EU-Nutzenbewertung kommt voran APOTHEKE ADHOC, 14.09.2018 12:55 Uhr
Das EU-Parlament wird voraussichtlich im Oktober über eine EU-weit einheitliche Nutzenbewertung von Arzneimitteln abstimmen. Der Gesundheitsausschuss hat gestern den Vorschlag der EU-Kommission im Wesentlichen angenommen, aber in einigen Punkten nachgebessert.
Das Verfahren geht auf einen Vorschlag der Kommission von Anfang des Jahres zurück: Zwar werden die allermeisten Arzneimittel mittlerweile zentral von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) zugelassen; die Nutzenbewertung und darauf aufbauend Entscheidungen zur jeweiligen Erstattungsfähigkeit und Preisbildung erfolgen jedoch in jedem Mitgliedsland einzeln. In Deutschland ist dafür das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zuständig. Bei der Kommission betrachtet man das als unnötige Doppelarbeit, die durch ein vereinheitlichtes Verfahren verringert werden könnte.
Der Vorschlag der Kommission stieß hierzulande auf Widerstand. Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) begrüßte zwar grundsätzlich die Absicht, ein einheitliches europäisches Vorgehen für die klinische Bewertung von Arzneimitteln zu etablieren. Hauptgeschäftsführer Dr. Martin Weiser will die nationale Hoheit aber vor allem bei den Preisen nicht hergeben: „Wichtig ist, dass Erstattung und Preisgestaltung von Arzneimitteln weiterhin in nationaler Kompetenz bleiben. Um lokale Versorgungsrealitäten zu berücksichtigen, muss nationalen Entscheidungskompetenzen genügend Spielraum gelassen werden.“
In diesem Punkt hat der Gesundheitsausschuss den Vorschlag der Kommission auch nachgebessert. Dem Kompromisspapier des Ausschusses zufolge sollen Experten der Mitgliedstaaten gemeinsam den Zusatznutzen bewerten, diese Bewertung dann aber lediglich an die Mitgliedsstaaten weitergegeben werden. Dort sollen dann die jeweiligen nationalen Behörden Entscheidungen über Erstattung und eventuelle Preisbildung treffen.
Grundlegender kritisieren die Krankenkassen das Vorhaben einer einheitlichen Nutzenbewertung. „Diesen Schritt können wir nicht gutheißen, denn wir befürchten die Absenkung der hohen Standards, die wir in Deutschland für die Bewertung von neuen Medikamenten haben. Zusammenarbeit der EU-Mitglieder bei der wissenschaftlichen Bewertung von neuen Arzneimitteln ja, aber eine Absenkung des Niveaus durch Vereinheitlichung auf einem niedrigeren Standard nein“, so Vorstandsvize Johann-Magnus von Stackelberg.
Auch der CDU-Gesundheitspolitiker Alexander Krauß warnt vor der geplanten Vereinheitlichung. Die hohen deutschen Qualitätsanforderungen an die Verfahren würden in nationaler Verantwortung am besten gewahrt. Statt die Verfahren auf europäischer Ebene zu zentralisieren, sollten die nationalen Institutionen auf freiwilliger Basis enger zusammenarbeiten, schlägt er vor.
In Brüssel denkt man anscheinend eher an eine EU-weite Anhebung der Standards, als an eine Senkung der deutschen. Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis zumindest sieht im Vorschlag „das Potenzial für eine Revolution im Gesundheitswesen“. Ziel sei, durch vereinheitlichte Bewertungsverfahren Patienten in ganz Europa möglichst rasch Zugang zu echten Innovationen zu ermöglichen. Scheininnovationen ohne echten Zusatznutzen könnten indes rascherer identifiziert werden, sagte Andriukaitis. Das helfe zu sparen. Für Hersteller würden Bewertungsverfahren verlässlicher.