Video-Interview BGH

„Die Preisbindung lässt keine Ausnahmen zu“

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Bewusst strenge Regeln: Laut Professor Dr. Joachim Bornkamm, Vorsitzender Richter am BGH, kennt die AMPreisV keine Ausnahmen. Foto: APOTHEKE ADHOC
Berlin -

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in sechs zusammengefassten Verfahren über die Zulässigkeit von Rabattsystemen bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln entschieden. Demnach verstoßen Rx-Boni grundsätzlich gegen die Arzneimittelpreisbindung. Kleine Rabatte können aber unter die sogenannte Bagatellgrenze fallen. APOTHEKE ADHOC sprach mit dem Vorsitzenden Richter, Professor Dr. Joachim Bornkamm, über das Grundsatzurteil. Bornkamm erklärt, wo das Wettbewerbsrecht und das Arzneimittelrecht aufeinander stoßen, wieso es die Bagatellgrenze gibt und warum die Apothekerkammern trotzdem jeden Bonus verbieten könnten.

ADHOC: Sind Rx-Boni jetzt erlaubt?
BORNKAMM: Man kann eigentlich nicht sagen, dass aufgrund der Entscheidung Boni auf Rezept zulässig seien. Die Entscheidung, die unser Senat getroffen hat, ist eine Entscheidung zum Wettbewerbsrecht. Hier haben andere Apotheker geklagt, also Mitbewerber derjenigen, die diese Boni gewährt haben. Die Entscheidung sagt letztlich nur, dass in diesem Bagatellbereich wettbewerbsrechtlich gegen solche Boni nichts einzuwenden ist. Die Besonderheit dieses Falles liegt darin, dass wir dahinter stehend eine relativ strenge gesetzliche Regelung haben, nämlich die Preisbindung für Arzneimittel. Und diese Preisbindung für Arzneimittel lässt im Grunde keinerlei Ausnahmen zu.

ADHOC: Worauf begründet sich die Entscheidung?
BORNKAMM: Es sind zwei Regelungssysteme, die hier angewandt werden müssen: Das eine ist das Werberecht, das von der Zielrichtung her den Verbraucher vor unsachlicher Beeinflussung schützen soll, zum Beispiel vor übermäßigen Versprechungen. Das ist der Hintergrund der Regelung im Heilmittelwerbegesetz. Auf der anderen Seite stehen die Preisbestimmungen für Arzneimittel. Die haben eine vollkommen andere Zielrichtung, nämlich die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung. Sie sollen gewährleisten, dass auch die kleine Apotheke auf dem Land ein Auskommen hat und nicht unter einem übertriebenen Preisdruck leidet.

ADHOC: Gelten noch Festpreise für Arzneimittel?
BORNKAMM: Die Preisbestimmungen des Arzneimittelrechts sind sehr rigide, sehr streng und sehen keinerlei Ausnahmen vor. Anders als bei der Buchpreisbindung, bei der es mancherlei Rabattmöglichkeiten gibt, ist es bei Arzneimitteln noch beschränkter. Ob man das für richtig oder falsch hält, ist eine vollkommen andere Frage, die ich auch gar nicht diskutieren möchte. Darüber hat jeder seine eigene Meinung. Aber das Gesetz ist in diesem Punkte klar.

ADHOC: Wieso gibt es dann eine Bagatellgrenze?
BORNKAMM: Auch wenn es nur ein Bagatellbetrag ist, also die Boni sich nur in einem geringen Bereich bewegen bis zu einem Euro, bleibt es ein Verstoß gegen die Bestimmungen der Preisbindung für Arzneimittel, der von den Kammern oder zuständigen öffentlich-rechtlichen Behörden auch verfolgt werden kann. In der Regel ist es allerdings so, dass die Behörden aus Gründen der Opportunität solche Fälle nicht unbedingt verfolgen, so dass immer Wettbewerber mit einem zivilrechtlichen Anspruch ein Verbot erreichen wollen. Dieses Verbot haben wir nicht hergegeben.

ADHOC: Sind Apotheken unter der Bagatellgrenze sicher?
BORNKAMM: In diesem Bereich spielen die Klagen der Wettbewerber eine sehr große Rolle, wenn nicht die entscheidende. Denn bei Bagatellen wird eine Kammer nicht einschreiten. Wenn sie es aber tut, dann wird sie die Arzneimittelpreisbindung mit aller Härte durchsetzen können. Denn dieses Recht kennt keine Begrenzung.

ADHOC: Was ist mit Gutscheinen, die später eingelöst werden?
BORNKAMM: Manche Oberlandesgerichte haben darin einen Grund gesehen für die Zulässigkeit der Rabatte. Die Argumentation in diesen Verfahren war: Es geht gar nicht darum, dass der Preis wirklich gesenkt wird, sondern man bekommt ja den Bonus dafür, dass man später ein anderes Präparat billiger verkauft. Das konkrete verschreibungspflichtige Arzneimittel wird nach wie vor für 22,30 Euro abgegeben, keinen Cent billiger. Das ist eine Augenwischerei, die der Senat selbstverständlich nicht mitgemacht hat. Wenn der Kunde für den Einkauf eines solchen Präparats, das 22,30 Euro kostet, einen Bonus erhält, für den er nachher vielleicht Tempotaschentücher oder Nivea oder irgendein anderes Produkt um einen Euro billiger kaufen kann, dann ist das so gut wie Bargeld. Das ist wirtschaftlich aus der Sicht des Kunden dasselbe. Deswegen haben wir hier auch keinen Unterschied gesehen.

ADHOC: Wieso wurde keine exakte Grenze festgelegt?
BORNKAMM: Also wir sind ja kein Gesetzgeber und schreiben irgendwelche kleinlichen Regelungen in Entscheidungen hinein. Wir haben im Einzelfall zu entscheiden. Natürlich müssen wir berücksichtigen, dass eine gewisse Rechtssicherheit erforderlich ist. Wir wissen, dass wir auch direkt oder indirekt Leitfäden geben müssen für die Praxis. Das kann man dem Urteil sicherlich entnehmen, dass man jetzt von einem Euro ausgehen kann. Im Laufe der Zeit kann sich das durch eine gewisse Entwertung sicherlich verändern: Früher hat man von einer Mark gesprochen, jetzt ist also der Betrag von einem Euro im Raum und das ist sicherlich die Marge, an der man sich orientieren kann.

ADHOC: Ist ein Euro Rabatt für Apotheken eine Bagatelle?
BORNKAMM: Natürlich kann man sich vorstellen, dass eine Apotheker deutlich weniger daran verdient, vielleicht fünf oder sechs Euro. Dann kann man natürlich sagen: Ein Euro ist viel. Darum geht es aber bei der wettbewerbsrechtlichen Frage überhaupt nicht. Für die Frage, ob es eine Bagatelle ist oder nicht, ist entscheidend, ob der Verbraucher unsachlich beeinflusst wird. Wird er möglicherweise Dinge nachfragen, die er gar nicht braucht? Man kann davon ausgehen, dass das eher nicht der Fall sein wird.

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