EuGH-Urteil

ABDA vs. DocMorris: „Wo sind die Daten?“

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Berlin -

Zum ersten Mal seit zwölf Jahren saßen die alten Streithähne bei einer Diskussion Schulter an Schulter auf einem Podium: die ABDA und die niederländische Versandapotheke DocMorris. Friedemann Schmidt hatte zwar vier Gegner des Rx-Versandhandelsverbots beim Fachgespräch der Bundestagsfraktion der Grünen gegen sich. Aber der ABDA-Präsident war nicht alleine gekommen. Das Publikum war gespickt mit Apothekern – und die mischten sich kräftig in die Diskussion ein.

Bis auf den letzten Platz gefüllt war Saal 2600 im zum Bundestag gehörenden Paul-Löbe-Haus, als um 13 Uhr das Fachgespräch zu den Folgen des EuGH-Urteils auf Einladung der Grünen begann. Brandenburgs Kammerpräsident Jens Dobbert war ebenso anwesend wie DAV-Vize Rainer Bienfait und der Chef des Verbandes der Versandapotheken, Christian Buse, oder Biggi Bender als ehemalige Gesundheitspolitikerin der Grünen. Auch das BMG hatte Beamte als Beobachter geschickt, genauso wie der Großhandelsverband Phagro oder der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH). Selbst der Großhändler Gehe war vertreten.

Trotz aller Argumente blieb in der gut vierstündigen Diskussion meinungsmäßig alles beim Alten: 4:1 stand es am Ende beim Thema Rx-Versandhandelsverbot – gegen ABDA-Präsident Schmidt. Anderes war auch nicht zu erwarten. Ein Ergebnis der Diskussion gab es allerdings doch: Um einen Aspekt muss sich die ABDA rasch kümmern. Sie muss alsbald Daten und Belege liefern für ihre Argumente. Mantramäßige Behauptungen über die Vorteile der Vor-Ort-Apotheken für die Patienten verfangen so ohne Weiteres nicht.

Für die Bundestagsfraktion der Grünen fasste deren Gesundheitspolitikerin Kordula Schulz-Asche ihr Fazit an die Adresse der Apotheker gerichtet so zusammen: „Wir brauchen mehr Informationen. Uns fehlt die empirische Nachvollziehbarkeit.“ Zur Fortsetzung der Diskussion über die Konsequenzen aus dem EuGH-Urteil benötige die Politik eine Apothekenstatistik über die regionale Verteilung ebenso wie über die Altersstruktur.

„Wo sind die Daten?“, fragte auch Gesundheitsökonom Professor Dr. Reinhard Busse von der TU Berlin mit warnendem Unterton. „Welche Leistung liefert ihr eigentlich? Ist die Compliance in Vor-Ort-Apotheken tatsächlich besser als beim Versandhandel? Wir werden auf euch zukommen!“ Von den Ärzten habe man solche Daten auch abgefordert. Jetzt sei es an den Apothekern, ihre Aussagen zu belegen, „Evidenz“ zu liefern. Das sei bereits vor dem EuGH nicht gelungen, so Busse.

Nicht viel anders lautete das Fazit von DocMorris-Vorstand Max Müller: „Ich habe heute keinen Lösungsvorschlag gehört – nur, was nicht geht.“ Dabei sei der Versandhandel in Wirklichkeit kein Problem für die Apotheke an der Ecke: „Es gibt den Versandhandel seit 16 Jahren, davon zwölf Jahre mit Boni.“ Und die Apothekenlandschaft in Deutschland sei immer noch intakt.

Zum Auftakt der Diskussion hatte der ABDA-Präsident die Gelegenheit genutzt, seine Argumente für ein Rx-Versandverbot auszurollen. Es gehe um Patientenschutz. Kranke dürften ihre Entscheidungen nicht nach Wirtschaftlichkeitsaspekten treffen. Der einheitliche Arzneimittelpreis sei zudem die Basis für die verschiedenen Rabatte zu Gunsten der Krankenkasse im Umfang von 15 Milliarden Euro pro Jahr. Schmidt: „Fällt die Preisbindung, würde das alles wegfallen.“

Außerdem hänge an der Preisbildung die flächendeckende Arzneimittelversorgung. 83 Prozent des Umsatzes einer Apotheke würden mit Rx-Arzneimitteln erwirtschaftet. „Die Betroffenheit der Apotheken ist essenziell.“ Man müsse rasch das Einfallstor für den Preiswettbewerb schließen, später könne man über die Zukunftsrolle des Apothekers diskutieren und über alternative Honorarmodelle.

Immer wieder wurde als Alternative zum von der ABDA geforderten Rx-Versandverbot das Honorarthema in die Diskussion eingebracht. Auch von Müller: „Lassen Sie uns in die Zukunft blicken“, sagte der DocMorris-Vertreter. Die Gesundheitsversorgung stehe nicht nur bei Apotheken vor strukturellen und gesamtgesellschaftlichen Problemen im ländlichen Raum. „Wir müssen uns Gedanken über neue Versorgungsformen machen und nicht über das Verbot des Versandhandels.“ Der Versandhandel sei immer nur als Ergänzung zu den stationären Apotheken angelegt worden. „Wenn DocMorris nicht mehr da wäre, ändert das nichts an den Versorgungsproblemen. Ein Versandverbot macht nichts besser.“

Als Stimme der Patienten fungierte Kai Vogel vom Bundesverband der Verbraucherzentralen: „Wir sind gegen ein Verbot des Versandhandels.“ Der Versandhandel könne Vor-Ort-Apotheken zwar nicht ersetzen. Aber: „Chroniker könnten profitieren“.

Klaus Holthoff-Frank, Generalsekretär der Monopolkommission, hält ein Rx-Versandverbot sowieso für „keine besonders gelungene Idee“. Stattdessen solle man den Arzneimittelpreis „in engen Grenzen“ freigeben und zum Beispiel für die Beratungsleistung der Apotheker ein Servicehonorar einführen. Es gebe zudem kein Apothekensterben seit Einführung des Versandhandels, stattdessen steige der Umsatz der Apotheken „leicht um 6 Prozent“ auf 47,5 Milliarden Euro. Außerdem müssten die Apotheken „nicht viel Vorrat an Arzneimitteln“ anlegen. Mit seinen Aussagen zum Apothekenmarkt sorgte Holthoff-Frank für Unruhe und Gelächter im Saal.

Aus der Praxis einer Landapotheke schilderte Apotheker Christian Richter seine Sicht. Im Umkreis von 250 Quadratkilometern betreue er seine Patienten. Dabei sei die Prignitz in Nordbrandenburg mit 36 Menschen pro Quadratkilometer die am dünnsten besiedelte Region in Deutschland. Er leiste fast täglich Notdienst und versorge seine Patienten bis an das Krankenbett.

Trotzdem werde es wirtschaftlich immer schwerer: „Ich bin bereits unter Druck. Der Drops ist gelutscht.“ Er dürfe keine Rezepte an DocMorris verlieren. „Bei uns heißt der Versandhandel Botendienst und ich liefere meist in 24 Stunden.“ Jetzt sei aber schon ein Patient zu ihm gekommen und habe sein Rezept zurückgefordert, um es nach Holland zu schicken. Noch sei der Versandhandel klein, aber er wecke bei den Patienten „Begehrlichkeiten und Bedarf“.

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