Kommentar

Die Zeit des Mauerns ist vorbei

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Berlin -

Als das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) 2010 das Abgabeterminal Visavia prüfte, hing die Apothekenpflicht am seidenen Faden. Dass die Richter das Modell am Ende versenkten, war weniger grundsätzlichen Erwägungen geschuldet, sondern einigen ziemlich dünnen apothekenrechtlichen Petitessen. Seitdem sind sieben Jahre vergangen, und die ABDA hat nichts erreicht, um die Apotheker vor Automaten zu schützen. Das rächt sich jetzt: In Hüffenhardt wird das deutsche Apothekenwesen einmal mehr auf die Probe gestellt. Dass ausgerechnet jetzt – quasi vor der Haustür des DocMorris-Terminals – von den Pharmazeuten selbst digitale Rezeptsammelstellen erprobt werden, ist ein schwieriger Balanceakt.

Dass die Zustellung von Medikamenten durch die Apotheke ein Zukunftsthema sein könnte, ist schon länger klar: Patienten mögen es bequem, anders lässt sich der Antritt von Amazons „Pillen-Prime“ in München nicht erklären. „Mich nervt der Weg in die Apotheke“, gab Netzökonom Dr. Holger Schmidt unlängst zu Protokoll. Und: „Digitalisierung bedeutet Vereinfachung: Man muss dafür sorgen, dass der Kunde schneller und besser an Informationen und Ware kommt.“

Nun ist Digitalisierung für viele Apotheker das, was Pharmakokinetik für den Laien ist: ein Buch mit sieben Siegeln. Dass der Deutsche Apothekertag im vergangenen Jahr dem Geschäft mit Gesundheits-Apps abschwor, spricht Bände. Bequemer als Apotheke vor Ort geht doch gar nicht, so die weit verbreitete Meinung. Und außerdem wäre da ja noch die Apothekenpflicht.

Ausgerechnet die steht jedoch im Moment auf der Kippe. Wenn DocMorris mit seinem Terminal durchkommt, könnten bald überall freundliche Video-Apotheker aus Holland grüßen: im Rewe, am Bahnhof – und eben auf dem Land. Die demografische Entwicklung lässt sich nicht negieren, die Apotheker wurden schon 2013 von der Politik aufgefordert, Alternativen zum Apothekenbus à la DocMorris zu entwickeln.

Klar ist, dass mit Botendienst und Rezeptsammelstellen zwei bestehende Instrumente existieren, um die Versorgung gerade von immobilen Patienten und Menschen auf dem Land zu verbessern. Das ist – anders als bei der Novelle der ApBetrO im Jahr 2012 – mittlerweile auch anerkannt: Schon in seinem Gesetzentwurf zum Rx-Versandverbot hatte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) vorgesehen, den Botendienst aus seinem Ausnahmedasein zu befreien und in die Routine des Versorgungsalltags zu überführen. Dass die Apotheker diese Leistung einmal mehr umsonst sollten, steht auf einem anderen Blatt.

Weil aber aus Berlin nichts kommt, will der Landesapothekerverband Baden-Württemberg nun selbst einen Testballon steigen lassen: Digitale Rezeptsammelstellen sollen die alten Briefkästen ablösen – das klingt nicht nur modern, sondern spart Zeit und Mühe: Das Rezept wird elektronisch in die Apotheke geschickt und erst beim Ausfahren der Medikamente aus der Box geholt. Das erspart der Apotheke einen Weg und könnte die Versorgung in entlegenen Regionen einfacher machen.

Mit den digitalen Rezeptsammelstellen institutionalisiert Verbandschef Fritz Becker auf den ersten Blick nur das, was in vielen Apotheken längst üblich ist: die elektronische Bestellung über Dienste wie Whatsapp & Co. Wer vorab sein Rezept schickt, muss nicht zweimal in die Apotheke, lautet da die Devise. Wer vorab den Briefkasten leert, muss nicht zweimal den Boten schicken, lautet hier die Überlegung.

Doch es gibt einen wichtigen Unterschied: Wenn ein Kunde sein Rezept abfotografiert und in die Apotheke schickt, löst er nur eine Vorbestellung aus. An Ort und Zeitpunkt der Abgabe ändert sich nichts – denn wenn er das Medikament abholt, muss er das Rezept vorlegen. Wenn die Apotheke dagegen die Botentüten auf der Grundlage eines Rezeptscans befüllt, werden wichtige apothekenrechtliche Fragen tangiert: Wann findet dann im rechtlichen Sinne die Abgabe statt? Variante 1: In der Apotheke. Variante 2: An der Haustür. Beide Sichtweisen sind im Graubereich.

Laut Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) muss das Rezepts „bei der Abgabe“ durch den Apotheker abgezeichnet werden, darauf fußt im Wesentlichen auch das Visavia-Urteil. Mit Abgabe ist im Idealfall das Beratungsgespräch am HV-Tisch gemeint. Im Versandhandel gilt nicht die Übergabe durch den Postboten als entscheidender Moment, sondern die Prüfung und Konfektionierung der Sendung durch den Apotheker. Das lässt sich auf Botendienst und Rezeptsammelstellen übertragen.

Wenn in der Apotheke aber das Rezept nicht physisch vorliegt, sondern nur ein Scan, kann es nicht abgezeichnet werden. Das gilt für Hüffenhardt genauso wie für Beckers digitalen Rezeptsammelstellen. Eine Überlegung wäre, den Moment der Abgabe in solchen Fällen auf den Moment der Übergabe durch pharmazeutisches Personal zu verschieben – mit allen Folgen für den Begriff der Apothekenpflicht. Gänzlich neu wäre eine solche Sichtweise aber nicht: Bereits heute dürfen laut ApBetro Patienten auch an der Haustür durch Apotheker, PTA und Pharmazieingenieure informiert werden, wenn die Beratung nicht in der Apotheke stattfinden konnte.

Damit ist allerdings ein weiterer Punkt tangiert: PTA dürfen nur unter Aufsicht des Apothekers arbeiten, schon die Erlaubnis, Rezepte abzuzeichnen, muss vorab schriftlich fixiert werden. Wohl nicht umsonst hofft Becker, dass die Apotheker mit digitaler Rezeptsammelstelle die Ware nach Feierabend selbst ausfahren. Wenn PTA also die digitale Rezeptsammelstelle leeren und die Medikamente ausfahren, ist der Grat zum Terminal aus rechtlicher Sicht schmal. Auch wenn sich aus pharmazeutischer Sicht durchaus wesentliche Unterschiede ausmachen lassen.

Fakt ist: Wenn es darum geht, Apothekern die Arbeit mit elektronischen Medien zu erlauben, dann sitzen Becker und DocMorris im selben Boot. Sie rudern nur gewissermaßen in unterschiedliche Richtungen. Der Versuch der Baden-Württemberger, das Thema endlich aktiv anzugehen, ist lobenswert. Denn das E-Rezept wird nicht ewig einen Bogen um Deutschland machen. Viel zu lange hat die ABDA geschlafen, viel zu viele Regelungen passen nicht in die neue Welt. Die Zeit des Einmauerns ist vorbei – damit die Apotheker auch morgen noch besser als DocMorris sein werden.

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