Wenn das Patent eines Arzneimittels abläuft, ist für den Hersteller das ergänzende Schutzzertifikat oft die letzte Chance auf Exklusivität. Während neue Indikationen diesen verlängerten Schutz begründen können, ist eine neue Formulierung – selbst wenn sie technologisch anspruchsvoll ist – kein Argument. Dies hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden.
In dem Streit ging es um das Krebsmedikament Abraxane, das nab-Paclitaxel enthält. Dabei handelt es sich um Nanopartikel des bekannten Wirkstoffs Paclitaxel, gebunden an menschliches Albumin. Die neue Darreichungsform ermöglicht einen besseren Transport des Wirkstoffs durch die Zellmembran und führt so zu einer höheren Effektivität der Substanz.
Für die Kombination musste eine Zulassung beantragt werden; außerdem hatte sich der Hersteller Abraxis Bioscience seine Innovation durch ein Patent schützen lassen. Nun wollte das Unternehmen auch ein ergänzendes Schutzzertifikat und so eine längere Schutzdauer für nab-Paclitaxel erhalten. Doch das britische Patentamt (Comptroller General of Patents) lehnte dies ab, so klagte Abraxis vor dem High Court of Justice, der den Fall dem EuGH zur Entscheidung vorlegte.
Die Luxemburger Richter wiesen die Klage ab. Die Zulassung einer neuen Formulierung eines bekannten Wirkstoffs könne nicht als erste Genehmigung für das Inverkehrbringen für das betreffende Erzeugnis angesehen werden, wenn der Wirkstoff in anderer pharmazeutischer Darreichungsform bereits Gegenstand einer früheren Genehmigung war, heißt es im Urteil. Unter dem Ausdruck Wirkstoff seien lediglich Substanzen zu verstehen, die eine eigene Wirkung auf den menschlichen oder den tierischen Organismus haben. Dies sei bei Albumin als Trägerstoff nicht der Fall – auch wenn der Wirkstoff durch den Zusatz eine größere Wirksamkeit entfalte.
Das Schutzzertifikat war 1990 eingeführt worden, um einen ausreichenden Schutz zur Förderung der kostspieligen Arzneimittelforschung zu gewährleisten. Weil in einem so komplexen und empfindlichen Bereich wie dem pharmazeutischen Sektor jedoch alle auf dem Spiel stehenden Interessen einschließlich der Volksgesundheit berücksichtigt werden sollten, darf es maximal für fünf Jahre erteilt werden; insgesamt sind höchstens 15 Jahre Exklusivität vorgesehen.
Der durch das Zertifikat gewährte Schutz sollte laut Begründung zur Richtlinie „streng auf das Erzeugnis beschränkt sein, für das die Genehmigung für das Inverkehrbringen als Arzneimittel erteilt wurde“. Nicht in Betracht kommen daher Fälle, in denen am Arzneimittel unbedeutende Änderungen vorgenommen wurden, zum Beispiel eine neue Dosierung, die Verwendung eines anderen Salzes oder Esters oder auch eine andere pharmazeutische Form.
Wie der EuGH erklärt, sollte also nicht jedwede pharmazeutische Forschung gefördert werden, sondern nur diejenige, die „zum erstmaligen Inverkehrbringen eines Wirkstoffs oder einer Wirkstoffzusammensetzung führt“.
„Dieses Ziel würde verfehlt, wenn es möglich wäre, für eine neue Formulierung eines alten Wirkstoffs [...] zu berücksichtigen und eine zuvor für denselben Wirkstoff in einer anderen Formulierung erteilte Verkehrsgenehmigung unbeachtet zu lassen“. Außerdem sehen die Richter Rechtsunsicherheit und Inkohärenzen, da „es schwierig wäre, zu bestimmen, unter welchen genauen Umständen eine für eine neue Formulierung eines alten Wirkstoffs erteilte Verkehrsgenehmigung unter diese Bestimmung fallen könnte“.
„Die Entscheidung ist ein Rückschlag für innovative Arzneimittelhersteller, die mit hohem Aufwand nicht nur nach neuen Wirkstoffen, sondern auch nach Möglichkeiten zum effektiveren Einsatz bereits existierender Wirkstoffe forschen“, kommentiert die Patentanwältin Dr. Brigitte Böhm von Weickmann & Weickmann in München. „Die langwierigen Genehmigungsverfahren für Arzneimittel benachteiligen die forschende pharmazeutische Industrie. Die Erteilung ergänzender Schutzzertifikate sollte für alle neu entwickelten und genehmigungspflichtigen Arzneimittel möglich sein, auch wenn es sich um die Kombination eines bestehenden Wirkstoffs mit einem neuen Trägerstoff handelt.“
Die Anwältin kritisiert, dass der EuGH sich auf eine sehr eingeschränkte Auslegung der Erwägungsgründe zur Einführung ergänzender Schutzzertifikate aus dem Jahr 1990 stützt. „Es ist fraglich, ob die vor 30 Jahren angestellten Überlegungen noch zeitgemäß sind. So wurde die Hoffnung auf eine liberalere Rechtsprechung im Keim erstickt. Hier wäre der Gesetzgeber gefragt, um das Engagement der pharmazeutischen Industrie für bessere Arzneimittel auch im Bereich des Patentschutzes stärker zu honorieren.“
Anders sieht die Sache übrigens bei neuen Anwendungsgebieten aus: Hier hatte der EuGH bereits 2012 entschieden, dass ein Medikament, das bereits als Tierarzneimittel auf dem Markt war, für ein Schutzzertifikat infrage komme. „Der Gerichtshof hat in diesem Urteil jedoch nicht die enge Auslegung des [...] Begriffs ‚Erzeugnis‘ in Abrede gestellt, nach der dieser Begriff einen Stoff, der nicht der Definition eines ‚Wirkstoffs‘ oder einer ‚Wirkstoffzusammensetzung‘ entspricht, nicht einschließt.“
APOTHEKE ADHOC Debatte