BMWi: „Nachteilsausgleich“ für Apotheken Lothar Klein, 03.11.2016 15:23 Uhr
Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) steht dem Rx-Versandverbot als Antwort auf das EuGH-Urteil skeptisch gegenüber. Dr. Rainer Sontowski, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium (BMWi), warnte vor „Schnellschüssen“. Stattdessen müsse man „kluge Entscheidungen“ treffen. Lutz Stroppe, Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium (BMG), zeigte sich offen für andere Lösungen.
Nach Ansicht von Sontowski muss die Bundesregierung die flächendeckende Arzneimittelversorgung in Deutschland sicherstellen. In diesem Punkt sind sich BMWi und BMG einig. Allerdings will das BMWi andere Wege beschreiten: Nach dem EuGH-Urteil müsse man über einen „Nachteilsausgleich“ für inländischen Apotheken nachdenken. So könne man beispielsweise einen Teil des Apothekenhonorars für Rabatte und Boni freigeben, sagte Sontowski.
Zu dem von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) öffentlich unterbreiteten Vorschlag eines Rx-Versandverbotes wollte sich Sontowski demonstrativ nicht äußern. Dem BMWi liege kein solcher Entwurf vor. Daher könne man dazu keine Bewertung abgeben.
Auch Stroppe äußerte sich zurückhaltender zum Rx-Versandverbot. Trotz verschiedener Meinungsverschiedenheiten habe das BMG mit dem BMWi am Ende stets einen „gemeinsamen Weg“ gefunden, sagte Stroppe. Das werde auch in dieser Frage so sein. Man sei sich einig, dass die flächendeckende Arzneimittelversorgung durch Vor-Ort-Apotheken in Deutschland gesichert werden müsse.
Der Versandhandel könne viel und sei „in vielen Bereichen eine Bereicherung“, so Stroppe weiter. Aber „Arzneimittel sind keine Bücher“ oder Telefone oder andere Dinge, wandte sich der BMG-Staatssekretär gegen Bezüge zur Buchpreisbindung. Vor allem könne der Versandhandel mit Arzneimittel die Beratungsleistung in der Apotheke nicht ersetzen.
Bei der Entscheidung über eine Antwort der Bundesregierung auf das EuGH-Urteil gelte es „viele Dinge zu bedenken“, sagte Stroppe: „Wie sieht die flächendeckende Versorgung durch Vor-Ort-Apotheken in Deutschland aus? Welche Wirkung geht von einem Rx-Versandverbot auf das deutsche Gesundheitssystem aus? Welchen Nutzen haben chronisch Kranke vom Versandhandel?“ Stroppe: „Das ist ein schwieriger Abwägungsprozess.“
Das BMG habe entschieden, „in einem ersten Schritt“ das Rx-Versandverbot zu prüfen. „Das werden wir in den nächsten Wochen und Monaten vorantreiben“, so Stroppe. Man werde dafür in den Fraktionen und in der Bundesregierung werben. „Wir werden dann sehen, welche Lösung eine Mehrheit finden kann, in welche Richtung es geht“, vermied der BMG-Staatssekretär eine Festlegung auf das Rx-Versandverbot.
In der Unionsfraktion wird eine Alternative zum Rx-Versandverbot gesucht. Dort lässt man die rechtlichen Möglichkeiten prüfen, Rx-Boni von den Patienten in die GKV-Solidarkasse umzulenken. Damit soll der Anreiz für Rx-Bestellungen bei ausländischen Versandapotheken verloren gehen. Es dürfe nicht sein, dass zuzahlungsbefreite Patienten mit niedrigem Einkommen an Rx-Boni verdienten. Das berühre ethische Fragen und laufe dem Solidarprinzip zuwider.
Inzwischen werden auch in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Stimmen für den Erhalt des Rx-Versandhandels laut: „Den Versandhandel gibt es. Viele sind darauf angewiesen oder nehmen ihn aus Komfortgründen gerne in Anspruch und deshalb sollte es ihn auch weiterhin geben. Ich bin da für Wettbewerb“, schreibt die für E-Health zuständige CDU-Politikerin Katja Leikert auf Facebook. Wer Beratung und Individualrezepturen brauche, könne sie ja weiterhin in der Apotheke erhalten. Die Stimmung am Infostand zur Versandapotheke - gerade von der älteren Bevölkerung geäußert, sei eindeutig: „Es braucht beides zur flächendeckenden Versorgung einer alternden und sehr mobilen Bevölkerung. Das ist das realistische Szenario.“
Auf den Versand rezeptpflichtiger Arzneimittel sei beispielsweise derjenige angewiesen, „der nicht gut zu Fuß ist oder wie ich meist nicht zu den Öffnungszeiten der Apotheken am Ort ist und wenn man am Ort ist und das Medikament nicht vorrätig, dann nochmal hinfahren muss“, so Leikert auf Facebook: „Das ist also einfach lebensnah und praktisch und für viele angepasst an den Lebensrhythmus.“ Am Ende werde es so sein wie im Tourismusgeschäft: Die meisten Menschen schätzten die persönliche Beratung und buchten deshalb nicht nur online. Leikert: „So ist es mit den Apotheken auch. Das muss man realistisch sehen.“
Ähnlich äußerte sich auch der niedersächsische CDU-Abgeordnete Maik Beermann auf Twitter: „Versandverbot von rezeptpflichtigen Medikamenten ist falsch! Versandapotheken werden zur Daseinsvorsorge im ländlichen Raum benötigt!“