Liebe Leserinnen und Leser, an dieser Stelle versuchen wir Sie normalerweise mit einem satirischen Wochenrückblick zu erfreuen und augenzwinkernd das Wichtigste der Woche zusammenzufassen. Das fällt in dieser Woche schwer und es fühlt sich unangemessen an. Das ist nicht die Zeit für Satire. Das ist die Zeit für Solidarität mit der Ukraine.
Natürlich ist den Menschen in der Ukraine nicht geholfen, wenn wir uns heute nicht scherzhaft mit den vermeintlich großen Aufregern unserer Branche auseinandersetzen. Der Alltag muss und wird weitergehen: Sie werden sich in der Apotheke oder einem anderen Arbeitsplatz wieder ärgern über bürokratischen Unsinn, zu lockere oder zu strenge Corona-Maßnahmen und dass niemand das Problem des Fachkräftemangels ernsthaft angeht. Wir wissen nicht, wie es Ihnen geht: In unserer Wahrnehmung treten diese Anliegen gerade in den Hintergrund, erscheinen persönliche Probleme beschämend leicht.
Seit dem 24. Februar gibt es wieder einen Angriffskrieg in Europa. Trotz aller Warnungen und Mahnungen: Das ist etwas, das sich niemand, den wir kennen, vorstellen konnte. Fassungslos sehen wir die Bilder, hören die Lügen – und können gar nichts tun. Diese fürchterliche Ohnmacht wird zur Wut auf die Verantwortlichen, weil sie sich fürchtet, zur Angst zu werden.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat dem russischen Präsidenten Wladimir Putin „narzisstische Geltungsbedürfnisse“ vorgeworfen. Doch das ist nur ein viel zu kleiner Ausschnitt der Wahrheit: Statt sein Land endlich zu Demokratie, Gerechtigkeit und Chancengleichheit zu führen, zettelt Putin einen Krieg an, um geopolitische Fakten zu schaffen, die er aufgrund der wirtschaftlichen Schwäche und mangelnden Innovationsfähigkeit seines Staates nicht auf zivilisiertem Wege erreichen würde. Und um von ebenjener Misswirtschaft, Korruption und dem politischen Versagen abzulenken, das zu dieser Situation geführt hat. Mit völlig abstrusen Lügen von einem „Genozid“ in der Ukraine versucht er, den brutalen Überfall auf das Nachbarland zu rechtfertigen. Dass er mit Wolodymyr Selenskyi einem russischen Juden mit „Entnazifizierung“ droht, macht dieses zynische Lügenspiel nur noch infamer.
Aber trotz des vereinzelten mutigen Protests in Russland fällt eine erschreckend große Anzahl an Bürgerinnen und Bürgern noch immer darauf herein. Zugegeben, in Putins Russland kann man tiefer fallen als in den allermeisten westlichen Ländern. Doch es ist nicht nur die Angst vor Verhaftung, staatlicher Willkür und Straflager, die viele Russinnen und Russen schweigen lässt. Ob Zarenreich, Lenin, Stalin oder Sowjetunion: Niemals in der Geschichte Russlands seien die monströsen Verbrechen an der eigenen Bevölkerung aufgearbeitet worden, seien die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen worden, schrieb schon Alexander Solschenizyn in seinem „Archipel Gulag“. Wie ein Gift habe sich das Recht des Stärkeren daher in die russische Seele eingegraben. Wer nach oben will und nach unten tritt, handelt rational nach dieser Logik. Wer zum Kreis der Milliardäre gehört, der hat es eben einfach geschafft – und muss sich keine unangenehmen Fragen stellen lassen.
Für eine nachhaltige Friedensordnung in Europa müsste dieser Teufelskreis der Macht des Stärkeren endlich durchbrochen werden. Stattdessen zerstört Putin mit dem jetzt angezettelten Bruderkrieg das Schicksal ganzer Generationen – nicht nur in der Ukraine, sondern auch im eigenen Land. Es wird wohl weitere Jahrzehnte dauern, bis das Unrecht von einer breiten Öffentlichkeit erkannt oder sogar ansatzweise wiedergutgemacht werden kann.
Die Wut, Trauer und Angst werden uns nach Lage der Dinge noch eine Weile begleiten. Denn dieser Konflikt wird weitergehen. Wir können nur hoffen, dass er sich nicht ungehemmt ausbreitet und dass er so schnell wie möglich beendet wird. Wir werden uns bald wieder mit unseren kleinen Alltagssorgen befassen, werden wieder darüber lachen, werden versuchen, aus den eigenen Fehlern und denen der anderen irgendwie das Beste zu machen. Aber nicht in dieser Woche. Denn dieses Datum hat nur einen Namen. Unsere Gedanken sind bei Menschen in der Ukraine und ihren Freunden und Familien überall sonst auf der Welt.
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