweis, die Apotheke eine Institutionskarte.“
Kern erklärt daraufhin, dass das E-Rezept mit dem heutigen Wissen ganz anders hätte angegangen werden müssen. „Zum Problem wurde das Design erst dadurch, dass die Einführung eineinhalb Jahrzehnte verschleppt wurde.“ Das habe vor allem in den Praxen und Apotheken mangelnde Akzeptanz zur Folge gehabt, so der promovierte Politikwissenschaftler. Das Ergebnis: „Nachdem das System endlich eingeführt war, war es in Teilen schon nicht mehr zeitgemäß. Es leidet darunter, dass es Hardware-sicherheitsgebunden ist.“
CardLink sei nun ein erster, richtiger Schritt; der E-Rezept-Einlöseweg via elektronischer Gesundheitskarte (eGK) hingegen „eine physische Begrenzung in einem System, das eigentlich voll digital funktionieren soll“. CardLink sei nun der „voll digitale Weg“ zur Rezepteinlösung, so Kern, da die Patient:innen somit nun nicht mehr in die Vor-Ort-Apotheke müssten. Dass eine eGK, die an ein Smartphone gehalten werden muss, nur bedingt digital ist, vergisst er dabei. Dafür legt er Wert darauf: „Wir waren zwar mit der Card-Link-Technologie zuerst am Markt. Grundsätzlich steht sie aber allen Apotheken zur Verfügung. Das heißt: Auch Apotheken vor Ort könnten sie nutzen, damit ihre Patienten nicht mehr in die Apotheke kommen müssen.“
Hier wird die oder der Fragende vom Atlas-Projekt aber auch stutzig, immerhin falle eine solche Entwicklung einem Konzern wesentlich leichter als einer einzelnen Apotheke. Einen Vorteil für die Versender sieht Kern darin nicht: „Es gibt ja auch die Möglichkeit, dass Anbieter ein Produkt entwickeln und dieses dann einzelnen Apotheken als White-Label-Lösung zur Verfügung stellen. Einige Unternehmen haben das bereits angekündigt und eine Zulassung beantragt. Im Übrigen: Vor-Ort-Apotheken werden an vielen anderen Punkten im Versorgungssystem regulatorisch bevorteilt.“
Anschließend verteidigt er das E-Rezept gegen die Bedenken bezüglich der Sicherheit und eventuell nicht ausreichend geschützter Patientendaten. Das E-Rezept sei sicherer als das Papierrezept: Ginge das verloren, waren die Patientendaten für jede:n sichtbar, eine Authentifizierung in der Apotheke fand nicht statt, von Fälschungen ganz zu schweigen. „Das alles sind Defizite, die mit dem E-Rezept und CardLink nicht mehr bestehen.“ Im Spiel seien dabei noch die eigenen Interessen: Kassen wollten ihre eigenen Apps nach vorne stellen, und Apotheken hätten „vorher weitgehend ein Einlöse-Monopol über die Stecklösung in der Apotheke vor Ort – und müssen sich jetzt im Wettbewerb mit den Online-Apotheken nochmal anders auseinandersetzen“.
Jetzt hofft Kern noch auf die elektronische Patientenakte (ePA) und die ab 2026 womöglich flächendeckend genutzte GesundheitsID. „Dann brauchen wir keine eGK mehr und technische Übergangslösungen wie Card-Link werden verzichtbar.“ Noch besser sehe es für DocMorris dann ab Ende 2028 aus, wenn der Europäische Gesundheitsraum (Europäischer Raum für Gesundheitsdaten, EHDS) frei gemacht werde. Das werde „für Online-Apotheken mit Sicherheit ein Booster sein“.
In den kommenden Jahren stehe das Gesundheitssystem vor vielfältigen Herausforderungen. „Wenn nicht mehr überall da, wo die Patienten sind, eine Praxis oder Apotheke ist, muss man die medizinische Versorgung im Zweifel über das Web zu den Patienten bringen“, so Kern. Hier sei auch Telepharmazie der richtige Ansatz. Genauso wie die PTA, die künftig Approbierte vertreten dürfen sollen: „In Zeiten des Fachkräftemangels ist das ein wichtiger Schritt.“
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