Die EU-Kommission sieht natürlich hergestellte CBD-Produkte als Betäubungsmittel und hat deshalb alle Anträge von Herstellern gemäß der Novel-Food-Verordnung gestoppt. Setzt sie ihre vorläufige Auffassung durch, könnte das das Ende für den Großteil des seit Jahren wachsenden Marktes für CBD-Öle, CBD-Nahrungsergänzungsmittel und CBD-Lebensmittel sein. Entsprechend laufen Anbieter und Verbände Sturm. Beim Verband Cannabis versorgender Apotheken (VCA) hingegen kommt der Schritt gut an.
Seit Jahren herrscht Unsicherheit: Die Erkenntnis, dass ein großer Teil der CBD-Produkte auf dem Markt de facto illegal vertrieben wird, weil diese unter die Novel-Food-Verordnung der EU fallen, aber keine Zulassung dafür haben, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Dutzende Anbieter haben bereits Zulassungsanträge bei der EU eingereicht, zunehmend greifen die Behörden durch und versuchen, den Markt zu ordnen. Doch nun bahnt sich von höchster Stelle ein noch viel grundlegender Richtungswechsel an. In einem selbst für Brancheninsider überraschenden Schritt hat sich die EU-Kommission nämlich in ihrer letzten Sitzung vor der Sommerpause auf eine neue Haltung zum Wirkstoff CBD festgelegt – und die Hersteller informiert, dass ihre Zulassungsanträge damit vorerst auf Eis gelegt sind.
Die Folgen der Entscheidung sind ebenso wie die aktuelle Rechtslage komplex und noch nicht genau abzusehen. Die EU-Kommission, die CBD Anfang 2019 in den Novel-Food-Katalog aufgenommen hat, beruft sich nun einerseits auf das Einheitsabkommen über die Betäubungsmittel der Vereinten Nationen (UN) von 1961 und stellt sich damit gleichzeitig gegen die aktuelle Auffassung der UN-Behörde Weltgesundheitsorganisation (WHO). Doch der Reihe nach: „Das Allgemeine Lebensmittelrecht schließt es aus, Substanzen als Lebensmittel zu klassifizieren, die entsprechend zweier UN-Konventionen als Betäubungsmittel oder als psychotrope Substanzen eingestuft werden“, teilt ein Kommissionssprecher auf Anfrage mit. „Die vorläufige Auffassung der Kommission ist deshalb, dass CBD, welches aus den Blüten und Fruchtständen der Cannabispflanze (Cannabis sativa L.) gewonnen wird, als Betäubungsmittel gemäß des Einheitsabkommens über die Betäubungsmittel der Vereinten Nationen von 1961 behandelt werden sollten.“
Doch genau das sollte sich nach Willen der WHO bald ändern: Die hatte der UN nämlich bereits Ende 2018 empfohlen, sowohl CBD als auch THC in jenem Einheitsabkommen neu zu klassifizieren. Denn bisher ist Cannabis in Anlage IV gelistet – also in einer Gefahrenklasse mit Stoffen wie Kokain und Heroin. Eine wissenschaftliche Arbeitsgruppe der WHO kam jedoch zu dem Schluss, dass das nicht gerechtfertigt sei. Nicht nur sei das Suchtpotential und die Gesundheitsgefährdung durch Cannabis weitaus geringer, vielmehr sei ein überwiegender medizinischer Nutzen der Pflanze belegt. Der medizinische Gebrauch der Cannabispflanze müsse durch eine Herabstufung erleichtert werden, so die Wissenschaftler. Sie forderten deshalb eine Neueinstufung von Marihuana und Haschisch in die niedrigste Kategorie, die Anlage I – und dass CBD-Präparate mit einem THC-Gehalt unter 0,2 Prozent ganz aus dem Einheitsabkommen fliegen. Im Dezember wollen die 53 Unterzeichnerstaaten der UN-Konvention – 13 von ihnen sind EU-Mitglieder – über diese Neueinstufung abstimmen. Und ausgerechnet jetzt entscheidet sich die EU-Kommission, jene CBD-Präparate strikt nach dem bisherigen Wortlaut der Konvention zu behandeln.
Wenn CBD aber als Betäubungsmittel eingestuft wird, kann es nicht gleichzeitig ein Nahrungsmittel sein und damit auch kein Novel Food. Die Konsequenz: „Die Kommission hat die Antragssteller über ihre vorläufige Auffassung informiert und sie aufgefordert, bis Anfang September Stellungnahmen zum Thema abzugeben“, so die Kommission. Erst danach werde man über die Gültigkeit der Anträge entscheiden. Dieses Vorgehen sowie die neue Haltung an sich werfen jedoch mehr Fragen auf als sie beantworten. Eine davon: Wenn die EU-Kommission sich explizit auf CBD beruft, das aus natürlichen Pflanzenbestandteilen gewonnen wird, weil in der Betäubungsmittelkonvention nur von Cannabis sativa L. die Rede ist, dann heißt das im Umkehrschluss, dass synthetisch hergestelltes CBD davon nicht betroffen ist. Dürfen also künftig synthetisch hergestellte CBD-Präparate mit Novel-Food-Zulassung verkauft werden, natürlich hergestellte aber nicht? Pharmazeutisch gibt es zwischen beiden keine wesentlichen Unterschiede. Auch Hanfsamenöle sind ausgenommen, weil sie nicht aus den Blüten und Fruchtständen gewonnen werden.
Das treibt Produzenten und Hersteller von natürlichen CBD-Extrakten – die das Gros der Produkte ausmachen – auf die Barrikaden. Die European Industrial Hemp Association (EIHA), der Interessenverband der Nutzhanfbauern, der neben Herstellern von Fasern, Schäben und Samen auch die von Cannabinoiden vertritt, läuft Sturm gegen die Entscheidung. „Sollte diese Auffassung bestätigt werden, wäre dies wohl das Ende für den Sektor“, so die EIHA. „Cannabidiol würde auf dem Markt bleiben, jedoch nur in der synthetischen Form, die teilweise mit umweltschädlichen Chemikalien hergestellt wird.“ Der Verband unterstellt der EU, mit der Entscheidung die kleinteilige Branche von Produzenten natürlicher, ökologisch nachhaltig hergestellter CBD-Extrakte zugunsten großer Pharmaunternehmen zerschlagen zu wollen – denn die hätten die Ressourcen zur weitaus aufwendigeren Herstellung synthetischer Cannabinoide.
„Bemerkenswerterweise wurden bereits Anträge für künstliche Cannabinoide im Rahmen der Verordnung über neuartige Lebensmittel akzeptiert“, so EIHA. „Künstliche Extrakte zuzulassen, natürliche jedoch nicht, entbehrt aus wissenschaftlicher und ökologischer Sicht jeglicher Logik. Tatsächlich ist das chemisch hergestellte CBD-Enderzeugnis identisch mit dem natürlichen CBD-Extrakt.“ Auch Verbraucherschützer kritisieren die Entscheidung der EU-Kommission scharf. Der österreichische Verbraucherschutzverein wirft der EU vor, CBD-Produkte zum Nachteil von Schmerzpatienten kriminalisieren und ihre Mitgliedstaaten drängen zu wollen, bei der Neuordnung der Betäubungsmittelkonvention gegen die Vorschläge der WHO zu stimmen.
Aus pharmazeutischer Sicht hingegen könnte die Einstufung ein kluger Schachzug sein, wendet demgegenüber der Verband Cannabis versorgender Apotheken (VCA) ein. Ganz im Gegenteil könne die striktere Haltung nämlich gerade für die Patienten zum Vorteil werden, sagt die stellvertretende Vorsitzende Astrid Staffeldt: „Ich finde das grundsätzlich begrüßenswert, weil es dazu beitragen kann, dass dem Wildwuchs im Markt entgegengewirkt wird.“ Der VCA beanstandet bereits seit langem, dass windige Hersteller CBD-Produkte von oft zweifelhafter Qualität und mit falschen Heilsversprechen in den Markt drücken. „Da wird gerade viel Schindluder getrieben, was leider den edlen Einsatz in der Medizin zunichte macht“, kritisierte der VCA-Vorstandsvorsitzende Markus Fischer vergangenes Jahr. „Es gibt Studien, die belegen, dass viele dieser CBD-NEM kaum CBD enthalten oder massive Abweichungen vom deklarierten Gehalt haben. Wenn sie ein Cannabinoid-Produkt in der Apotheke abgeben, darf es maximal eine Abweichung von 10 Prozent vorweisen, bei NEM gibt es dahingehend überhaupt keine Auflagen.“
Diese Auffassung hat erst kürzlich wieder ein Bericht des baden-württembergischen Verbraucherschutzministeriums gestützt. Lebensmittelkontrolleure hatten alle im Ländle als Nahrungsergänzungsmittel angezeigten CBD-Produkte zur Analyse eingeschickt. Ergebnis: 17 der 49 Proben wurden aufgrund der Überschreitung der toxikologischen Grenzwerte als für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet eingestuft, elf weitere Proben wurden gar als gesundheitsschädlich beurteilt. Dabei waren 29 der Produkte ohnehin nicht verkehrsfähig – sie hatten keine Novel-Food-Zulassung. Bei gerade einmal 12 Proben hatten die Kontrolleure nichts zu beanstanden und das waren hauptsächlich Hanfsamenöle und Getränke mit Hanfsamenzusatz, also solche, die selbst nach der neuen Auffassung der EU-Kommission uneingeschränkt verkehrsfähig sind.
Staffeldt hegt die Hoffnung, dass deren neue Haltung helfen könnte, diese Situation zu beenden. „Zurzeit sind sehr viele CBD-Produkte von zweifelhafter Qualität auf dem Markt, die mit teils unhaltbaren Wirksamkeitsversprechen beworben werden. Da ist eine Beratung der Patienten notwendig, die bei strikterer Einordnung besser gewährleistet werden kann“, sagt sie. „Dabei ist aber wichtig, dass Menschen, die aus medizinischen Gründen einen Bedarf nach CBD-Produkten haben, einen möglichst leichten Zugang erhalten.“ Und da gebe es durchaus noch Regelbedarf an anderer Stelle, genauer gesagt: in § 31 Abs. 6 SGB 5. Der regelt nämlich die Erstattungsfähigkeit von Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten, nennt dabei aber nur die Substanzen Dronabinol und Nabilon, nicht aber Cannabidiol, also CBD.
„Um einen breiten Zugang für Patienten zu ermöglichen, ist es notwendig, dass CBD endlich erstattungsfähig wird“, fordert Staffeldt. Eine Einordnung als Betäubungsmittel würde dem nicht im Wege stehen. Die VCA-Mitgründerin verweist darauf, dass CBD ohnehin bereits im Oktober 2016 in die Anlage 1 der Arzneimittelverschreibungsverordnung aufgenommen wurde, also verschreibungspflichtig ist. „Wieso wurde das so lange ignoriert? Warum können Produkte, die einen verschreibungspflichtigen Wirkstoff enthalten, frei verkauft werden?“, fragt sie. Auch da herrscht vielerorts Unverständnis. Der Deutsche Hanfverband verwiest darauf, dass sich die Arzneimittelverschreibungsverordnung dahingehend auf Funktions- und Präsentationsarzneimittel beziehe. Sprich: Wenn ein Produkt mit geringem CBD-Gehalt nicht wie ein Arzneimittel angepriesen wird, falle es auch nicht unter die Verordnung. Dass das bei den meisten CBD-Produkten gegeben ist, darf getrost bezweifelt werden. Wichtiger als die Frage, ob es ein Betäubungsmittel ist oder nicht, sei es deshalb, CBD zuallererst konsequent als das Arzneimittel zu behandeln, das es nun einmal ist, findet Staffeldt.
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