Apothekenpflicht

EU-Kommission: OTC an Tankstellen verkaufen Lothar Klein, 14.05.2018 09:15 Uhr

Berlin - 

Um dem boomenden Versand Paroli bieten zu können, soll der stationäre Einzelhandel von Hemmnissen und Bürokratie befreit werden. Klingt gut, kommt aber von der EU-Kommission, die seit Jahren liberalisieren will. Hemmnisse sind demnach etwa Öffnungszeiten und Rabattverbote, aber auch die Apothekenpflicht. OTC-Arzneimittel soll es nach dem Willen der Brüsseler Behörde auch an Tankstellen geben. Andersherum den Internethandel zu regulieren und etwa den Rx-Versandhandel zu verbieten, lehnt die EU-Kommission ab.

Ein dynamischer und wettbewerbsfähiger Einzelhandelssektor sei nicht nur für Verbraucher und Anbieter, sondern für die gesamte EU-Wirtschaft von Bedeutung, schreibt die EU-Kommission im aktuellen Bericht „Ein den Anforderungen des 21. Jahrhunderts gewachsener europäischer Einzelhandel“. Allein die Vielzahl der Unternehmen und der damit verbundenen Arbeitsplätze sowie der Beitrag zum Mehrwert für die EU sorgten dafür, dass der Einzelhandel ein zentrales Element für die Ankurbelung langfristigen Wirtschaftswachstums bilde.

Der veränderte Bedarf der Verbraucher und der technische Fortschritt hätten dazu geführt, dass sich die Branche rasch gewandelt habe und zu einem Katalysator für Innovation und Produktivität geworden sei. Der Binnenmarkt eröffne Einzelhändlern Zugang zu rund 500 Millionen potenziellen Verbrauchern. „Der rasante Aufschwung des elektronischen Handels verändert die Branche. Der elektronische Handel ist für die meisten europäischen Bürger inzwischen selbstverständlich“, so die Kommission.

Gemessen an der Zahl der Unternehmen und der Beschäftigten sei der Einzelhandel die größte Branche in der EU außerhalb des Finanzsektors. Auf ihn entfielen 4,5 Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung und 8,6 Prozent der Beschäftigten in der EU. 2017 kauften 68 Prozent der Internetnutzer innerhalb der EU online ein. Obwohl bereits mehrere Mitgliedstaaten Reformen zur Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen für Einzelhändler durchgeführt hätten, hinke die „Einzelhandelsbranche in der EU bei der Produktivität hinter anderen Branchen hinterher und ist weniger dynamisch als in vergleichbaren Volkswirtschaften. Auch die Rentabilität des Einzelhandels ist geringer als die anderer Branchen“, so die Kommission.

Die Häufung verschiedenster Vorschriften wirke sich nachteilig auf dessen Leistung aus. Unter restriktiven Vorschriften leide die Dynamik der Einzelhandelsmärkte: „Es gibt weniger Neugründungen und kommt zu Schließungen von Einzelhandelsunternehmen sowie zu einer Verschlechterung der Beschäftigungsaussichten.“

Mit der Umsetzung der Strategie für einen digitalen Binnenmarkt habe man Schritte eingeleitet, um Europa auf das digitale Zeitalter vorzubereiten: „Eines der wichtigsten Ziele war dabei die Stärkung des grenzüberschreitenden elektronischen Handels.“

Für Unternehmensgründer in der Branche eröffneten sich neue Möglichkeiten. An eine Beschränkung des Internethandels denkt die Kommission nicht. Im Gegenteil: Der Einzelhandel wende sich zunehmend dem Multi-Channel-Vertrieb zu, und dieser Trend werde sich weiter fortsetzen: „Mehrere Initiativen des digitalen Binnenmarkts sollen Online-Einzelhändler dabei unterstützen, wirksam grenzüberschreitend zu verkaufen.“

Im zweiten Kapitel ihres Berichts führt die EU-Kommission Beschränkungen auf: Einzelhändler seien mit einer Vielzahl unterschiedlich starker Beschränkungen für Geschäftsniederlassungen (Größe und Lage der Verkaufsfläche oder Verfahren für bestimmte Genehmigungen) und den Betrieb (Öffnungszeiten, Verkaufsförderung und Vertriebskanäle, Besteuerung und Beschaffung) konfrontiert. „Viele dieser Beschränkungen sind durch berechtigte Gemeinwohlziele gerechtfertigt, jedoch stellen sie in ihrer Gesamtheit ein unverhältnismäßig großes Hindernis für neue Marktteilnehmer dar und beeinträchtigen auf diese Weise die Produktivität der Branche“, so die Kommission.

Der elektronische Handel verändere das Verbraucherverhalten: „Verbraucher sind es nunmehr gewohnt, jederzeit, an jedem Ort und auch grenzüberschreitend einkaufen zu können.“ Daher müssten die Mitgliedstaaten ihre Regelungsrahmen prüfen und gegebenenfalls modernisieren. Dabei sollten sie sich von bewährten und weniger beeinträchtigenden Lösungen anderer Mitgliedstaaten inspirieren lassen. Stationäre Einzelhändler müssten neue Verbrauchsgewohnheiten berücksichtigen und ihre Geschäftsstrategie entsprechend angleichen können.

In Kapitel 3 plädiert die EU-Kommission für einen offenen Marktzugang. Allerdings respektiere man einschränkende „Vorschriften für Verkaufskanäle für bestimmte Produkte, unter anderem Alkohol, Tabakwaren und verschreibungspflichtige Arzneimittel“. Dies sei unabhängig von den gesundheits- und gesellschaftspolitischen Zielen der Mitgliedstaaten. Die Kommission teile diese Ziele und habe diesbezüglich „Strategien und Rechtsvorschriften ausgearbeitet, insbesondere zur Beschränkung des Verkaufs von Tabakwaren und Werbung dafür sowie zur Gewährleistung hoher Standards für die Qualität und die Sicherheit von Arzneimitteln“.

Anders sieht es die Kommission bei OTC-Arzneimitteln: Verkaufsförderung und Preisnachlässe seien oftmals Teil der Strategien von Einzelhändlern in einer Multi-Channel-Umgebung oder für den Eintritt in einen neuen Markt. Als Beispiel verweist die Kommission auf eine unlängst in Luxemburg durchgeführte Reform für Ausverkäufe und den Verkauf unter dem Selbstkostenpreis. Griechenland habe 2014 den Zeitraum für Saisonausverkäufe verlängert.

„Die Behörden werden aufgefordert, für gleiche Ausgangsbedingungen mit dem elektronischen Handel zu sorgen.“ Als positives Beispiel führt die Kommission die teilweise Freigabe des Verkaufs von OTC-Arzneimitteln außerhalb von Apotheke auf: In Portugal, Italien, Schweden und Dänemark könnten nun „bestimmte nicht verschreibungspflichtige Medikamente nun auch außerhalb von Apotheken zum Verkauf angeboten werden“.

Eine diesem Bericht vorausgegangene Umfrage der EU-Kommission unter großen Handelsplayern und Lobbygruppen ergab zum Arzneimittelmarkt ein gespaltenes Bild: In ihren Antworten hätten Apotheken- und Patientenvertreter auf notwendige Beschränkungen für den Verkauf von OTC-Arzneimitteln in Apotheken wegen des Gesundheitsschutzes hingewiesen. Auf der anderen Seite drängten große Händler und deren Organisationen auf den Verkauf von OTC-Arzneien außerhalb von Apotheken. Dies berge keine gesundheitlichen Risiken, sondern wirke sich positiv auf Preise und Verfügbarkeit aus. Der Verkauf könne dort unter der Aufsicht von qualifiziertem Personal stattfinden.

Es ist nicht das erste Mal, dass die EU-Kommission versucht, den Apothekenmarkt über Einzelhandelsthemen zu öffnen. Nachdem die Brüsseler Behörde 2009 und auch später vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) ermahnt wurde, das Thema den Mitgliedstaaten zu überlassen, wurden bereits 2010 in einem Bericht mit dem Titel „Ein effizienterer und fairerer Binnenmarkt in Handel und Vertrieb bis 2020“ Beschränkungen beim Arzneimittelverkehr angesprochen. Der aktuelle Report wurde vor zwei Jahren zur Abstimmung herausgegeben.