Vorläufiges Aus für E-Rezept-Projekt der Apotheker

E-Rezept: Gerda steckt in Schwierigkeiten

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Berlin -

Das Pilotprojekt Gerda ist vorerst aus dem Spiel: Der Server des „Geschützten E-Rezept-Dienstes der Apotheken“ – so Gerdas voller Name – läuft, doch derzeit kann kein Arzt über eine Praxissoftware eine Gerda-Verordnung ausstellen. Denn die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KV) hat sich von ihrem bisherigen technischen Dienstleister Teleclinic getrennt. Apothekerkammer und -verband müssen sich nun also selbst einen suchen. Doch das könnte schwieriger werden, als es bisher mit Teleclinic war.

Teleclinic war die Brücke zwischen den Praxissystemen der Ärzte und dem E-Rezept-Server Gerda. Die KV hatte dem Münchner Unternehmen 2018 den Zuschlag für die technische Umsetzung des Telemedizinprojekts Docdirekt erteilt, Teleclinic hat die E-Rezepte von den Plugins der Praxissoftware auf den Gerda-Server transportiert. Doch nach zwei Jahren endete der Vertrag im April – die KV schrieb das Projekt europaweit neu aus. Teleclinic bewarb sich aber gar nicht mehr für das Projekt – nach Angaben von Geschäftsführerin Katharina Jünger konnte man sich nicht auf einen gemeinsamen Fahrplan für die Zukunft einigen. „Es gab bei Teleclinic und der KV unterschiedliche Vorstellungen über die Weiterentwicklung der Plattform.“

Während Teleclinic auf das eigene, voll integrierte digitale Ökosystem setzt, gebe es bei der KV einen stärkeren Fokus auf die Einbindung des eigenen Telefonangebots, der Nummer 116117, in die Telemedizin. Böses Blut gab es offenbar nicht, Jünger zeigt sich verständnisvoll für die regulatorische Einbindung der KV. Für ihr Unternehmen sei es jedoch wichtiger, eine integrierte Marke aufzubauen, was unter den Anforderungen der KV nicht möglich gewesen wäre.

Was nun aus Gerda wird, steht deshalb vorerst in den Sternen. Durch Startschwierigkeiten der Softwarehäuser – nicht alle Anbieter spielten mit, sodass in den Modellregionen Stuttgart und Tuttlingen nur wenige Apotheken entsprechende Rezepte bearbeiten konnten – zog sich der Beginn des Projekts bereits zu Beginn in die Länge. Erst seit November konnten überhaupt Gerda-E-Rezepte ausgestellt und verschickt werden – eine nennenswerte Anzahl war es dem Vernehmen nach nicht. Einen Erfolg sieht die LAK in dem Projekt dennoch. „Die Pilotphase von Gerda zeigt, dass alle Schnittstellen und Anbindungen von Gerda problemlos funktionieren. Die ausgestellten E-Rezepte wurden erfolgreich und sicher über den Gerda-Rezeptspeicher vom Arzt über den Patienten zur Apotheke und weiter bis zur Abrechnung übermittelt“, so die Kammer auf Anfrage. Gerda sei von den Patienten und den örtlichen Apotheken gut angenommen worden.

Der Zuschlag für das KV-Projekt ging an ein anderes Münchner Unternehmen: Minxli. Der neue Partner ist hierzulande relativ unbekannt, die handelnden Personen sind aber durchaus prominent: Firmengründerin Jennifer Kelly hatte für die Unternehmensberatung McKinsey gearbeitet, bevor sie 2012 für den japanischen Pharmakonzern Shionogi in London die Europazentrale aufbaute. Drei Jahre später gründete sie Minxli, gemeinsam mit einer Handvoll von Investoren. Unter anderem konnte sie Professor Dr. Uwe Bicker gewinnen; der Onkologe, der eine Zeitlang für Boehringer und Hoechst gearbeitet hatte, hatte 2015 gerade das Amt des Dekans der Medizinischen Fakultät Mannheim abgegeben. Ebenfalls als Investor an Bord kam Tobias Weidner, Principal beim Finanzinvestor Bain, der vor drei Jahren gemeinsam mit Cinven den Generikakonzern Stada übernommen hatte.

Minxli positioniert sich als reiner Telemedizin-Anbieter, der neben dem jetzigen KV-Projekt auch mit der Techniker Krankenkasse (TK) in Baden-Württemberg kooperiert. Im Rahmen des Modellprojekts #ealth4Students erprobt Minxli seit dem Wintersemester 2019/2020 die Fernbehandlung von Studierenden des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und der Uni Heidelberg ohne vorherigen Erstkontakt mit dem Arzt. Allerdings: Minxli kann zwar Online-Sprechstunden anbieten, aber keine E-Rezept-Funktion.

Gerda steht also vor dem Aus, könnte man meinen. Schließlich gibt es nun keinen Anbieter mehr, der den Arztpraxen ermöglicht, über die eigene Praxissoftware digitale Verordnungen auszustellen und über den Gerda-Server an Patienten und schließlich Apotheken zu schicken. Die Apotheker in Baden-Württemberg geben den Patienten aber noch nicht verloren: Laut Dr. Karsten Diers, Geschäftsführer der Kammer, wird „unter Hochdruck“ nach einer Lösung gesucht. „Gerda ist nicht tot“, erklärt auch ein Sprecher des Landesapothekerverbands auf Anfrage. „Wir streben es an, das Projekt weiterzuführen und führen dazu bereits Gespräche mit technischen Dienstleistern.“ Das könnte allerdings noch eine Weile dauern, auch weil erst ein adäquater Ersatz für Teleclinic gefunden werden muss. Und es könnte passieren, dass das mehr als ein Unternehmen wird.

Denn die Zahl der Anbieter, die die Anforderungen auf beiden Ebenen erfüllen, ist überschaubar: Das E-Rezept muss nämlich einerseits vom Arzt auf den Server, andererseits vom vom Server zum Patienten beziehungsweise in die Apotheke kommen. Sprich: Es braucht sowohl eine Anwendung für die Praxen als auch eine für die Endnutzer, die Patienten. Teleclinic konnte mit seinem integrierten System beides aus einer Hand anbieten. Aufgabe von Kammer und Verband wird es nun sein, entweder einen Anbieter zu finden, der das auch kann, oder zwei Anbieter und die dann zu integrieren.

Dass das versucht wird, daran lassen beide keinen Zweifel. „Gerade die Coronakrise zeigt die Notwendigkeit und das Bedürfnis nach der virtuellen Arztsprechstunde und des kontaktlosen E-Rezeptes deutlich auf“, so die Kammer. „Darum sind der Landesapothekerverband und die Landesapothekerkammer Baden-Württemberg seit geraumer Zeit auf der Suche nach Alternativen, die sich durch die Coronakrise auch verzögert haben.“ Momentan werde dazu ein erfolgsversprechender Ansatz im Zusammenhang mit der DAV-Web-App, die neuerdings E-Rezeptmanager heißt, weiterverfolgt.

Bei der KV wiederum scheint man ähnliche Pläne zu haben. Zumindest bekennt sie sich auf Anfrage trotz der neuen Ausschreibung – die eine E-Rezept-Funktion gar nicht enthielt – zur Zusammenarbeit mit der Apothekerschaft. „Gerda ist auch für uns nicht tot“, so ein Sprecher der KV. „Die Kassenärztliche Vereinigung ist auf der Suche nach Lösungen, um eine Anbindung an Gerda auch mit dem neuen technischen Dienstleister herzustellen.“

 

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