EuGH-Urteil

Dettling: Gute Gründe für Rx-Versandverbot

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Berlin -

Als Reaktion auf das EuGH-Urteil fordert die ABDA nun vom Gesetzgeber ein Rx-Versandverbot. Im Lager der Holland-Versender wird dieser Vorstoß nicht besonders ernst genommen und auch auf Seiten der Apotheker gibt es Skeptiker. Rechtsanwalt Dr. Heinz-Uwe Dettling von der Stuttgarter Kanzlei Oppenländer Rechtsanwälte hält ein Rx-Versandverbot dagegen für gut begründbar. Und immerhin fängt die Politik an, sich zu bewegen.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden, dass sich ausländische Versandapotheken nicht an die deutsche Preisbindung zu halten brauchen. DocMorris & Co. dürfen demnach Kunden mit Rabatten locken, die deutschen Apotheken verboten sind. Ein vollständiges Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln wäre die radikale Antwort.

Als Eingriff in die Berufsfreiheit der Versandapotheker – deutscher wie ausländischer – müsste der Gesetzgeber die Maßnahme allerdings gut begründen. Genau daran waren frühere Vorstöße gescheitert, mit denen unter anderem Pick-up verhindert werden sollte. Bundesjustiz- und Bundesinnenministerium hatten verfassungsrechtliche Bedenken angemeldet. Kritiker des Versandverbots stellen auch heute wieder darauf ab.

In seinem Urteil zum Versandhandel hatte der EuGH den Mitgliedsstaaten 2003 freigestellt, den Rx-Versand zu verbieten. Nur bei OTC darf es demnach keine Einschränkung geben. Auf diese Vorgabe berufen sich heute die Unterstützer des Rx-Versandverbots. Dettling zufolge spielt es auch keine Rolle, dass der Versandhandel in der Zwischenzeit mehr als zwölf Jahre uneingeschränkt möglich war. Denn dem Rechtsanwalt zufolge hat sich die Gemengelage mit dem EuGH-Urteil deutlich verändert.

Dettling zufolge kann man das Verbot mit Blick auf die flächendeckende Versorgung rechtfertigen: „Versender sind strukturell nicht in der Lage zu einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung. Wir sprechen hier von der Regelversorgung, mit Akutfällen und einer persönlichen Beratung vor Ort. Die Struktur für die Regelversorgung benötigt eine wirtschaftliche Grundlage.“

Genau diese sieht Dettling gefährdet, wenn ausländische Versandapotheken jetzt mit Boni wirtschaftlich attraktive Patienten zu sich lockten. Es sei zu befürchten, dass bestehende Strukturen unwiederbringlich zerstört würden. Beim Ärztemangel auf dem Land sei genau das geschehen. Mit einem Rx-Versandverbot ließe sich dem Dettling zufolge entgegenwirken.

Rechtssicherheit gäbe es zwar wiederum vermutlich erst in einigen Jahren. Denn DocMorris würde gegen ein Verbot klagen. Die Sache müsste bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) beziehungsweise das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) getrieben werden oder ein Gericht würde auch diesen Fall in Luxemburg vorlegen. DocMorris würde vermutlich trotz etwaiger gesetzlicher oder gerichtlicher Verbote weiter Boni gewähren – zumindest hat es die Versandapotheke in der Vergangenheit so gehandhabt. Der Vorteil wäre Dettling zufolge aber, dass die Krankenkassen in diesem Fall keine Selektivverträge mit ausländischen Versandapotheken schließen dürften. Die Apotheker würden Zeit gewinnen bis zu einer endgültige Klärung.

Deshalb sollte der Gesetzgeber ein Rx-Versandverbot Dettling zufolge schnell umsetzen, am besten schon mit dem Arzneimittel-Versorgungsstärkungsgesetz (AM-VSG). Das geht jetzt in die parlamentarische Beratung und soll im Frühjahr in Kraft treten. In einem zweiten Schritt sollte sich Deutschland dann für eine Anpassung der EU-Verträge stark machen, rät Dettling. Im Rahmen des bevorstehenden „Brexit“ müsse die Bundesregierung auf eine erneute Klarstellung drängen, dass die Versorgung der Endverbraucher allein Angelegenheit der Mitgliedsstaaten sei.

„Der EuGH hat mit seinem Urteil einen Anspruch des Schlechteren auf Erfolg im Wettbewerb geschaffen“, empört sich Dettling. Das sei weder mit dem Rechtsgedanken noch mit dem Wettbewerbsgedanken vereinbar. Schlechtere Anbieter zu begünstigen, weil sie sonst keine Chance hätten, fördere nicht das Ziel des Wettbewerbs. „Wenn es Sinn und Zweck der EU ist, dass sich schlechtere Angebote aus anderen Mitgliedstaaten durchsetzen müssen, nur weil sie aus anderen Mitgliedstaaten stammen, hat die EU ihre Legitimationsgrundlage verloren“, so Dettling.

In seinem Urteil hat der EuGH die Argumentation mit der flächendeckenden Versorgung nicht akzeptiert und konkrete Zahlen verlangt. Dettling hat dafür überhaupt kein Verständnis: „Der EuGH fordert inzwischen statistische Nachweise für Dinge, die offenkundig sind.“ Das sei nicht nur rechtlich verfehlt, schon im Blick auf das vom EuGH anerkannte Vorsorgeprinzip. „Die Forderung eines statistischen Nachweises für die zerstörende Wirkung von rosinenpickenden Einzelanbietern auf die flächendeckende Versorgung steht auch im klaren Gegensatz zur bisherigen Rechtsprechung des EuGH etwa zu Universaldiensten. Für diese sind auch im Recht der Europäischen Union primärrechtlich einheitliche Preise gerade zur Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung vorgesehen“, so Dettling.

So habe der EuGH schon 1993 festgestellt, dass ein freier Preiswettbewerb mit dem Anliegen einer zuverlässigen, gleichmäßigen und flächendeckenden Versorgung in Konflikt gerät. „Deshalb kann nach der Rechtsprechung des EuGH eine Beschränkung oder sogar der Ausschluss jeglichen Wettbewerbs von Seiten anderer Wirtschaftsteilnehmer erforderlich sein, um es dem Universaldienstleister, der für die flächendeckende Versorgung verantwortlich ist, zu ermöglichen, seine im allgemeinen Interesse liegende Aufgabe unter 'wirtschaftlich tragbaren Bedingungen' zu erfüllen“, so Dettling. Insbesondere müsse die Möglichkeit eines Ausgleichs zwischen den rentablen und den weniger rentablen Tätigkeitsbereichen gegeben sein.

Im Jahr 2005 habe der EuGH zudem festgestellt, dass es sich bei der Arzneimittelversorgung um einen solchen Universaldienst handelt. Entsprechend habe Luxemburg noch vor Kurzem im Urteil zur Vereinbarkeit des Verbots „parapharmazeutischen Verkaufsstellen“ in Italien mit dem Unionsrecht argumentiert, dass durch rosinenpickende Anbieter die flächendeckende Versorgung gefährdet werde.

Höchstpreise – wie von den deutschen Versendern gefordert – sind dagegen aus Dettlings Sicht keine Antwort: Gegen ein solches Rosinenpicken böten sie keinen Schutz, im Gegenteil. Höchstpreise seien zudem gerade keine wettbewerbliche Lösung, sondern der tiefgreifendste Eingriff in die Berufsfreiheit von Apothekern.

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