Abkürzung zum Rx-Versandverbot APOTHEKE ADHOC, 29.11.2016 10:10 Uhr
Europa- und verfassungsrechtlich soll es wasserdicht sein, das von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) angestrebte Rx-Versandverbot. Allzu groß ist die Gefahr, sich politisch die Finger zu verbrennen. So soll auch gleich die EU offensiv eingebunden werden, um alle Einsprüche im Vorfeld abzufangen. Doch für ein Notifizierungsverfahren besteht aus Sicht des Bundesverbands Deutscher Apothekenkooperationen (BVDAK) keine Notwendigkeit.
Der BVDAK hatte bei Dr. Morton Douglas von der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen ein Gutachten zur Machbarkeit eines Rx-Versandverbots aus europarechtlicher Perspektive in Auftrag gegeben. Fazit: Weder wäre eine solche Maßnahme von vornherein angreifbar, noch müsste die EU eingebunden werden. BVDAK-Chef Dr. Stefan Hartmann fordert den Gesetzgeber daher auf, umgehend aktiv zu werden und das geplante Rx-Versandhandelsverbot in Deutschland umzusetzen.
Laut Gutachten ist ein Verbot des Rx-Versandhandels bereits durch das EuGH-Urteil aus dem Jahr 2003 gedeckt. Selbst Generalanwalt Maciej Szpunar habe in seinen Schlussanträgen zu Rx-Boni darauf abgehoben, dass man gleichzeitig ein Rx-Versandverbot befürworten und das System der Preisbindung als das „kleinere Übel“ verbieten könne.
„Damit ist davon auszugehen, dass die Auffassung des EuGH, wonach ein Versandhandelsverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel aus Gründen des Gesundheitsschutzes rechtmäßig die Warenverkehrsfreiheit beschränken kann, nach wie vor Geltung hat“, schreibt Douglas. „Anderenfalls hätte der Generalanwalt in seinen jüngsten Schlussanträgen ein derartiges Bekenntnis zur Rechtssprechung des EuGH aus dem Jahr 2003 nicht abgeben können.“
Viel schwerer wiegt laut Douglas aber die Tatsache, dass ein Rx-Versandverbot inzwischen auch primärrechtlich anerkannt wurde: So sieht die Humanarzneimittel-Richtlinie, die eigentlich auf eine Vollharmonisierung ausgelegt ist, explizite Ausnahmen vor. In Artikel 4 heißt es: „Die Bestimmungen dieser Richtlinie berühren nicht die Zuständigkeiten der Behörden der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Festsetzung der Arzneimittelpreise und ihrer Einbeziehung in den Anwendungsbereich der innerstaatlichen Krankenversicherungssysteme aufgrund gesundheitlicher, wirtschaftlicher und sozialer Bedingungen.“
Es sei „eine der Überraschungen des Verfahrens vor dem EuGH“ gewesen, dass die Richter sich nicht mit dieser Vorschrift auseinandergesetzt habe, so Douglas. Zumindest die Frage, inwiefern sich die Preisbindung vor diesem Hintergrund rechtfertigen lasse, wäre zu thematisieren gewesen.
Noch größere Bedeutung haben laut Douglas aber die Artikel 85c und 85d, in denen Details zum Fernabsatz von Arzneimitteln geregelt sind. Jeweils vorangestellt ist beiden Paragrafen die Einschränkung, dass sie „unbeschadet der nationalen Rechtsvorschriften, mit denen das Angebot verschreibungspflichtiger Arzneimittel an die Öffentlichkeit zum Verkauf im Fernabsatz durch Dienste der Informationsgesellschaft verboten wird“, ihre Geltung entfalten.
„Das Europäische Recht hat damit nun auch im Primärrecht festgeschrieben, dass hier – in Abkehr vom Grundsatz der Vollharmonisierung – die Nationalstaaten jeweils für sich entscheiden dürfen, ob sie den Versand mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zulassen wollen oder nicht“, so Douglas.
Er verweist auch auf die Begründung zur Richtlinie, nach der der Einzelhandel mit Arzneimitteln nicht auf Unionsebene harmonisiert ist und den Mitgliedstaaten ein Wertungsspielraum zuzuerkennen ist, auf welchem Niveau und mit welchen Mitteln sie den Gesundheitsschutz gewährleisten. Dabei sollte das Funktionieren des Binnenmarktes „nicht unangemessen beeinträchtigt“ werden.
Laut Douglas ist auch ein Notifizierungsverfahren nicht notwendig. Die „Richtlinie betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der Preisfestsetzung bei Arzneimitteln“ greift laut Douglas nicht, weil das Rx-Versandverbot keine Preisregelung darstellt.
Die „Richtlinie über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft“ könnte greifen, sieht aber Ausnahmen von der Notifizierungspflicht für Maßnahmen vor, „die Schutzklauseln in Anspruch nehmen, die in verbindlichen Rechtsakten der Union geregelt sind“.
Eine systematische Auslegung der Humanarzneimittel-Richtlinie spricht laut Douglas dafür, dass der europäische Gesetzgeber „eine abschließende Regelung schaffen wollte und insoweit darüber hinausgehende Prüfungen nicht beabsichtigt hat“. Aus diesem Grund komme auch eine potenzielle Verfälschung und Verzerrung der Wettbewerbsbedingungen als Auslöser für eine Notifizierungspflicht nicht in Betracht.
Da das Rx-Versandverbot bereits Gegenstand einer Richtlinie gewesen sei, könne „Sinn und Zweck der Notifizierungsverpflichtung nicht erfüllt werden“. Douglas: „Es wurde bereits auf europäischer Ebene positiv entschieden, dass es den Nationalstaaten obliegt, die Regelung über die Frage des Versandes von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln eigenständig zu entscheiden, einschließlich der Kenntnis über die damit einhergehenden Beschränkungen des freien Warenverkehrs.“
Douglas weist noch darauf hin, dass eine Regelung, die nur unter Einbindung der EU hätte erlassen werden dürfen, nicht automatisch unwirksam ist: Vielmehr käme es im nationalen Verfahren darauf an, ob ein Gericht die Vorschrift für unanwendbar erklärt oder ob es dieses, weil es keine Notifizierungspflicht sehe, uneingeschränkt anwende. DocMorris hatte vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erfolglos versucht, die Ausweitung der Preisbindung mit diesem Argument zu Fall zu bringen.
Douglas will mit seinem Gutachten aufzeigen, dass sich ein Rx-Versandverbot in Angriff nehmen lässt. Ob eine solche Regelung der inhaltlichen Prüfung stand halten würde, kann auch er nicht einschätzen: „Niemand weiß, wie sich der EuGH 2018 zu einem entsprechenden Vorlageverfahren äußern würde. Vom heutigen Stand aus gesehen, ließe sich das Vorhaben aber in Angriff nehmen.“
Sollte das geplante Rx-Versandverbot doch in der EU angemeldet werden, würde das Verfahren deutlich in die Länge gezogen, so Douglas. Zunächst beginnt eine drei- bis sechsmonatige „Stillhaltefrist“. Innerhalb dieser Zeit können Mitgliedstaaten sich zum Gesetzentwurf äußern und Fragen stellen. Die Kommission darf das Vorhaben weitere 12 bis 18 Monate sperren, wenn schon eine Harmonisierung in Arbeit ist. Für eilige Angelegenheiten gibt es Dringlichkeitsverfahren mit verkürzten Fristen.
Der Gesetzentwurf darf danach im Rahmen der parlamentarischen Beratung nicht mehr verändert werden, da sich die Notifizierung auf den Wortlaut des eingereichten Gesetzes bezieht. Das setzt voraus, dass der Kabinettsentwurf auch mit den Koalitionsfraktionen bereits abgestimmt sein muss. Sollte es in der Beratung des Parlaments trotzdem Änderungen geben, müsste ein neues Notifizierungsverfahren starten.
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