„Dieser Wahlkampf macht uns krank“

Berlin -

Der Wahlkampf ist in der sogenannten heißen Phase – nur über Corona wird vergleichsweise wenig gesprochen. Haben die Kampagnenstrategen in den Parteizentralen Angst vor dem Thema. In der aktuellen Folge ihres Podcasts NUR MAL SO ZUM WISSEN sprechen Herausgeber Thomas Bellartz und Chefredakteur Alexander Müller über politische Verantwortung und einen Wahlkampf, der krank macht.

Bellartz erwartet in diesem Jahr eine hohe Wahlbeteiligung aufgrund der engen politischen Verhältnisse. Das könne man von der Impfquote leider nicht sagen, die bei leicht über 60 Prozent nicht mehr richtig vorankomme. Und er ist überzeugt: „Es gibt einen Zusammenhang zwischen den Zahlen.“ Denn es gebe zwar Wahlkampf und große Plakatkampagnen der Parteien, aber keine effektiven Impfkampagnen. Müller schlägt vor, dass die Parteien die Fläche auf ihren Plakaten lieber dafür nutzen, die Menschen über Corona zu informieren und zum Impfen anzuregen.

„Man hat das Gefühl, Corona und die Pandemie werden seit Wochen ausgeklammert, finden in dieser Bundestagswahl nicht statt und das führt zu einem großen Schmerz, weil deswegen auch die Quote nicht hoch geht“, kritisiert Bellartz. Weil es eine so klare Lagerbildung bei dem Thema gebe, komme es nicht auf die Agenda. Die Parteien hätten Angst, mit zu klaren Ansagen Wähler:innen zu verschrecken.

Müller hat dafür auch kein Verständnis: „Es gab zumindest in meiner Geschichte noch nichts, was die gesamte Gesellschaft so allumfassend bewegt hat, ökonomisch, sozial, zwischenmenschlich. Wann, wenn nicht in so einem Wahlkampf, kann man über dieses Thema und wie man damit umgeht, sprechen?“ Bellartz findet das symptomatisch: „Ich finde, gerade Corona zeigt entlarvend, wie unfähig Politik mit solchen schwerwiegenden, die Gesellschaft auch zum Teil spaltenden Themen umgeht.“

Das Verhältnis von Erstgeimpften und vollständig Geimpften zeige deutlich, dass die Impfkampagne an Fahrt verloren hat, so Müller. Er vermutet, dass das Thema wieder viel mehr in den Fokus geraten wird, wenn die vierte Corona-Welle richtig rollt. Dass die Politik bis dahin nur „von der Hand in den Mund“ arbeite, findet der ADHOC-Chefredakteur „wahnsinnig frustrierend“.

Bellartz fragt sich vor allem, wo gerade in dieser Phase Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ist. „Warum geht der nicht in jede Klinik, auf jede Intensivstation, zeigt die Realität durch seine Präsenz sowie andere Politiker und Politikerinnen vollkommen zu recht in die Flutgebiete gefahren sind? Jeden Tag sterben jetzt wieder dutzende Menschen in diesem Land an den Folgen oder an Corona und die Zahlen steigen.“

Müller findet es grob fahrlässig und unseriös, wenn die Politik jetzt Versprechungen macht, dass es keine neuen Beschränkungen mehr geben soll, „weil es einfach unvorhersehbar ist, was passiert, wenn die Pandemie weiter rollt, dann wird es vielleicht neue Mutationen geben, dann werden wird vielleicht Impfdurchbrüche geben – dann wird die Politik reagieren müssen“.

Bellartz stimmt darin zu und wünscht sich, dass der Wissenschaft in der Politik noch mehr Gehör geschenkt wird. „Dem müsste mehr Raum geboten werden und das muss als allererstes die Politik tun, denn die hat den Zugang zu den Medien, den Zugang in ihre Parteien, in die Öffentlichkeit.“ Das werde doch gerade im Wahlkampf sehr deutlich. „Übernimmt die Politik eigentlich die Verantwortung dafür, dass immer noch so viele Menschen erkranken, dass sich so viele Menschen nicht impfen lassen, dass so viele Menschen sterben, weil die Politik sich nicht kümmert? Dann muss sie dafür die Verantwortung übernehmen. Aus meiner Sicht macht sie sich schuldig.“

Müller hat eher das Gefühl, dass die Politik verzweifelt. Vor der heißen Phase des Wahlkampfes sei immerhin schon viel versucht worden, die Impfquote zu erhöhen, mit vielen niedrigschwelligen Angeboten. Aber das habe alles nicht richtig verfangen, zu viele Menschen nicht erreicht. Bellartz richtet sich mit einem Appell an die politisch Verantwortlichen: „Ihr macht hier gerade zu wenig, Dieser Bundestagswahlkampf, der macht krank. Diese Art, Politik zu machen, die macht ganz konkret krank und die gefährdetet Menschenleben.“