EuGH-Urteil

Rx-Boni: Kassen in Lauerstellung

, Uhr aktualisiert am 20.10.2016 16:32 Uhr
Berlin -

Quasi in dem Moment, als in Luxemburg der Hammer fiel, hat DocMorris auf den Knopf gedrückt und sein Bonus-Modell freigeschaltet. Bis zu zwölf Euro bei sechs verordneten Arzneimitteln können die Kunden mit ihrem Rezept einstreichen, bei der Europa Apotheek Venlo sind es sogar bis zu 30 Euro. Die Kassen prüfen fieberhaft, wie auch sie an Boni kommen könnten.

Nach Auffassung von DocMorris erlaubt der Richterspruch aus Luxemburg nicht nur Preisvorteile für die Versicherten. Auch Krankenkassen können Sonderkonditionen im Rahmen von Selektivverträgen angeboten werden, heißt es. Noch sei nichts Konkretes geplant. Aber kommen werde etwas, man dürfe gespannt sein.

So einfach ist die Sache freilich nicht: Rezepte mit deutschen Krankenkassen dürfen laut Sozialgesetzbuch (SGB V) nur Apotheken abrechnen, die dem Rahmenvertrag zur Arzneimittelversorgung beigetreten sind. Dazu reicht zwar eine Erklärung aus, doch die Vereinbarung sieht vor, dass entsprechend Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) abgerechnet wird. Eigens für ausländische Versandapotheken wurde sogar eine Klarstellung eingeführt: Für sie gelten explizit die Preisvorschriften nach Arzneimittel- und Heilmittelwerbegesetz – und damit das Rabattverbot.

Selektivverträge sind für die Arzneimittelversorgung bislang nicht vorgesehen; allenfalls an Verträgen beispielsweise zwischen Ärzten und Kassen können Apotheken neuerdings beteiligt sein. Ausgerechnet die ABDA hat sich zuletzt für eine Erweiterung der Vertragsmöglichkeiten im Sinne pharmazeutischer Dienstleistungen unabhängig von der Abgabe stark gemacht, Stichwort: Medikationsmanagement.

Die Fachabteilungen der Kassen arbeiten unter Hochdruck an einer Lösung, wie sie mit den EU-Versendern ins Geschäft und dabei in den Genuss von günstigeren Preisen kommen können. Denn auch wenn die Kassen schon häufiger für eine komplette Preisvergabe plädiert haben: Die aktuelle Situation, dass den Versicherten Boni gewährt werden, sieht man im GKV-Lager kritisch.

„Verschreibungspflichtige Arzneimittel in Apotheken sind keine Rabattware. Und wenn es Wirtschaftlichkeitsreserven gibt, sollten diese der Versichertengemeinschaft zugute kommen“, sagt der Vorsitzende des AOK-Bundesverbands, Martin Litsch. Ansonsten sei die Politik jetzt gut beraten, die Konsequenzen aus dem Urteil genau zu prüfen und keine Schnellschüsse zu produzieren. „Ein generelles Versandhandelsverbot wäre daher völlig übereilt.“

Kein Blatt vor den Mund nahm Dr. Christopher Hermann, Chef der AOK Baden-Württemberg: Die Entscheidung breche verkrustete Strukturen im Apothekenmarkt auf und öffne diesen im verschreibungspflichtigen Arzneimittelmarkt. „Diese überfällige Entwicklung begrüßt die AOK Baden-Württemberg ausdrücklich.“ Nun gehe es für den Gesetzgeber darum, die Maßgaben des EuGH zur Abschaffung einheitlicher Apothekenabgabepreise zeitnah umzusetzen.

Die einheitlichen Aufschläge und gesetzliche Rabatte der Apotheken müssten nun überarbeitet werden, findet Hermann. Zudem sei zur Einführung von Preiswettbewerb das derzeitige Verhandlungsmonopol der Apothekerverbände für Selektivverträge zwischen Krankenkassen und einzelnen Apotheken zu öffnen. „So kann die Solidargemeinschaft entlastet und direkte Vorteile auch – etwa über eine Absenkung der Zuzahlung – an die Versicherten weitergegeben werden“, so Hermann.

Auch bei der Barmer begrüßt man das Urteil, da es einen Beitrag zu mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen leisten könne. „Allerdings steht eine Umsetzung ins deutsche Recht noch aus. Möglich würden dann beispielsweise Verträge zwischen Krankenkassen und ausländischen Versandapotheken für eine qualitativ hochwertige und wirtschaftliche Arzneimittelversorgung. Detaillierte finanzielle Auswirkungen möglicher neuer Vertragsoptionen sind derzeit nicht zu beziffern.“

Ein anderer Kassenvertreter wird noch deutlicher: Er habe „arge Bauchschmerzen damit, wenn Versicherte private Vorteile beim Bezug von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln erlangen, die von der Solidargemeinschaft bezahlt werden“. Immerhin gehe es bei den Boni nicht um Kleinigkeiten wie einen Lippenpflegestift, sondern um „harte Euros“.

„Wenn der Bezug von Medikamenten zum Geschäft werden kann, setzt das falsche Anreize. Das ist nicht zielführend und ganz sicher nicht im Sinne des Gesetzgebers. Wenn die Preisbindung geknackt wird, muss das der Solidargemeinschaft zugute kommen und nicht Einzelnen.“ Wenn es Rabattmöglichkeiten im Rx-Segment gebe, stehe dieses Geld der Krankenversicherung zu. „Und dann müssen wir sehen, wie wir daran kommen.“

Bei den Kassen geht man davon aus, dass die EU-Versender zweigleisig fahren werden: „Sie werden versuchen, mit Boni Privatkunden zu binden und gleichzeitig den Schulterschluss mit den Kassen suchen“, so der Kassenchef. Die Angebote seien dann zu prüfen.

In der Vergangenheit hatten sich Versandapotheken und Kassen wenig um den gesetzlichen Rahmen geschert. Rezepte wurden einfach zur Abrechnung eingeschickt – und meistens auch bezahlt. Nur der Umgang mit der Mehrwertsteuer blieb ein Streitthema, bei dem sich schließlich der Gesetzgeber einschalten musste. Dass die Versender überhaupt dem Rahmenvertrag beigetreten sind, hat nichts mit Rechtstreue zu tun: DocMorris blieb vor dem Beitritt auf den Herstellerabschlägen sitzen – und das war schlichtweg zu teurer.

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