Zwei Preise für dasselbe Arzneimittel? Nach einer Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (LSG) könnte dieses Szenario bald Realität werden. In einem Eilverfahren verboten die Richter für das Antidiabetikum Eperzan (Albiglutid) von GlaxoSmithKline (GSK) die Bildung eines Erstattungspreises auf der Basis der üblichen Mischkalkulation. Jetzt liegen die Urteilsgründe vor.
„Mischpreisbildung ist rechtswidrig, wenn der G-BA bei einer Patientengruppe einen Zusatznutzen erkannt und zugleich bei einer anderen oder mehreren Patientengruppen einen Zusatznutzen verneint hat; ein Mischpreis führt in dieser Konstellation zu nicht nutzenadäquaten Preisverzerrrungen“, heißt es im Urteil. Sollte der vorläufige Spruch im Hauptverfahren bestätigt werden, fürchtet die Pharmabranche erhebliche Konsequenzen für die Preisbildung und Arzneimittelversorgung in Deutschland.
Die Richter hielten den gestellten Eilantrag für zulässig und den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz für begründet: „Denn der Schiedsspruch erweist sich bei der im Eilverfahren anzustellenden summarischen Prüfung als rechtswidrig“, so die Richter. Der GKV-Spitzenverband hatte gegen die Festsetzung des Erstattungspreises durch die Schiedsstelle geklagt.
Der Schiedsspruch sei „materiell rechtswidrig“, weil die Bildung eines Mischpreises gegen die „zwingend zu beachtenden Vorgaben zur Höhe des Erstattungspreise“ verstoße. Sei kein Zusatznutzen belegt, dürfe der Erstattungspreis nicht zu höheren Jahrestherapiekosten führen als die zweckmäßige Vergleichstherapie. Aus dem Vorhandensein eines Erstattungsbetrages dürfe nicht automatisch auf die Wirtschaftlichkeit einer jeden Verordnung des betroffenen Arzneimittels in all seinen Anwendungsbereichen geschlossen werden.
Auf Kritik stößt bei den Richtern die Praxis, bei Mischpreisbildung Abgabepreise in anderen Ländern zu berücksichtigen und die „Jahrestherapiekosten vergleichbarer Arzneimittel mit einem Gewicht von insgesamt 50 Prozent in die Preisbildung einfließen zu lassen“, so das Landessozialgericht. Sollte auch dieser Passus im Hauptverfahren untermauert werden, hätte dies noch weitreichendere Konsequenzen für die Praxis der AMNOG-Preisbildung.
Kritiker fürchten weitreichende Konsequenzen. Die Apotheken müssten die Indikation kennen, um den richtigen Preis abrechnen zu können. Alternativ bräuchten die Hersteller für jedes Anwendungsgebiet eine eigene Zulassung. Die Kassen hätten damit erklärtermaßen kein Problem.
Beim Verband forschender Arzneimittelhersteller (VFA) sieht man daher bereits die Ansichten des LSG stünden der seit sechs Jahren vollzogenen AMNOG-Praxis entgegen: „Die Flexibilität des Mischpreises bei Arzneimitteln und der Verhandlung darüber würden einem starren Algorithmus geopfert. Die Freiheit der Verhandlung zwischen pharmazeutischem Unternehmer und GKV-Spitzenverband und auch der Bewegungsraum der Schiedsstelle würden stark eingeschränkt“, erklärte ein Sprecher anlässlich des Bekanntwerdens des Urteils.
Sollte sich diese Haltung durchsetzen, fürchtet der Verband, dass damit nicht nur der Grundpfeiler der AMNOG-Preisfindung ins Wanken gerät, sondern die Patienten in Deutschland von Innovationen abgeschnitten werden: „Die flexible Idee des AMNOG, einen im Einzelfall angemessenen Preis zu finden, würde durch einem starren Algorithmus ersetzt. Mit der Konsequenz, dass noch mehr Arzneimittel den Patienten in Deutschland nicht mehr zur Verfügung stünden.“
Die Bildung von Mischpreisen für ein Arzneimittel sei bislang die Regel gewesen. „Würde diese Regel kippen, hätte das gravierende Auswirkungen für Ärzte und Patienten. Die Konsequenz für die Versorgung wäre, dass ein neues Medikament für viele Kassenpatienten gar nicht verschrieben werden darf, selbst wenn es der Arzt für notwendig hielte. Für 40 Prozent der Patienten stünde dann die Versorgung mit innovativen Arzneimitteln zur Disposition. Und die Therapiefreiheit der Ärzte würde so weiter eingeschränkt und sie müssten neue Regressdrohungen fürchten“, heißt es beim VFA.
Zum Hintergrund: Die sogenannte Mischkalkulation kommt bei neuen Arzneimittel immer dann zum Einsatz, wenn der Zusatznutzen nur für einem Teilbereich der Patienten nachgewiesen wird, das Arzneimittel aber auch für andere Patienten eingesetzt werden kann. In diesen Fällen wird ein Preis festgesetzt, der sich nicht ausschließlich am Preis für die zweckmäßige Vergleichstherapie (ZVT) für die Patientengruppe ohne Zusatznutzen orientiert. Der Preis übersteigt das Vergleichslevel um ein Vielfaches. Damit bleibt es für die Hersteller wirtschaftlich interessant, neue Arzneimittel in Deutschland anzubieten, auch wenn der Zusatznutzen nur für kleine Patientengruppen belegt ist. Albiglutid wurde Anfang 2015 ein Anhaltspunkt für einen geringen Zusatznutzen bescheinigt – allerdings nur in der Kombination mit Metformin.
Albiglutid ist seit März 2014 für Erwachsene als Monotherapie zugelassen, die an Diabetes mellitus Typ 2 erkrankt sind und bei denen Ernährungsumstellung und Bewegung den Blutzuckerspiegel nicht ausreichend senken. Als Add-on ist es in Kombination mit anderen blutzuckersenkenden Arzneimitteln einschließlich Insulin zugelassen. Albiglutid wird mit einem Einweg-Injektionspen einmal wöchentlich unter die Haut gespritzt.
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