DocMorris: Showdown oder Showeffekt Alexander Müller, 18.05.2015 13:25 Uhr
Für die Apotheker steht wieder eine Grundsatzentscheidung in Luxemburg an. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) muss sich mit der Frage befassen, ob der deutsche Gesetzgeber ausländische Versandapotheken an die Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) binden kann. Indirekt steht damit das Preisrecht insgesamt auf dem Spiel. Doch ob die Versandapotheke DocMorris, um deren Rx-Boni es geht, wirklich einen weiteren „Showdown in Luxemburg“ herbeiführen kann, steht noch nicht fest. Der EuGH kann nämlich auch ohne mündliche Verhandlung entscheiden – und tut das in der Mehrzahl der vorgelegten Fälle auch.
Das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) hatte Ende Januar überraschend entschieden, die Boni-Frage dem EuGH vorzulegen. In dem Ausgangsstreit ging es um ein Bonusmodell der Deutsche Parkinson Vereinigung (DPV) in Zusammenarbeit mit DocMorris. Im Auftrag der Bayerischen Landesapothekerkammer (BLAK) hatte die Wettbewerbszentrale gegen das Modell geklagt und in erster Instanz Recht bekommen. Das OLG setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH drei Fragen zur Vorabentscheidung vor. Das ist formal am 24. März geschehen.
Damit beginnt das Verfahren in Luxemburg: Wenn die Fragen eingereicht und übersetzt sind, werden die Parteien informiert und um Stellungnahme gebeten. Dazu haben sie zwei Monate Zeit. Anschließend verfasst der Berichterstatter einen Vorbericht, ein allerdings internes Dokument. Damit befasst sich anschließend die sogenannte Generalversammlung des EuGH, die einmal wöchentlich tagt und die Weichen für das Verfahren stellt.
So entscheidet die Generalversammlung etwa, bei welcher Kammer der Fall angesiedelt wird. Entsprechend befassen sich drei, fünf oder fünfzehn Richter in der Großen Kammer mit dem Verfahren. Bestimmt wird auch, ob es Schlussanträge des Generalanwalts gibt – und ob überhaupt eine mündliche Verhandlung stattfinden soll.
Laut Satzung kann der EuGH selbst entscheiden, ob man sich in Luxemburg zusammensetzt: Wirft der Streit nach Auffassung der Richter keine neue Rechtsfrage auf, so kann auch ohne mündliche Verhandlung entschieden werden. Im vergangenen Jahr wurden dem EuGH insgesamt 428 Verfahren zur Vorabentscheidung vorgelegt. Nur in 183 Fällen gab es eine mündliche Verhandlung. 2013 war das Verhältnis mit 189 Verhandlungen aus 450 Vorlagen fast identisch.
Im Verfahren zu den Rx-Boni geht es vor allem um Artikel 34 (Warenverkehrsfreiheit) sowie Artikel 36, der entsprechende Beschränkungen erlaubt, die zum Schutz der Gesundheit gerechtfertigt sind. Das OLG erkennt zwar in den Boni ebenfalls Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz (AMG) und die AMPreisV. Umstritten sei jedoch, ob die gesetzlichen Vorschriften auch europarechtskonform seien.
Das OLG verweist auf ein Vertragsverletzungsverfahren, das die EU-Kommission gegen Deutschland eingeleitet hat. Die Brüsseler Behörde gehe davon aus, dass die EU-Versender von der Preisbindung härter getroffen würden. Allerdings hatte schon 2012 der Gemeinsame Senat der obersten Bundesgerichte eine Diskriminierung ausländischer Versandapotheken negiert, weil das Boni-Verbot für alle gleichermaßen gelte.
Der Gemeinsame Senat hatte selbst eine Vorlage nach Luxemburg für unnötig befunden. Der EuGH habe im Verfahren um das deutsche Fremdbesitzverbot schon 2009 entschieden, dass es Sache der Mitgliedstaaten sei, „auf welchem Niveau sie den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gewährleisten wollen“. Dieser Spielraum werde vom deutschen Gesetzgeber mit der Preisbindung nicht überschritten, so der Gemeinsame Senat. Die Position der Luxemburger Richter in dieser Frage sei durch ältere Entscheidungen eindeutig.
Angesichts dieser Begründung ist es durchaus vorstellbar, dass der EuGH sich nicht lange mit der Boni-Frage aufhalten wird. In Luxemburg hatte sich unlängst ein Generalanwalt über die Flut an überflüssigen Verfahren beschwert. Gegen die Einschätzung der obersten deutschen Richter steht zwar die Auffassung der EU-Kommission. Aber die hatte bekanntlich auch zum Fremdbesitzverbot eine andere Meinung als letztlich der EuGH.
Die Kommission kann sich als Unionsorgan am Boni-Verfahren beteiligen. Auch Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten dürfen Stellungnahmen abgeben. Die beteiligten Parteien im Ausgangsprozess haben keine privilegierte Position – formal streiten sie nämlich nur vor dem nationalem Gericht.
Offiziell stehen sich die Wettbewerbszentrale und die DPV gegenüber. Dies kann aber getrost als „Stellvertreterkrieg“ gesehen werden – im Grunde heißt es erneut: DocMorris gegen die Apotheker. Das zeigt schon die Wahl der Anwälte, die sich in Luxemburg duellieren sollen: Die DPV wird von der Hamburger Kanzlei Diekmann vertreten, den Hausanwälten von DocMorris und Geschäftsstelle des Versandapothekenverbands EAMSP. Die Wettbewerbszentrale wiederum schickt Dr. Claudius Dechamps ins Rennen, der die Apotheker schon im Verfahren zum Fremdbesitzverbot vertreten hatte.
Die Anwälte stehen vor einer besonderen Herausforderung: Anders als bei deutschen Gerichten darf jede Seite vor dem EuGH nur einen Schriftsatz einreichen. Eine Erwiderung auf die Argumente der Gegenseite ist daher erst in der mündlichen Verhandlung möglich – so es überhaupt eine gibt.
Der EuGH kann Verfahren auch ablehnen, wenn die vorgelegte Frage rein hypothetisch ist und keine Rolle bei der Entscheidung im Ausgangsstreits spielt. Dasselbe gilt für eine lückenhafte Darlegung des Sachverhalts, aus dem es sich keine ausreichende Entscheidungsgrundlage ergibt. Wenn sich die Beantwortung der vorgelegten Fragen eindeutig aus der früheren Rechtsprechung ergibt, kann der EuGH dies schlicht per Beschluss erklären. In diesem Fall gäbe es gar kein Boni-Urteil aus Luxemburg.