ABDA-Troika bei Gröhe Lothar Klein, 25.10.2016 15:08 Uhr
Seit dem EuGH-Urteil läuft bei der ABDA das Krisenmanagement auf Hochtouren. In den Regionen suchen die „Wahlkreisbotschafter“ der ABDA den Kontakt zu Landtags- und Bundestagsabgeordneten. In Berlin lobbyiert die ABDA-Spitze auf allen Ebenen. Gestern öffneten sich die Türen des Bundesgesundheitsministeriums (BMG). ABDA-Präsident Friedemann Schmidt traf sich mit Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU). Um Gröhe auf das geforderte Rx-Versandverbot einzuschwören, hatte Schmidt DAV-Chef Fritz Becker und Dr. Andreas Kiefer, Präsident der Bundesapothekerkammer, mitgebracht.
Über die Ergebnisse des Gesprächs wurde Stillschweigen vereinbart. Beim anstehenden Treffen des ABDA-Gesamtvorstandes wollen die Kammerpräsidenten und Landesvorsitzenden der Verbände aber mehr erfahren. Wie ernst ist es der Politik tatsächlich mit den Lippenbekenntnissen zum Rx-Versandverbot?
Derweil mehren sich die Stimmen aus den Koalitionsfraktionen für ein Rx-Versandverbot. Nach den Gesundheitspolitikern hat sich jetzt mit Gerda Hasselfeldt, Vorsitzende der einflussreichen CSU-Landesgruppe, erstmals eine führende Koalitionspolitikerin zu Wort gemeldet.
Die frühere Kurzzeit-Gesundheitsministerin will sich ebenfalls für ein Rx-Versandverbot einsetzen: „Patienten und Apotheken in ländlichen Regionen sind die Leidtragenden des EuGH-Urteils. Das dürfen wir nicht zulassen. Wir müssen eine flächendeckende Versorgung mit Apotheken vor Ort gewährleisten. Die Menschen auch im ländlichen Raum brauchen in ihrer Heimat eine Beratung und schnelle medizinische Versorgung im Arzt- und Apothekenbereich. Deshalb setze ich mich sehr dafür ein, den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in Deutschland zu verbieten. In anderen europäischen Ländern ist das bereits der Fall.“
Das hat Gewicht. Schließlich war es die CSU, die Ex-Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) in der vergangenen Legislaturperiode vor sich her zur Einführung des Nacht- und Notdienstfonds geschoben hat.
Wie viel die Versprechen pro Rx-Verbot tatsächlich Wert sind, muss sich trotzdem erst noch erweisen. Das Bundeswirtschaftsministerium von Vize-Kanzler Sigmar Gabriel (SPD) sich will beispielsweise zur ABDA-Forderung nicht äußern. Dort verweist man auf die Zuständigkeit des Gesundheitsministers. Eine Gesetzesinitiative Gröhes werde man zu gegebener Zeit prüfen, hieß es lediglich. Die Prüfung beziehe sich auch auf wettbewerbsrechtliche Aspekte eines Rx-Versandverbotes.
Die Zurückhaltung des BMWi ist insofern bemerkenswert, als das Haus von SPD-Chef Gabriel ein Forschungsprojekt zur Neuordnung des Apothekenhonorars vergeben hat. Und mit Professor Dr. Karl Lauterbach und Sabine Dittmar plädieren führende SPD-Gesundheitspolitiker für eine Stärkung der Beratungskomponente im Apothekenhonorar als Antwort auf das EuGH-Urteil. Sollte es auf eine solche Lösung hinauslaufen, käme die SPD mit ihrem Vize-Kanzler maßgeblich ins Spiel.
Auffallend ist zudem, dass die ABDA mit ihrer Forderung nach einem Rx-Versandverbot in der politischen Gesundheitslandschaft weitgehend alleine dasteht. Flankenschutz von anderen Verbänden gibt es so gut wie nicht: Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) lehnt eine Stellungnahme ebenso ab wie die Bundesärztekammer. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) will sich ebenso wenig dazu äußern. Selbst der Großhandelsverband Phagro, der sonst gerne das Bild vom gemeinsamen Boot bemüht, in dem Apotheker und Großhändler rudern, hüllt sich offiziell in Schweigen.
Mit großer Zurückhaltung äußern sich die Pharmaverbände: Pro Generika und der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) fordern den Gesetzgeber lediglich zu raschem Handeln auf. Ausweichend reagiert der Verband forschender Arzneimittelhersteller (VFA): „Der Gerichtshof der Europäischen Union hatte eine wichtige und schwierige Abwägung von Grundfreiheiten der Europäischen Union und Aspekten des mitgliedstaatlichen Gesundheitsschutzes vorzunehmen. Im konkreten Fall hat er im Ergebnis dem unionsrechtlichen Grundsatz des freien Warenverkehrs Vorrang gegeben. Die Auswirkungen werden nun im Einzelnen zu prüfen sein. Ob der deutsche Gesetzgeber die Entscheidung zum Anlass nehmen wird, den Rahmen für den Vertrieb von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln neu zu regeln, bleibt abzuwarten.“
Auch aus dem knappen Statement des Bundesverbandes der pharmazeutischen Industrie (BPI) kann man keine Unterstützung für die ABDA-Forderung nach einem Versandverbot herauslesen: „Das Urteil bestätigt die Geschäftspraxis einer ausländischen Versandapotheke, die Boni auf verschreibungspflichtige Arzneimittel zulässt. Zunächst betrifft das Urteil nicht die Hersteller von Arzneimittel, sondern direkt die konkurrierenden inländischen Apotheken, denen die Abgabe eines Bonus untersagt ist. Eine genauere Bewertung des Urteils ist erst dann möglich, wenn die Urteilsgründe vorliegen – dies aber auch nur eingeschränkt, weil nicht klar ist, ob der deutsche Gesetzgeber darauf reagieren wird. Insgesamt lässt sich aber sagen, dass der Druck auf die Arzneimittelpreise damit in Zukunft zunehmen und die Margen schmälern lassen wird.“
Bundesgesundheitsminister Gröhe befindet sich in einem politischen Dilemma: Wie er auch entscheidet, es bedeutet Ärger. Der krönende Abschluss seiner ersten Amtszeit soll das ohnehin noch umstrittene Pharmadialog-Gesetz werden.
Darin ließe sich ein Rx-Versandverbot zwar gesetzestechnisch problemlos einbinden. Allerdings: Es ist keineswegs sicher, dass Gröhe dafür in der Bundesregierung eine Mehrheit findet. Außerdem könnte ein Rx-Versandverbot die Beratung weiter verzögern und erschweren.
Politisch gilt es für den ehemaligen CDU-Parteimanager außerdem abzuwägen, ob ein Rx-Versandverbot außerhalb der Apothekerschaft als relativ kleiner Interessengruppe wahltaktisch größeren Schaden anrichtet. Nach zwölf Jahren den Versandhandel teilweise wieder zu verbieten, dürfte die unter Gröhe eingekehrte Ruhe in Gesundheitswesen erheblich stören. Neuen Klagen dagegen wären die Folge.