Mit Docdirekt startet die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) als erste KV in Deutschland ein Telemedizinprojekt, bei dem die Patienten nicht persönlich zum Arzt kommen müssen. Gesetzlich Versicherte aus den Modellregionen Stuttgart und Tuttlingen können sich ab dem 16. April 2018 telemedizinisch beraten und behandeln lassen. Niedergelassene Ärzte stehen von Montag bis Freitag zwischen 9 und 19 Uhr für die telemedizinische Beratung der akut erkrankten Patienten zur Verfügung.
Für Dr. Norbert Metke, Vorstandsvorsitzender der KVBW, ist Docdirekt ein wegweisendes Projekt: „Mit Docdirekt gehen wir neue Wege in der Patientenversorgung. Online-Sprechstunden sind seit vielen Jahren in anderen Ländern längst etabliert, nur Deutschland hinkt hier weit hinterher.“ Er betonte: „Uns war es wichtig, dass wir einen großen Schritt in Sachen Digitalisierung vorankommen und andere Möglichkeiten der Interaktion zwischen Arzt und Patient anbieten. Wir wissen, dass ein großer Teil der Bevölkerung heute bereits Online-Medien für Beratungsangebote oder Apps im Gesundheitsbereich nutzt. Viele Menschen können sich auch andere Arzt-Patienten-Kontakte als den direkten in der Sprechstunde vorstellen.“
Als Kassenärztliche Vereinigung zuständig für die Sicherstellung ambulanter Versorgung von neun Millionen GKV-Versicherten lege man Wert darauf, dass es ein telemedizinisches Angebot gebe, das die Ärzteschaft selbst unterbreite: „Wir sind die einzige Organisation, die alle niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten unter ihrem Dach vereinigt. Vor allem aber haben wir kein Interesse an einer wirtschaftlichen Verwertung der Daten wie auch immer.“
Metke hob hervor, dass die Landesärztekammer Baden-Württemberg die formellen Voraussetzungen für das Projekt geschaffen habe: „Bisher stand das Fernbehandlungsverbot einem solchen Projekt entgegen.“ Die Kammer änderte für das Modellprojekt eigens die Berufsordnung. Unklar ist noch, wie Rezepte aus Onlinesprechstunden ausgestellt werden. Mit der Landesapothekerkammer gibt es hierzu Gespräche.
Dr. Johannes Fechner, stellvertretender KV-Vorstandsvorsitzender, führte weiter aus: „Wir haben eine hochwertige Struktur zur telemedizinischen Betreuung der Patienten aufgebaut und nutzen die neuen digitalen Technologien. Damit werden wir unserem Anspruch gerecht, sinnvolle Innovationen in der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung zu etablieren.“ Er sei davon überzeugt, dass mit der Online-Sprechstunde vielen Menschen in Baden-Württemberg eine sinnvolle Ergänzung zur Behandlung in den Arztpraxen geboten werde. Mitgewirkt am Modellprojekt haben baden-württembergische Krankenkassen, die laut KV für das Projekt erhebliche Mittel bereitgestellt haben, sowie dem Sozialministerium Baden-Württemberg.
Professor Dr. Reinhard Meier, Gründer und medizinischer Leiter der TeleClinic, sieht in Docdirekt ein zukunftsweisendes Projekt. „Wir haben TeleClinic gegründet, um Patienten einen einfachen digitalen Zugang zu ärztlicher Kompetenz anzubieten und so die Telemedizin in Deutschland voranzubringen. Die Möglichkeit, ärztliche Leistungen auch über moderne, digitale Kommunikationsmittel erhalten zu können, hat positive Effekte auf Versorgungsqualität sowie -effizienz. Gerade als Arzt sehe ich hier ein großes Potenzial für die Behandlung unserer Patienten.“ TeleClinic selbst bietet bundesweit telemedizinische Konsultationen an und in Baden-Württemberg bereits seit Anfang des Jahres telemedizinische Behandlungen für Privatpatienten. TeleClinic hat eine Apple und Android App entwickelt, die sich Patienten kostenfrei herunterladen können.
Bei Docdirekt können sich GKV-Versicherte aus den Modellregionen Stuttgart und Tuttlingen melden, die akut erkrankt sind. Der Service steht Montag bis Freitag von 9 bis 19 Uhr zur Verfügung. Der Patient kann per App, online oder telefonisch Kontakt mit dem Docdirekt-Center der KVBW aufnehmen. Eine speziell geschulte medizinische Fachangestellte (MFA) erfasst Personalien, Krankheitssymptome und klärt die Dringlichkeit.
Handelt es sich um einen lebensbedrohlichen Notfall, wird der Anruf an die Rettungsleitstelle weitergeleitet. Ist es kein Notfall, erstellt die MFA ein „Ticket“, das ein Tele-Arzt online über eine webbasierte Plattform aufrufen kann. Der Tele-Arzt ruft zurück, spricht mit dem Patienten über seine Beschwerden und gibt eine Empfehlung für die Behandlung. Im Idealfall kann der Tele-Arzt den Patienten abschließend telemedizinisch beraten. Ist eine taggleiche persönliche Vorstellung des Patienten bei einem Arzt notwendig, wird der Patient an eine dienstbereite Haus- oder Facharztpraxis weitergeleitet.
Für Meier bietet die Technik eine Reihe von Vorteilen: „Mit der App kann eine Video-Verbindung zwischen dem Patienten und der MFA bei der KVBW sowie dem Arzt hergestellt werden. Außerdem kann der Patient eigene Dokumente hochladen. Das könnte beispielsweise ein Foto sein, das einen Ausschlag zeigt, eine Röntgenaufnahme oder auch ein Arztbrief. Der Arzt hat damit Zugriff auf diese Dokumente und kann sie gezielt für die Behandlung einsetzen.“ Laut KVBW-Vorstand Fechner stehen in Baden-Württemberg für das Projekt zum Start rund 35 Teleärzte zur Verfügung. „Wir arbeiten, schon aus rechtlichen Gründen, nur mit niedergelassenen Ärzten zusammen. Die haben sich in einer Schulung qualifizieren müssen und eine entsprechende Teilnahmeerklärung unterzeichnet.“
Auf dem kommenden Ärztetag im Mai will die Bundesärztekammer mit einer Änderung der Berufsordnung den Weg für Telemedizin bundesweit frei machen. Darüber gibt es aber in der Ärzteschaft Streit. Die Hausärzte lehnen Fernbehandlungen ohne persönlichen Patientenkontakt ab.
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