4:3 für die Preisbindung Alexander Müller, 20.10.2015 14:24 Uhr
Das Schicksal der Arzneimittelpreisbindung entscheidet sich in Luxemburg. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) verhandelt zu der Frage, ob das Rx-Boni-Verbot auch für ausländische Versandapotheken gilt. Die Frage ist so grundsätzlich, dass neben den Beteiligten auch die EU-Kommission, die Bundesregierung sowie drei weitere Mitgliedsstaaten Stellungnahmen nach Luxemburg geschickt haben. Dem Vernehmen nach steht es bislang ausgeglichen.
In dem Verfahren ging es ursprünglich nur um ein Bonusmodell der Deutsche Parkinson Vereinigung (DPV) in Zusammenarbeit mit der Versandapotheke DocMorris. Im Auftrag der Bayerischen Landesapothekerkammer (BLAK) hatte die Wettbewerbszentrale gegen das Modell geklagt und in erster Instanz auch Recht bekommen. Im Berufungsverfahren hatte das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) den Fall jedoch überraschend dem EuGH vorgelegt.
Der EuGH hat mittlerweile die Stellungnahmen eingeholt. Anders als in Verfahren vor deutschen Gerichten, bei denen immer wieder Schriftsätze ausgetauscht werden, hat man in Luxemburg nur einen Aufschlag. Danach entscheidet das Gericht entweder sofort oder lädt zur mündlichen Verhandlung.
Zur Stellungnahme berechtigt sind die Beteiligten im Ausgangsverfahren sowie die Institutionen und Mitgliedsstaaten der EU. Neben der EU-Kommission und der Bundesrepublik Deutschland haben sich die Regierungen der Niederlande, Italien und Schweden zur Sache geäußert – und natürlich DocMorris und die Wettbewerbszentrale. Die Meinungen gehen auseinander.
Die Wettbewerbszentrale lässt sich in Luxemburg von Rechtsanwalt Dr. Claudius Dechamps von der Kanzlei Waldeck vertreten. Dieser hatte für die Apotheker schon das EuGH-Verfahren zum Fremd- und Mehrbesitzverbot gewonnen. Für die DPV ziehen die DocMorris-Anwälte der Hamburger Kanzlei Diekmann in die Schlacht. Hier sind die Rollen klar verteilt.
Die EU-Kommission steht auf der Seite von DocMorris und fordert sieht in der Preisbindung einen Beschränkung des Binnenmarktes. Das verwundert nicht weiter, da die Brüsseler Behörde gegen Deutschland bereits ein Vertragsverletzungsverfahren in dieser Sache eingeleitet hatte. Dabei ging es um eine Änderung des Arzneimittelgesetzes (AMG) im Oktober 2012. Damit hatte die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung klargestellt, dass auch ausländische Versandapotheken sicher hierzulande an die Preisbindung halten müssen. Zuvor hatte dies schon der Gemeinsame Senat der obersten Bundesgerichte bestätigt.
Erwartbar war daher auch, dass die Bundesregierung die deutsche Rechtslage in Luxemburg verteidigen würde. In ihrer Stellungnahme argumentiert die Regierung, die Preisbindung sei für die flächendeckende Arzneimittelversorgung essenziell. Die Große Koalition befürchtet ein Apothekensterben in der Fläche, sollten Versandapotheken mit Rabatten bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln werben dürfen.
Entsprechend hatte die Regierung auch schon auf das Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission reagiert. Dies wird vermutlich bis zur EuGH-Entscheidung ruhen. Ohnehin hatte die Kommission bislang darauf verzichtet, Deutschland selbst in Luxemburg zu verklagen. Das ist normalerweise der nächste Schritt, wenn ein Mitgliedsstaat die Vorwürfe aus Brüsseler Sicht nicht ausräumen kann.
Die Niederlande sind ebenfalls für eine Aufhebung des Rx-Boni-Verbots in Deutschland. Das dürfte auch damit zusammenhängen, dass mit DocMorris und der Europa Apotheek Venlo (EAV) gleich zwei niederländische Versender am Markt sind, die ihr Geschäft hauptsächlich in Deutschland machen. Gerade DocMorris soll unter dem Boni-Verbot gelitten haben. Die Versandapotheke hatte nichts unversucht gelassen, das Verbot zu umgehen.
Die schwedische Regierung unterstützt dagegen dem Vernehmen nach Deutschland. Auch Italien ist in einer sehr knappen Stellungnahme verhalten positiv. Die Preisvorschriften werden zwar als Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit angesehen, diese seien aber mit dem Gesundheitsschutz zu rechtfertigen.
Das OLG hat dem EuGH drei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt: Konkret geht es um Artikel 34, der die mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten verbietet (Warenverkehrsfreiheit), sowie Artikel 36, der solche Beschränkungen erlaubt, die zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gerechtfertigt sind. Das OLG teilt die Zweifel der EU-Kommission, dass ein Rx-Boni-Verbot für ausländische Versender gerechtfertigt ist.
Sollte der EuGH keine Beschränkung des Warenverkehrs sehen, ist der Fall laut OLG schnell geklärt: Dann sei die Klage abzuweisen und Rx-Boni wären verboten. Komplizierter wäre es demnach, einen festgestellten Verstoß gegen das EU-Recht zu rechtfertigen – worauf die zweite Frage des OLG zielt.
Die Düsseldorfer Richter sind sich bewusst, dass der EuGH solche Rechtfertigungen bislang anerkannt hat. Doch da Patienten heute mehr Möglichkeiten hätten, Arzneimittel im Internet zu bestellen, könnte der EuGH seine bisherige Rechtsprechung zumindest relativieren, so das Argument.
Wenn der EuGH die Beschränkungen für zulässig erklärt, muss das OLG sich nach eigener Auffassung mit der Behauptung befassen, nur die Preisbindung allein sichere eine flächendeckende Versorgung mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Die dritte Frage an den EuGH soll klären, wie hoch die Anforderungen an eine solche Feststellung sein müssten. Denn der Gesetzgeber begnüge sich mit dem bloßen Hinweis auf diese Gefahren. Davon habe sich schon die EU-Kommission nicht überzeugen lassen.
Grundsätzlich ist auch dem OLG bewusst, dass das Bonusmodell von DocMorris gegen das Arzneimittelgesetz (AMG) und die Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) verstößt. Entscheidend sei, ob die gesetzlichen Vorschriften auch europarechtskonform seien. Dies ist laut OLG mit Verweis auf die unterschiedlichen Positionen umstritten – auch nach der Entscheidung des Gemeinsamen Senats.
Einen Termin zur mündlichen Verhandlung hat der EuGH noch nicht bestimmt. Möglich ist auch, dass die Luxemburger Richter ohne Verhandlung auf Grundlage der Akten entscheiden. Beide Varianten – Verhandlung oder Verkündung – könnten Beteiligten zufolge im Frühjahr 2016 anstehen. Jeder Beteiligte kann eine mündliche Verhandlung beantragen, der EuGH ist daran aber nicht gebunden.