Die für Donnerstag geplante Verabschiedung der 4. AMG-Novelle im Bundesrat wird verschoben: In der Koalition ist ein Streit über klinische Studien an Demenzkranken entbrannt. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) wollte diese an das Vorliegen einer Patientenverfügung knüpfen. Das reicht Unionsabgeordneten nicht aus. „Es gibt in der Koalition noch Gesprächsbedarf“, bestätigte das BMG. Unklar ist auch noch das DrEd-Verbot: Nach derzeitigem Stand sind aber noch keine Ausnahmen vom geplanten Fernverordnungsverbot vorgesehen.
Zuletzt waren Änderungswünsche am geplanten DrEd-Verbot laut geworden. Nach Informationen von Grünen-Bundestagsabgeordneten Kordula Schulz-Asche gab es Signale aus dem Koalitionslager, das von Gröhe in der AMG-Novelle vorgesehene komplette Fernverordnungsverbot zu lockern. In den noch nicht abgestimmten Entwürfen der aktuellen Änderungsanträge der Fraktion von CDU/CSU und SPD finden sich dazu aber noch keine Hinweise. Nach der Verschiebung der Abstimmung im Bundestag gibt es dafür jetzt neuen zeitlichen Spielraum.
„Es müssen Ausnahmen möglich sein“, hatte Schulz-Asche auf dem Kongress des Bundesverbandes Deutscher Versandapotheken (BVDVA) gefordert. Gedacht werde an Rezepte für Patienten auf dem Land und für Chroniker. „Wir haben gehört, dass die Bundesregierung daran noch etwas ändern will.“
Gröhe will untersagen, dass im Ausland tätige Online-Praxen wie DrED Rezepte nach telefonischer Beratung oder Konsultation über das Internet an Patienten nach Deutschland schicken können. In der 4. AMG-Novelle ist dazu vorgesehen, dass jeder Verordnung ein direkter Arzt-Patienten-Kontakt vorausgehen muss.
„Unglücklich“ über das Fernverordnungsverbot zeigte sich zuletzt auch SPD-Politiker Dirk Heidenblut, zuständig für den E-Health-Ausbau in Deutschland: „Aber es gibt in der Koalition starke Kräfte, die das wollen.“ Es sei „problematisch, dass wir das mit der 4. AMG-Novelle zementieren. Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass sich daran noch etwas ändert.“ Auch Maik Beermann, Berichterstatter in der CDU/CSU-Faktion für den bundesweiten Ausbau des schnellen Internets, sah im DrEd-Verbot einen Widerspruch zum von der Bundesregierung befürworteten E-Health-Ausbau.
Grund für die Verschiebung der Abstimmung über die AMG-Novelle ist aber die Diskussion über klinische Studien mit Demenzkranken. Bereits in der Anhörung des Gesundheitsausschusses nahm dieser Punkt breiten Raum ein. Mit der 4. AMG-Novelle sollen für klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln die Regeln für die Genehmigung, Durchführung und Überwachung europaweit verbindlich vorgegeben werden. Es werden insbesondere die nationalen Zuständigkeiten und Verfahren für die Genehmigung klinischer Prüfungen geregelt: Die Ethikkommissionen der Länder werden weiterhin maßgeblich an der Genehmigung klinischer Prüfungen beteiligt.
Die gruppennützige Forschung – also Forschung, die ausschließlich einen Nutzen für die Patientengruppe des Prüfungsteilnehmers hat – mit nicht einwilligungsfähigen Erwachsenen bleibt grundsätzlich verboten. Sie soll nur dann im Rahmen der engen Vorgaben des europäischen Rechts zulässig sein, wenn eine Patientenverfügung des Betreffenden dies ausdrücklich gestattet und der gesetzliche Betreuer auf der Basis der Patientenverfügung und nach umfassender Aufklärung in die konkrete klinische Prüfung einwilligt. Bei Menschen, die auch nach Erreichen der Volljährigkeit nicht einwilligungsfähig bleiben, ist eine gruppennützige klinische Prüfung weiterhin verboten, da diese Menschen keine Patientenverfügung abgeben können.
Nach Angaben von CDU-Politiker Hubert Hüppe hat die Fraktionsführung nun aber signalisiert, „dass es Abstriche am Patientenschutz nicht geben wird“. Das sagte der zuständige Berichterstatter der Unionsfraktion und ehemalige Behindertenbeauftragte der Regierung dem Tagesspiegel. Demnach kündigte Fraktionschef Volker Kauder bei der jüngsten Sitzung des Vorstands an, dass man beim Lebensschutz „keinen Zentimeter zurückweichen“ werde.
Vor allem die Unionsarbeitsgruppe Familie und Senioren sperrt sich vehement gegen die Pläne des Gesundheitsministers. Der familienpolitische Sprecher der Fraktion, Marcus Weinberg, sagte gegenüber der Zeitung, er wolle „nicht in einer Gesellschaft leben, in der an Demenzkranken Forschung betrieben wird, ohne dass diese davon einen persönlichen Nutzen haben.“ Er sieht demnach hier gerade CDU und CSU „in besonderer ethischer Verantwortung“. Weinberg betonte, dass diese Positionen in der Fraktion „klar mehrheitsfähig“ seien.
Auch große Kirchen, Patientenschützer und Mitglieder der Berliner Ethikkommission warnen vor den Folgen der beabsichtigten Änderungen. Beim Koalitionspartner SPD gelten die Pläne ebenfalls als umstritten. Kritik kam außerdem von Gröhes Vorgängerin, der früheren Gesundheitsministerin und amtierenden Bundestagsvizepräsidentin Ulla Schmidt (SPD). Im Gespräch mit der Berliner Zeitung mahnte sie, dass Menschen mit geistiger Beeinträchtigung keine „Versuchskaninchen für die Pharmaindustrie“ werden dürften. Was Gröhe plane, sei „brandgefährlich“. „Ich kann nur hoffen, dass sich hier die Vernunft durchsetzt und der Bundestag am Ende alles beim Alten lässt“, so Schmidt, die auch Vorsitzende der Bundesvereinigung Lebenshilfe ist.
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