„Einstellung aus Opportunitätsgründen“ Patrick Hollstein, 08.09.2011 10:20 Uhr
Während sich die ABDA gestern Abend schüchtern über das Ende des vierjährigen Kartellverfahrens freute, war beim Bundeskartellamt zunächst noch nichts über die Hintergründe zu erfahren. Heute bestätigte ein Sprecher, dass die Verfahren vom Tisch sind - und lieferte eine dürftige Erklärung: Es handele sich um eine „Einstellung aus Opportunitätsgründen“. Den Vorwurf, dass die Apotheker Opfer eines politisches Verfahrens geworden sind, weist man in Bonn zurück.
„Die seinerzeit öffentlich ausgetragene Kontroverse im Hinblick auf die Diskussion um den Fortbestand der inhabergeführten Apotheke hat sich inzwischen beruhigt“, argumentiert der Sprecher. Die im Hintergrund stehende Frage der Zulässigkeit von Apothekenketten in Deutschland sei vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) in dem Sinne entschieden worden, dass das Fremdbesitzverbot in Deutschland zulässig ist. „Diese Entscheidung erging nur kurze Zeit vor Erlass der Bußgeldbescheide, so dass damals die weitere Entwicklung noch nicht absehbar war.“
Nun liegt einerseits auch das EuGH-Urteil bereits mehr als zwei Jahre zurück. Andererseits stellt sich die Frage, was die Ermittlung zum vermeintlichen Boykottaufruf gegen Gehe überhaupt mit dem Verfahren in Luxemburg zu tun hatten. Dass das Verfahren politisch motiviert gewesen sei, weist der Sprecher zurück: Dazu sei das Kartellamt zu unabhängig.
Bei der Einstellung ging es dem Sprecher zufolge vielmehr um verfahrenstechnische Gründe: Vor Gericht hätte das Kartellamt nachweisen müssen, dass die Beschuldigten vorsätzlich gehandelt haben. Ein solcher Nachweis ist naturgemäß schwierig, und offenbar hat man beim Kartellamt nicht mehr dieselbe Notwendigkeit gesehen, ein Zeichen zu setzen. Ohnehin wäre wohl fraglich gewesen, welchen Effekt ein Schuldspruch für die Branche hätte entfalten können.
Nicht immer war man in Bonn so umsichtig. Zu einer Zeit, als sowohl EuGH- als auch Kartellverfahren liefen, mischte der damalige Präsident der Behörde und heutige Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Dr. Bernhard Heitzer, kräftig mit: Im Sommer 2008 warf Heitzer den Apothekern vor, aus Eigeninteresse gegen alternative Vertriebskanäle Sturm zu laufen: „Wir sind der Auffassung, dass die Argumente der Apotheken – Arzneimittelsicherheit und Schutz der Patienten – nur vorgeschoben sind und wohl eher dem Schutz des eigenen Geschäftes dienen.“
Nicht viel anders trat Heitzers Nachfolger Andreas Mundt auf. Im Februar 2010, ein halbes Jahr nach EuGH-Urteil und Bußgeldbescheid, ließ er nicht die Kartellverfahren einstellen, sondern warf der Koalition öffentlich Klientelpolitik zugunsten der Apotheker vor: „Ärgerlich finde ich, dass die neue Regierung die Pick-up-Stellen für Medikamente verbieten will“, sagte Mundt der Financial Times Deutschland. „Hier werden die Apotheker unnötig geschützt – zum Schaden der Verbraucher.“