„DocMorris ist nicht innovativ“ APOTHEKE ADHOC, 15.07.2021 10:33 Uhr
DocMorris steckt in einer Identitätskrise. Einst das Schreckgespenst der Branche, ist der Bannerträger der Hollandversender heute in einer viel schwächeren Position als viele in der Branche denken. Wie sollte man also mit den Avancen umgehen, die DocMorris den Apotheken mit seinem Marktplatz macht? Und warum inszeniert sich DocMorris überhaupt gerade als Freund der Vor-Ort-Apotheken? Darüber diskutieren APOTHEKE ADHOC-Herausgeber Thomas Bellartz und Chefredakteur Alexander Müller in der neuen Episode ihres Podcasts NUR MAL SO ZUM WISSEN.
Das E-Rezept ist die historische Chance der Versandapotheken, sich endlich in der Rx-Versorgung breit zu machen. Aber ist das wirklich so? Den Investoren erzählt es DocMorris so, gegenüber der Bevölkerung bewirbt man das E-Rezept schon lange, bevor es in der Versorgungswirklichkeit angekommen ist – und nun verkündet der Versender auch noch das Ende seine alleinstehenden Webshops und umgarnt die Vor-Ort-Apotheken für seine Plattform. „Ich hatte den Eindruck, dass bei denen langsam die Erkenntnis gereift ist, dass die Menschen die Apotheken überhaupt nicht doof finden und sie selbst mehr wie die Apotheken sein müssten – Stichwort Marketplace“, sagt Müller.
Die Frage ist nur: Warum? Weil DocMorris bei weitem nicht der beherrschende Player ist, der er zu sein vorgibt. Vielmehr scheint in Heerlen die Erkenntnis gewachsen, dass das E-Rezept eben doch kein Selbstläufer für die Versender ist. „Ich glaube tatsächlich, das E-Rezept könnte andeuten, wo Versandapotheken unterliegen könnten“, sagt Bellartz.
„Meiner Meinung nach zeigt gerade diese Kampagne und das Bestreben von DocMorris, wie schwach die sind. Die haben eben keine Logistik, die haben keine über 100 Lieferzentren wie der pharmazeutische Großhandel, die haben keine 19.000 Apotheken in Deutschland und damit keine Positionen, die wirklich jeden Tag, sechs Tage die Woche, liefern und dann auch noch Nacht- und Notdienst machen.“
Er sieht die Charme-Offensive als Mogelpackung: DocMorris ist sich seiner Defizite bewusst und bläst sich deshalb auf, um sich als unverzichtbar für die Vor-Ort-Apotheken zu präsentieren – und nach deren Teilnahme am Marktplatz ihr Netzwerk und ihre Dienstleistungen für sich zu nutzen. Wie soll man also als Apotheke damit umgehen? Sind die Vor-Ort-Apotheken ohnehin in der besseren Ausgangsposition, liegt der Gedanke natürlich nahe, die Situation im eigenen Interesse zu nutzen.
Schaut man sich die bisherigen Plattform-Partner an, dann „sind da heute ein paar dabei, bei denen ich sagen würde, das sind vernünftige Unternehmer, die wissen, was sie machen“, sagt Müller. „Und vielleicht sind die sich so sicher, dass sie das jetzt mal ausprobieren, ein paar neue Kundenbeziehungen aufbauen und nicht mehr die Angst haben, dass DocMorris ihnen in ihrem lokalen Business gefährlich werden kann.“
Bellartz sieht das ganz anders. Denn die Logistik-Schwäche solle nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Modell von DocMorris eine reale Gefahr darstellt. „Was gerade wieder passiert: Sie benutzen den Markt und die bestehenden Strukturen, um ein Business-Modell aufzuziehen oder zu verfeinern, das im Moment gar nicht funktioniert, zumindest wenn man den Bilanzen glauben darf.“ Denn anders als in der Selbstdarstellung spiele DocMorris de facto keine Rolle in der Versorgung mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln – der Marktanteil liegt bei etwas über 1 Prozent. „Das ist nicht nur etwas, wo sie nicht stark sind, sondern da sind sie faktisch nicht präsent heute und wollen da natürlich unbedingt rein. Dazu wollen sie sich aufsatteln auf die Apotheken“, so Bellartz. „Ich glaube einfach, dass die ein Problem haben. Und das Problem ist evident: Die sind nicht innovativ. Das Modell, das sie haben, heißt einfach nur, sich an jemand anderes, der erfolgreich ist im Markt, dranzuhängen.“
Denn der beinahe irrelevante Rx-Marktanteil werde sich durch das E-Rezept nicht von allein ändern, wenn Patienten ihre Verordnungen plötzlich digital verschicken können. Von der Straffung logistischer Prozesse würden die Vor-Ort-Apotheken letztlich nämlich genauso profitieren – wenn nicht noch mehr. DocMorris versuche es deshalb hinten rum: nach dem Lieferando-Prinzip. „Die gewöhnen die Leute weg von dir. Das ist brutal und das passiert auch denjenigen, wenn man solche Systeme zulässt“, warnt Bellartz und hat einen konkreten Ratschlag für die Apotheken, denen es vor wachsender Versenderkonkurrenz wegen des E-Rezepts bange ist: „Apotheken kommen am besten gegen solche Wettbewerber an, wenn sie die nicht größer machen, als sie sind. Und damit meine ich nicht, dass man nicht über sie reden sollte. Sondern ganz im Gegenteil: Die sind so groß und fett, dass wir erst recht über sie reden müssen. Wir müssen sie anschauen, hinter die Kulissen schauen und weiter den Finger in die Wunde legen und sagen: Ne, Leute, macht das nicht!“
Der Podcast NUR MAL ZUM WISSEN erscheint immer donnerstags überall, wo es Podcasts gibt sowie als Video-Podcast bei Youtube mit ergänzendem Bildmaterial. Jetzt reinhören!
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