Nicht 1:1 übertragbar, aber ...

EuGH hat geliefert, Bundesregierung ist in der Pflicht

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Berlin -

Mit Rabatten und plakativen Werbeanzeigen sind die großen niederländischen Versandapotheken auf Kundenakquise. Doch die Mitgliedstaaten dürfen den Aktivitäten auch Grenzen setzen, hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Zusammenhang mit dem Auftritt von Shop Apotheke in Frankreich entschieden. Das Urteil hat nach der Entscheidung zur Rx-Preisbindung vor vier Jahren viele Experten überrascht. Was sich daraus für Deutschland ableiten lässt und warum die Bundesregierung in der Pflicht ist, erklärt Dr. Timo Kieser von der Kanzlei Oppenländer Rechtsanwälte.

Laut EuGH dürfen die Mitgliedstaaten die Rabatte und Werbeanzeigen von Versendern wie Shop Apotheke verbieten, wenn dadurch aus ihrer Sicht das Ansehen des Apothekerberufs in Mitleidenschaft gezogen und ein Mehrverbrauch von Arzneimitteln induziert wird. Die Vorschriften müssen aber in ihrer konkreten Ausgestaltung geeignet sein, das jeweilige Ziel auch zu erreichen. Dies zu prüfen, ist laut EuGH Sache des nationalen Gerichts.

Nachdem der EuGH die deutsche Rx-Preisbindung im Oktober 2016 ohne viel Federlesen gekippt hatte, hatten nur wenige Experten mit einer solchen Entscheidung gerechnet. Weder ein Rx-Versandverbot noch andere nationale Beschränkungen schienen nach der Entscheidung eine Aussicht auf Erfolg zu haben. Regelrecht unangreifbar schienen DocMorris & Co. für viele Apotheker und Beobachter zu sein. Gibt das aktuelle Urteil nun neuen Rückenwind?

Nicht 1:1 auf Deutschland übertragbar

Laut Kieser ist Zurückhaltung geboten, was die Übertragbarkeit der Überlegungen des EuGH auf die Rechtslage in Deutschland angeht. In dem Streit ging es um Rabatte, aber auch um Werbeflyer und Google-Ads. „Vergleichbare gesetzliche Regelungen gibt es in Deutschland nicht; allenfalls die Berufsordnungen des Landesapothekerkammern enthalten Werbeverbote, die in eine solche Richtung gehen können.“ Allerdings fänden die berufsrechtlichen Regelungen auf ausländische Versender keine Anwendung, so Kieser. „Die Rechtsprechung in Deutschland war bei der Übertragung berufsrechtlicher Regelungen in die wettbewerbsrechtliche Generalklausel in der Vergangenheit zudem sehr zurückhaltend.“

Dazu kommt aus seiner Sicht, dass sich der Gesetzgeber 2003 dafür entschieden, den Wettbewerb im Bereich der OTC-Arzneimittel zuzulassen. „Er hat die frühere Preisbindung aufgehoben, in der klaren Erwartungshaltung, dass es über Werbung und Preis einen Wettbewerb um Kunden gibt.“ Schon 1996 habe sich das Bundesverfassungsgericht intensiv mit Werbebeschränkungen für Apotheker beschäftigt und betont, dass ein Apotheker nicht nur Heilberufler, sondern auch Kaufmann sei und als solcher mit anderen Unternehmen im Wettbewerb stehe. „Werbeverbote bedürfen deshalb als Einschränkung der Berufsfreiheit nach Art. 12 GG einer besonderen Rechtfertigung“, so Kieser. „Selbst wenn der deutsche Gesetzgeber sich dazu entschließen sollte, vergleichbare Verbotsnormen wie in Frankreich einzuführen, würden diese zwar einer europarechtlichen Beurteilung gegebenenfalls Stand halten, ob das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe solche Verbote mit Blick auf das hohe Gut der Berufsfreiheit halten würde, ist jedoch fraglich.“

Laut Kieser enthält das Urteil trotzdem viele interessante Punkte. So habe sich der EuGH „erfrischend klar“ mit dem Anwendungsbereich der Artikel 86 bis 100 des Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel befasst. Die Werbung für den Onlineverkauf von Arzneimitteln sei demnach keine Werbung für bestimmte Arzneimittel und werde daher von den entsprechenden Artikeln nicht erfasst. „Ich bin gespannt, ob sich der Bundesgerichtshof sich zukünftig daran orientiert. Er hat in der Vergangenheit den Anwendungsbereich des §§ 1, 7 Heilmittelwerbegesetz (HWG) sehr weit gezogen und auch eine allgemeine Sortimentswerbung als Produktwerbung, auf die das Zuwendungsverbot des § 7 HWG Anwendung findet, eingeordnet. Zuletzt war dies bei Brötchen-Gutscheinen der Fall.“

Wo war die Bundesregierung?

Laut Kieser zeigt das Urteil aber auch deutlich, dass sich Engagement der betroffenen Länder und Regierungen in Verfahren vor dem EuGH lohnt. „Die französische Regierung hat offensichtlich in ihren Stellungnahmen die beanstandeten Regelungen intensiv und gut verteidigt und gerechtfertigt und wurde dabei auch von anderen Ländern wie Spanien untertützt. Es ist schade, dass die deutsche Regierung – anders als zum Beispiel die spanische, niederländische oder griechische Regierung – zu dem Verfahren keine Erklärungen abgegeben hat.“

Für den Apothekenrechtsexperten ist dies ein weiteres Zeichen dafür, dass die Bundesregierung mit dem EuGH-Urteil zur Rx-Preisbindung „im Stillen zufrieden“ ist. „Hierzu passt das sonstige Schweigen der Bundesregierung. In den noch anhängigen obergerichtlichen Verfahren hat die Bundesregierung die vom Oberlandesgericht erbetene Stellungnahme zur Bedeutung der Arzneimittelpreisbindung für die Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln auch nach 2,5 Jahren nicht beantwortet“, so seine deutliche Kritik.

„Wollte man der Preisbindung seitens der Bundesregierung vor dem EuGH eine zweite Chance geben, hätte sich eine Stellungnahme in dem französischen EuGH-Verfahren ebenso angeboten wie eine zeitnahe Beantwortung der oberlandesgerichtlichen Anfrage. Stattdessen geht das Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheke unter anderem mit der Abschaffung des § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG und des nur sozialrechtlichen Boniverbots in die falsche Richtung.“

Laut Kieser zeigt das Urteil der Dritten Kammer am EuGH sehr schön auf, dass die Mitgliedstaaten nach wie vor einen relevanten Bewertungs- und Einschätzungsspielraum haben, welche Regelungen zur Erhaltung des Gesundheitsschutzes notwendig sind. Selbst die aus deutscher Sicht äußerst restriktive Verbotsregel zur Setzung entgeltlicher Links in Suchmaschinen und Preisvergleichsportalen sei nicht als offensichtlich europarechtswidrig eingestuft verworfen. Vielmehr müsse das nationale Gericht prüfen, ob der Schutz der öffentlichen Gesundheit durch die Regelung erreicht werden könne. „Eine solche Zurückhaltung und Berücksichtigung der Kompetenzen der Mitgliedsstaaten hätte man sich bei dem Parkinson-Urteil der Ersten Kammer im Jahr 2016 gewünscht.“

Auch ansonsten überzeugt die Entscheidung aus seiner Sicht durch sorgfältige Abwägungen und eine nachvollziehbare Argumentation. „Sie zeigt Möglichkeiten der europarechtlich rechtmäßigen Werbebeschränkungen im Arzneimittel- und Gesundheitsbereich auf. Voraussetzung ist aber, dass der politische und gesetzgeberische Wille zur Einführung und Rechtfertigung solcher Regelungen vorhanden ist. Hier unterscheidet sich Frankreich offensichtlich von Deutschland.“

Wohl keine Chance für OTC-Rabattverbot

Dass OTC-Rabatte aufgrund des Urteils auch hierzulande verboten oder eingeschränkt werden können, hält Kieser für unwahrscheinlich. Generell seien Nachlässe bei nicht preisgebundenen Arzneimitteln erlaubt und auch allgemein üblich. Insbesondere seien umsatzabhängige Nachlässe wie die Übernahme von Versandkosten ab einem bestimmten Bestellwert oder die Auslobung eines Gutscheins oder einer Rückvergütung ab einem bestimmten Einkaufsvolumen sehr verbreitet.

„Dies ist auch nicht zu beanstanden, da ein Arzneimittelmehr-/fehlgebrauch bei solchen Aktionen nicht erkennbar ist“, so seine Einschätzung. „Sie beziehen sich auf das Gesamtsortiment einer Apotheke und nicht (nur) auf Arzneimittel.“ Vielmehr sei ein nicht unerhebliches Apothekenrandsortiment umfasst. „Wenn ein Kunde noch etwas zusätzlich kaufen möchte, um eine bestimmte Rabattschwelle, vor der er mit seinem Warenkorb steht, zu erreichen, kann dies ein Arzneimittel sein, es kann aber genauso gut ein Nahrungsergänzungsmittel oder Kosmetikum sein. Es wäre nicht überzeugend, solche Rabattangebot als Förderung des Arzneimittelmehr- oder -fehlgebrauchs anzusehen. Auch der französische Gedanke, einen Apothekenwerbeflyer als Förderung des Arzneimittelmehr- oder -fehlgebrauchs anzusehen oder Links in Preisvergleichsportalen auf Apotheken verbieten zu wollen, ist dem deutschen Rechtssystem eher fremd.“

Auch wenn die Entscheidung also nicht 1:1 übertragbar ist, kann Kieser ihr viel Gutes abgewinnen: „Insgesamt ist das Urteil sehr positiv, da es einige Grundsätze, die nach der Parkinson-Entscheidung der Ersten Kammer vermeintlich ins Rutschen gekommen sind, in aller Klarheit betont und die endgültige Beurteilung den nationalen Gerichten in Frankreich überlässt. Dieses Urteil sollte eigentlich die Politik bestärken, die Preisbindung auch für ausländische Apotheken nicht aufzugeben, sondern in Luxemburg einen neuen Anlauf zu versuchen.“

 

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