Ein nie geklärter Rezeptdeal im Pflegeheim Alexander Müller, 07.12.2018 10:40 Uhr
Bei der Weihnachtsfeier des Heilig-Geist-Spitals in Villingen vor zwei Jahren fehlte die Heimleiterin. Sie war wenige Tage zuvor fristlos entlassen worden, bereits zum Monatsersten war ein Hausverbot ausgesprochen worden. Doch Kündigung und Hausverbot hielten schon aufgrund formaler Fehler einer arbeitsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Letztlich konnte auch der Vorwurf, die Leiterin habe einen unzulässigen Rezeptdeal in die Wege geleitet, nie bewiesen werden.
In dem Altenpflegeheim können die Bewohner oder ihre Angehörigen auf drei Wegen ihre Arzneimittel beziehen: die Rezepte selbst einlösen, bei der Heimleitung einen Arzneimittellieferanten angeben oder über das Heim einen Medikamentenversorgungsvertrag mit der Apotheke in der Nachbarschaft abschließen. Einen Vertrag zur Belieferung des Heims im Einzelfall haben aber auch andere Dienstleister, darunter der Medizinkonzern Fresenius.
Und die Art und Weise, wie die Bestellungen zu Fresenius im Heim gesammelt wurden sowie deren Umfang, hat irgendwann für Misstrauen gesorgt. Bei einer Dienstbesprechung soll die Heimleiterin im Juni 2015 nämlich angeordnet haben, dass alle Rezepte für Fresenius-Produkte in das Fach des Pflegedienstleiters zu legen seien, ebenso alle Rezepte über Verbandsmaterial. Die Abwicklung sollte dann komplett über den Altenpfleger H. laufen. Wie die Rezepte abgerechnet wurden, ist nicht bekannt. Fest steht nur, dass die Versorgungen an der örtlichen Apotheke mit dem Versorgungsvertrag vorbeigeschleust wurden.
Der Träger hatte später den Verdacht, dass Rezepte gegen den Willen oder zumindest ohne Wissen der Patienten bei den Ärzten angefordert und direkt an Fresenius geschickt wurden und dass zudem über Bedarf bestellt wurde. Der Vorwurf richtet sich nicht gegen den Konzern. Vielmehr wurde der Heimleiterin vorgeworfen, zusammen mit dem Mitarbeiter H. falsche Bestellungen abgerechnet zu haben. Angeblich hat der Geschäftsführer des Heims in einem Kellerraum große Mengen der gehorteten Produkte gefunden, die zwar im Namen von Bewohnern des Heims bestellt, aber nie für diese bestimmt gewesen sein sollen.
Ende Oktober 2016 forderte der Geschäftsführer der Einrichtung die Heimleiterin per E-Mail zur Stellungnahme auf. An einem Morgen in der folgenden Woche erschien sie früher als sonst bei der Arbeit und wurde zusammen mit H. im Dienstzimmer des Wohnbereichs angetroffen. Die beiden sollen verschiedene Ordner gesichtet und aufgeräumt haben.
Dass dabei belastendes Material verschwinden sollte, bestritt die Leiterin im späteren Verfahren vor dem Arbeitsgericht. Sie habe nur den Ordner mit Faxanforderungen gesehen und dazu bemerkt, dass dieser total voll sei und „ausgemistet“ werden müsse. Wer den Ordner mit den Rezeptanforderungen letztlich aufgeräumt habe, sei ihr nicht bekannt. Für ihren Arbeitgeber war nicht nur das ungewohnt frühe Erscheinen verdächtig, sondern auch die Aufräumarbeiten, die typischerweise am Jahresende durchgeführt würden. Jedenfalls fehlten mutmaßlich jetzt Bestellaufträge an Fresenius.
Der Vorsitzende des Stiftungsrats und die Geschäftsführung fragten weiter nach, wollten sich die Postabwicklung und die Sache mit den Rezeptanforderungen erklären lassen. Warum etwa Rezepte, welche von den Ärzten an das Wohnheim gesendet wurden, an den Pfleger H. gelangt seien, ohne dass der Pflegedienstleiter dies mitbekommen habe. Auch zu den morgendlichen Aufräumarbeiten gab es Nachfragen. In der Folge wurde das Hausverbot ausgesprochen und wenig später die fristlose Kündigung.
Weshalb die Führung des Heims unterstellt, die Heimleiterin und der Altenpfleger H. hätten sich bereichert: H. hatte 2015 eine Nebentätigkeit als freier Mitarbeiter im Außendienst von Fresenius angezeigt, angeblich für 100 bis 300 Euro monatlich. Bei der Tätigkeit könnte es sich etwa um Schulungen zu bestimmten Produkten gehandelt haben, vermerkt ist dazu aber nichts. Die Heimleiterin hatte die Tätigkeit jedenfalls als unbedenklich abgesegnet. Das Personalamt hatte unter der Maßgabe zugestimmt, dass Änderungen gemeldet würden.
Und dann war da noch die Mutter der Heimleiterin, ihre Vorgängerin auf dem Posten und seit Jahren im Spital beschäftigt – und ebenfalls parallel für Fresenius tätig. Es bestand daher der Verdacht, die Tochter habe den Rezeptdeal von ihrer Mutter fortgeführt, die übrigens in anderer Funktion weiter für das Heim tätig war. Der Vorwurf des Trägers: Die Heimleiterin habe von der nicht genehmigten Nebentätigkeit ihrer Mutter und den entsprechenden Honorarzahlungen gewusst.
Vor dem Arbeitsgericht und im Berufungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg klagte die Heimleiterin allerdings erfolgreich gegen ihre fristlose Entlassung. Demnach fußten die Vorwürfe, sie habe zu den Nebentätigkeiten falsche Angaben gemacht, nicht auf konkreten Tatsachen. Vor allem aber sei sie nicht ordnungsgemäß zu den Vorwürfen angehört worden. Der Arbeitnehmer müsse die Möglichkeit haben, „bestimmte, zeitlich und räumlich eingegrenzte Tatsachen“ gegebenenfalls bestreiten zu können und Entlastendes vorzutragen.
Doch zum Beispiel mit dem Vorwurf, den Patientenwillen beim Bezug der Medikamente nicht beachtet zu haben, sei sie nicht konkret konfrontiert worden. Eine Versorgung über den tatsächlichen Bedarf hinaus wäre natürlich eine grobe Pflichtverletzung gewesen, im Vermerk zum mit dem Stiftungsrat geführten Gespräch finde sich dazu aber nichts. Nach diesen Maßstäben liegt laut Gericht entweder kein dringender Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung oder keine ordnungsgemäße Anhörung vor. Auch wenn die Umstände eine gewissen Handhabung im Zusammenhang mit Fresenius nahelegten, sei der Vorwurf, die Heimleiterin sei daran beteiligt gewesen, zu pauschal.
Getrennt hat man sich natürlich trotzdem, die ehemalige Heimleitung und ihre Mutter arbeiten nicht mehr im Heilig-Geist-Spital. Der Geschäftsführer wollte sich auf Nachfrage zu dem Fall nicht weiter äußern. Auch Fresenius kann zu solchen arbeitsrechtlichen Verfahren Dritter keine Aussagen treffen. Ein Sprecher betonte allerdings, dass es für die eigenen Angestellten sehr klare Regelungen im Umgang möglichen Interessenkonflikten sowie einen Verhaltenskodex gebe.