Engpässe durch Parallelhandel – was tun?

Drei (ungeeignete) Reformvorschläge gegen Reimporte

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Berlin -

Das Centrum für Europäische Politik (CEP) fordert eine Debatte über eine Reform des Parallelhandels mit Arzneimitteln in der Europäischen Union (EU). Denn das bisherige System befördere nicht nur Arzneimittelengpässe und erhöhe die Fälschungsgefahr, sondern es trage auch zur Intransparenz im Markt bei, so der Thinktank, der schon gegen die Rx-Preisbindung mobil machte. Abhilfe könnten demnach eine Ausnahme von Arzneimitteln von der Warenverkehrsfreiheit, ein Umverteilungsfonds oder aber Preisvereinheitlichungen bringen. Alle drei Optionen hätten aber erhebliche Nachteile.

Wie oft man sich als Apotheker:in mit Importförderklausel und importierten Arzneimitteln herumärgern muss, hängt im europäischen Vergleich wesentlich vom Land ab, in dem man lebt: In Frankreich und Italien beispielsweise spielen parallel importierte Arzneimittel mit einem Marktanteil von 0,1 und 0,4 Prozent faktisch keine Rolle. In Deutschland und den Niederlanden sieht das mit 8,5 und 7,9 Prozent schon anders aus – aber auch die liegen noch weit hinter Dänemark, wo importierte per Gesetz bevorzugt behandelt werden müssen. Mit einem Anteil von 26,2 Prozent kommt dort mehr als jedes vierte Arzneimittel aus einem anderen Markt.

Und das bringt einige Probleme mit sich, wie das CEP in einer aktuellen Untersuchung beklagt. So steige durch komplexer werdende Lieferketten die Gefahr von Arzneimittelfälschungen. Die EU habe da zwar mit der Fälschungsrichtlinie Maßnahmen ergriffen. „Bislang hat dies das Problem jedoch nicht vollständig beseitigt“, so das CEP. Auch führe der Parallelhandel zu mangelnder Transparenz und Berechnungsproblemen – beispielsweise durch rund 30.000 Rabattverträge, in denen die Preise in der Regel geheim gehalten werden.

„Diese Intransparenz schützt die Hersteller, indem sie Preissignale an andere Krankenkassen und andere Länder blockiert“, so das CEP. „Der Parallelhandel trägt zu dieser Intransparenz bei, weil nicht deutlich wird, welcher Versicherer wie viel für parallelgehandelte Arzneimittel zahlt.“ Individuell ausgehandelte Verträge und Parallelhandel könnten außerdem zu Kalkulationsproblemen für Pharmaunternehmen führen, weil sie nicht wissen, wie viel sie zu welchem Preis verkaufen und wie viel zwischen welchen Ländern parallel gehandelt wird.

Vor allem aber könne der Export von Arzneimitteln aus Niedrigpreisländern in Hochpreisländer zu Engpässen in ersteren führen, was vor allem in Portugal, Griechenland und den östlichen EU-Staaten klar zu beobachten sei. Die Slowakei habe deshalb versucht, den Export einzudämmen und sich damit die Verdächtigung der EU-Kommission eingehandelt, das Land versuche „ungerechtfertigte Beschränkungen“ einzuführen. Ähnliche Beschwerden habe es gegen Polen und Rumänien gegeben, allerdings seien die nicht weiter verfolgt worden.

Daran zeige sich eines der Grundprobleme: die Haltung der EU bei dem Thema. Denn die sei durch zwei grundlegende Ziele gekennzeichnet, die sich teilweise widersprechen: Einerseits pocht sie darauf, die Grundsätze und Regeln des Binnenmarktes zu beachten. Der Parallelhandel wird demnach als vereinbar mit dem freien Warenverkehr angesehen. „Die EU-Kommission sieht Beschränkungen des Parallelhandels als einen der schwersten Verstöße gegen das EU-Wettbewerbsrecht an.“

Gleichzeitig solle aber jeder EU-Bürger gleichen Zugang zu sicheren Arzneimitteln haben. „Die Kommission erkennt an, dass Engpässe und gefälschte Arzneimittel infolge des Parallelhandelsdiesem Ziel abträglich sind“, so das CEP. Allerdings fallen Gesundheitspolitik im Allgemeinen und sowohl die Preisgestaltung als auch die Erstattungssysteme im Besonderen in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten – die EU hat doch also kaum Gestaltungsspielraum.

Trotzdem kündigte sie in ihrer im November erschienen „Arzneimittelstrategie für Europa“ an, die Transparenz von Preisinformationen zu fördern, um die Mitgliedstaaten bei der Verbesserung von Preisfestsetzungs- und Erstattungsentscheidungen zu unterstützen.

Wie kann dieser Widerspruch nun aufgelöst werden und wie lassen sich die Probleme aus dem Parallelhandel zumindest verringern? Fertige Antworten hat das CEP darauf nicht, bringt aber drei Vorschläge als Diskussionsgrundlage ein, die allerdings wiederum Folgeprobleme nach sich ziehen würden. So könnten, erstens, Arzneimittel von den Binnenmarktregeln ausgenommen werden. „Wenn ein Mitgliedstaat Exporte verbieten darf, können Engpässe, die durch Parallelhandel verursacht werden, verhindert werden. Das ist jedoch nicht das Ende der Geschichte, denn der Parallelhandel ist nicht der einzige mögliche Grund für Engpässe.“ Unter Umständen könnten dadurch sogar neue Engpässe entstehen – wenn kleinere Gesundheitssysteme nämlich zu schlechteren Konditionen einkaufen können als größere. „In diesem Fall ist es nicht der Parallelhandel, sondern die Unterdrückung des Parallelhandels, die zu Engpässen führt.“ Auch die die Probleme mit gefälschten Arzneimitteln, Intransparenz und falschen Preisberechnungen würden durch Exportverbote nicht gelindert werden.

Die zweite Option klingt nach einem bürokratischen Monster – und wäre wahrscheinlich auch eines: ein europäischer Fonds zur Umverteilung zwischen nationalen Gesundheitssystemen. Er würde finanzielle Mittel an die bedürftigen Gesundheitssysteme überweisen, damit diese Arzneimittel auf dem freien Markt kaufen können, und den freien Verkehr von Arzneimitteln im Binnenmarkt garantieren. Allerdings: Ob damit auch das zweite Ziel, der gleichberechtigte Zugang zu Arzneimitteln für alle EU-Bürger, erreicht würde, würde laut CEP von einer Reihe von Voraussetzungen abhängen – in erster Linie von der Größe des Fonds und vom Umfang des Parallelhandels, zweitens aber auch von der internen Organisation des Fonds und der Art und Weise, wie die Mittel in den Empfängerländern verwaltet werden. Nicht gelöst würden hingegen das Problem der gefälschten Arzneimittel und die Fragen um intransparente Preisgestaltung und Kalkulationsrisiken.

Um die Risiken zumindest zu reduzieren, wären demnach mehrere Einschränkungen notwendig: „Der Fonds müsste in seiner Größe streng begrenzt und nur für echte Notsituationen konstruiert sein, für die strenge Kriterien nicht nur aufgestellt, sondern auch angewendet werden müssten. Anstatt zusätzliches Geld zu verwenden, sollte die EU einen solchen Fonds mit Mitteln für Gesundheit aus dem neuen Haushalt 2021 – 2027 und NextGenerationEU finanzieren.“ Da eine solche Umschichtung von Steuergeldern in einen bisher nicht integrierten Politikbereich auf absehbare Zeit schwierig scheint, wirft die CEP noch einen dritten Reformvorschlag in den Ring: „Unitary Pricing“.

Das bedeutet, dass ein pharmazeutisches Unternehmen einen Preis für ein bestimmtes Produkt aushandelt, der überall in der EU bezahlt werden muss. Dies erfordere zwar, dass die nationalen Gesundheitssysteme die Verhandlungsmacht an eine Institution delegieren, die die Verhandlungen für sie führt – allerdings hätte die auch stichhaltige Argumente, bessere Preise auszuhandeln als die einzelstaatlichen Akteure. Denn der Binnenmarkt vereint fast 25 Prozent des weltweiten Rx-Umsatzes auf sich. Der Parallelhandel würde zwar durch einheitliche Preise spürbar reduziert und auch die Transparenz bei Veröffentlichung der Preise erhöht – jedoch könne ein Preis, der dem Durchschnitt aller Preise in den Einzelstaaten entspricht, vor allem in ärmeren EU-Ländern wiederum zu erneuten Engpässen führen.

Außerdem wäre schon die bloße Vorstellung einer einheitlichen Preisgestaltung unterkomplex erweisen, „es sei denn, die nationalen Regulierungen in den betreffenden Bereichen der Gesundheitssysteme werden angeglichen oder sogar harmonisiert“. Dies gelte insbesondere für die unterschiedlichen Erstattungssysteme, die sich nicht nur zwischen den nationalen Gesundheitssystemen unterscheiden, sondern sogar innerhalb dieser Systeme, beispielsweise in Bezug auf stationäre und ambulante Patienten, Patienten in der Primärversorgung und Behandlungen im Krankenhaus. „Zudem wäre eine EU-weite Preis-vereinbarung für viele Arzneimittel nur schwer zu erreichen, da die Präferenzen in Europa sehr unterschiedlich sind.“ Einheitspreise wären deshalb „nur theoretisch eine Option“, so das CED.

Aber was dann? Das gibt nicht vor, eine Lösung zu kennen. Vielmehr beseitige keine der genannten Optionen die durch Parallelhandel verursachten Probleme, ohne andere Fragen aufzuwerfen. „Es ist eine politische Debatte darüber erforderlich, welche Kompromisse eingegangen werden sollten“, folgert der Thinktank daraus.

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