EuGH-Urteil

Rx-Versandverbot: Lehren aus Karlsruhe

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Berlin -

Ein Rx-Versandverbot wird von der ABDA nach dem EuGH-Urteil als Plan B favorisiert. Der Kurs ist riskant, denn die Versandapotheken würden gegen den Eingriff in ihre Berufsausübungsfreiheit klagen. Dann könnte sich Geschichte wiederholen: Bereits 2003 hatte sich das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) einmal mit einem Versandverbot beschäftigt. Die Argumente von damals zeigen, wie schmal der Grat wäre – und dass nur ein einziges Argument zulässig wäre.

Die Vorzeichen waren damals dieselben wie heute: Die Abgabe von Impfstoffen durch Hersteller an Praxen, Kliniken und Gesundheitsämter war 1976 unter bestimmten Umständen erlaubt worden, 1994 wurde für Vakzine für Vorsorgeimpfungen die Apothekenpflicht wieder eingeführt. Mit dem 1998 gesetzlich definierten Versandverbot war der Distanzhandel endgültig vom Tisch; nur einige unentgeltliche oder im Notfall benötigte Schutzimpfungen waren weiter ausgenommen.

Markus Kerckhoff, Inhaber der Schloss-Apotheke in Bergisch-Gladbach, und Paul-Christoph Dörr, Chef der Berg-Apotheke in Tecklenburg, klagten. Sie hatten seit Anfang der 1990er Jahre mit der überregionalen Ansprache und Belieferung von Ärzten ein Millionengeschäft aufgebaut und prozessierten durch die Instanzen bis nach Karlsruhe.

Das BVerfG räumte ein, dass der Gesundheitsschutz Beschränkungen der Berufsausübungsfreiheit rechtfertigen kann. Dabei müsse der Gesetzgeber auch nicht unmittelbar bestimmten Gesundheitsgefahren begegnen; vielmehr stehe es ihm frei, über die Gestaltung von Rahmenbedingungen die Arzneimittelsicherheit zu verbessern. „Das kann durch Beratungs- und Informationspflichten, aber auch durch Vorgaben im Umgang mit Arzneimitteln geschehen.“

Allerdings stehe die Bedeutung solcher die Berufsfreiheit einschränkender Regelungen für die Gesundheit der Bevölkerung nicht ein für allemal fest. So seien „Rechtsänderungen in angrenzenden Sachgebieten und Erfahrungen mit anderen Regelungen“ bei der Definition und Gewichtung von Gemeinwohlbelangen zu berücksichtigen.

„Die gesetzgeberische Einschätzung wird fraglich, wenn zur Begründung von Gesetzesänderungen Gefährdungspotentiale herangezogen werden, die eine intensivere Beschränkung der Berufsfreiheit plausibel machen sollen, obwohl dafür tatsächliche Erkenntnisse fehlen. Auch dürfen Erfahrungen mit einer älteren, die Berufsangehörigen weniger belastenden Gesetzeslage bei einer Novellierung nicht einfach unbeachtet bleiben.“

Damit war der Rahmen gesetzt: Das Versandverbot für Impfstoffe genüge den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht, so die Richter. Die mit der Wiedereinführung der Apothekenpflicht verbundene „Verlängerung des Vertriebswegs und Verteuerung der Impfstoffe“ sei im Gesetzgebungsverfahren nicht gegen konkrete Sicherheitsbedenken abgewogen worden. „Von sicherheitsrelevanten Zwischenfällen oder sonstigen Anlässen für die Einführung der Apothekenpflicht wird nicht berichtet.“ Vielmehr sei die Auffassung, es handele sich bei der Direktabgabe um keine adäquate Abgabeform, „noch die konkreteste Aussage, bezieht sich jedoch nicht auf einen Gemeinwohlbelang“.

Mit Transportrisiken lasse sich das Versandverbot nicht begründen, da diese „weder erstmals noch in besonderem Maße bei einer Versendung zwischen Apotheke und Arzt“ auftreten: Hersteller, Großhandel und Apotheken seien dazu verpflichtet, die Impfstoffe für den Transport so zu verpacken, dass die erforderliche Kühlung sichergestellt sei. „Insofern kommt es nicht darauf an, wer der Empfänger ist. Der Versand zwischen Apotheker und Arzt ist nicht risikoreicher als der zwischen Großhandel und Apotheker oder der zwischen Großhandel und Arzt.“

Auch die Beratung ließ das BverfG nicht als Argument gelten, da sie nicht durch den Versand erschwert werde: „Gerade bei einem regelmäßigen Bestellkontakt zwischen einem Arzt und der versendenden Apotheke können Apotheker alle von ihnen für notwendig erachteten Informationen ohne besonderen Aufwand telefonisch oder der Ware schriftlich beigepackt dem Arzt unmittelbar zukommen lassen.“

Wiederholt verwiesen die Richter auch auf den Botendienst: Auch hier seien weder die Transportqualität noch eine Weitergabe wichtiger Informationen sichergestellt. „Da die Apothekenbetriebsordnung die Aushändigung von Arzneien nicht davon abhängig macht, dass vor ihrer Anwendung nur der Patient selbst oder der Arzt persönlich das Medikament abholt, vermindert der Versand die Chance pharmazeutischer Beratung nicht.“

Das Argument, dass der Versandhandel durch Wettbewerbsverzerrung die ausreichende Apothekendichte gefährden könne, überzeugte die Richter auch nicht – trotz der Konzentration auf einige wenige Spezialversender. „Solange die Zahl der Verordnungen im Impfstoffbereich bei weniger als 0,1 vom Hundert und ihr Umsatzanteil unter 0,2 vom Hundert liegen, ist nicht ersichtlich, inwieweit durch einen gesonderten Vertriebsweg für dieses Segment im Arzneimittelhandel Apotheken die wirtschaftliche Grundlage entzogen werden könnte.“

Sollte die Bundesregierung also tatsächlich mit einem Rx-Versandverbot liebäugeln, bliebe nur das Argument der flächendeckenden Versorgung, das – in der neuen Dimension – noch nicht in Karlsruhe angegriffen wurde. Der EuGH hatte bezweifelt, dass durch die Festlegung einheitlicher Rx-Preise eine bessere geografische Verteilung der Apotheken in Deutschland sichergestellt werden kann. So habe die Bundesregierung keine Beweise vorgelegt, dass der Preiswettbewerb dazu führe, dass „wichtige Leistungen wie die Notfallversorgung in Deutschland nicht mehr zu gewährleisten wären, weil sich die Zahl der Präsenzapotheken in der Folge verringern würde“.

ABDA-Präsident Friedemann Schmidt hatte Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) erklärt, dass das Verbot des Versandhandels ganz oben auf der Agenda stehe, „und zwar jetzt und sofort“. Die Apotheken hätten keine Zeit, um auf eine andere Lösung zu warten. Auf lange Sicht sei man zwar auch bereit, Grundsatzdebatten über neue Ordnungsmodelle zu führen. Die Union kann sich für den Gedanken erwärmen, entsprechende Signale gibt es auch aus Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Die SPD scheut vor einem Verbot derzeit zurück.

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