In der zweiten Augusthälfte startet in Sachsen die vierte digitale Rezeptsammelstelle in Deutschland – ein CallmyApo-Terminal von Noventi. Der Sächsische Apothekerverband (SAV) hat zur Eröffnung die Politikprominenz des Landes geladen: Der Bürgermeister kommt, Gesundheitsministerin Barbara Klepsch (CDU) auch und womöglich gibt sich Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) die Ehre. Schließlich geht es um die digitale Zukunft der Apotheker. Dabei könnten zu diesem Anlass eigentlich Eröffnungs- und Abschiedsparty für die digitale Rezeptsammelstelle zusammenfallen. Denn knapp zwei Jahre nach ihrer Präsentation auf der Expopharm in München hat die digitale Box ihre Zukunft schon hinter sich.
Die digitale Rezeptsammelstelle sei höchstens noch eine Übergangstechnik für ländliche Regionen, heißt es denn auch bei den Entwicklern. Dass davon noch viele Boxen in der Republik installiert werden, damit rechnet keiner mehr. Nach zwei Jahren wird Mitte August erst die vierte digitale Rezeptsammelstelle in Betrieb gehen. Ein Run auf die neue Technik sieht anders aus. Nach Angaben von Noventi hält sich das Interesse an der Box in Grenzen.
Es gibt maximal 40 Anfragen von Apotheken. Aber erst eine Apotheke, die Külsheimer Stadtapoptheke in Baden-Württemberg, hat den CallmyApo-Terminal auf eigene Rechnung bestellt und installieren lassen. „Ich habe mit der VSA eine Probezeit von drei bis sechs Monaten vereinbart, dann sehen wir weiter“, so Inhaberin Angela Haegele-Weber. Wie viel sie für die digitale Rezeptsammelstellen bezahlt, will die Apothekerin nicht verraten. Exakte Zahlen erfährt man nicht: Aber einen mittleren bis hohen vierstelligen Euro-Betrag kostet der digitale Briefkasten. Diese Investition schreckt viele Apotheken ab. Auch deswegen dürfte das Verbreitungspotential eng begrenzt sein.
Denn die CallmyApo-App aus dem Hause Noventi gibt es seit Kurzem in Bayern und Baden-Württemberg gratis. Auch damit kann man Rezepte an seine Stammapotheke schicken und sich mit dem Botendienst nach Hause liefern lassen. Das geht schneller, keiner muss mehr zum Rezeptsammelstelle laufen – egal ob digital oder analog. Bequemlichkeit siegt. Geht, wie von der ABDA jetzt angekündigt, das elektronische Rezept Mitte 2020 tatsächlich bundesweit an den Start, ist die digitale Rezeptsammelstelle endgültig „old-fashioned“. Dann kann der Arzt das E-Rezept gleich an die Wunsch-Apotheke des Patienten übermitteln.
Die Tage der digitalen Rezeptsammelstelle sind also gezählt: Indirekt hat das jetzt auch der Landesapothekerverband Baden-Württemberg eingeräumt: Auch eine Smartphone-Variante gebe es schon, die nach demselben Prinzip funktioniere wie die digitale Sammelstelle: Rezepte einscannen oder abfotografieren, an die Apotheke übermitteln und Medikament gegen Vorlage des Original-Rezepts an der Haustür in Empfang nehmen. Auch dafür hätten die am Projekt beteiligten Apotheken in den vergangenen Monaten deutlich mehr Nutzer gewinnen können, sagte Sprecher Frank Eickmann jetzt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ).
Anders als bei der digitalen Rezeptsammelstelle ist bei der CallmyApo-App das Interesse groß: Laut Noventi nutzen die App inzwischen 2300 Apotheken, 700 in Baden-Württemberg, 1100 in Bayern und 500 in Sachsen. Und jeden Tag werden es mehr. Mindestens 20 Apotheken melden sich pro Tag an. 60.000 Mal wurde die App von Apothekenkunden heruntergeladen. Über 10.000 Bestellungen gingen im letzten Monat über die CallmyApo-App bei den angebundenen Apotheken ein – mit stark steigender Tendenz.
Noventi würde gern weiter zulegen und bundesweit durchstarten mit seiner App: Allen Apothekerverbänden wurde die Nutzung dazu kostenfrei für ihre Mitglieder angeboten. Aber: „Es gab keine Rückmeldung“, heißt es bei Noventi. Das hat einen triftigen Grund.
Hinter der Ablehnung verbirgt sich der Machtkampf der Apothekenrechenzentren um die digitale Lufthoheit über den Apothekenmarkt. War in den letzen Jahrzehnten quasi automatisch Noventi-Vorgänger VSA über seine Bayern- und Baden-Württemberg-Connection „Primus inter Paris“ im Lager der Rechenzentren, so hat sich seit Kurzem der Wind gedreht. Am 13. Juni lud der zuvor VSA-lastige DAV erstmals alle Rechenzentren zum E-Rezept-Gipfel. Nur widerwillig setzte sich Noventi-Chef Dr. Hermann Sommer an einen Tisch mit seinen Konkurrenten. „70 Prozent haben 30 Prozent des Marktes an einen Tisch gezwungen“, heißt es in der ARZ-Szene.
Kein Wunder also, dass die meisten Apothekerverbände CallmyApo die kalte Schulter zeigen. Mehr oder weniger sind die Landesverbände mit den anderen großen Rechenzentren NARZ, ARZ Haan, ARZ Darmstadt und Berlin liiert. „Reines Marketing“ sei die CallmyApo-Offensive von Noventi, heißt es dort, und der Versuch, trotz ABDA-Initiative für ein gemeinsames E-Rezept, die App zur Nummer 1 im Markt zu puschen, Fakten zu schaffen.
Denn anders als das ABDA-Projekt setzt Gottfried Ludewig, Chef-Digitalisierer im Bundesgesundheitsministerium von Jens Spahn (CDU), beim Ausbau von Telematik-Anwendungen auf freien Wettbewerb. Daher ist es gut möglich, dass neben dem ABDA-Angebot noch weitere Player beim E-Rezept zum Zuge kommen. Die Ärzte und vor allem die im Ärztelager dominierende CompuGroup will auch mitmischen. Und auch die Rechenzentren müssen sich auf dem App-Markt mit attraktiven Angeboten behaupten. ARZ Darmstadt bietet mit Apojet eine eigene App und ARZ Haan seit Juli die neu entwickelte Patienten-App „RezeptDirekt“ an. Und der Wort & Bild Verlag ist mit seiner Apotheken-App „Apotheke vor Ort – Ihre Stamm-Apotheke“ aktuell Marktführer. Alle wollen mitmischen beim neuen Geschäftsmodell E-Rezept. Spahn hat den neuen Markt geöffnet. Die nächsten Monate entscheiden über Gewinner und Verlierer.
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