Die Lücke in Spahns Rezeptmakelverbot Alexander Müller, 21.11.2019 10:32 Uhr
Mit der Einführung des E-Rezepts sehen viele Apotheker ein größeres Risiko, dass Verordnungen gezielt zu Versandapotheken geleitet werden. Der Gesetzgeber will Ärzten und Krankenkassen das Rezeptmakeln verbieten. Doch es gebe eine entscheidende Lücke im Gesetzentwurf, warnt die Wettbewerbszentrale und verweist auf einen aktuellen Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH).
Mit dem Apothekenstärkungsgesetz (VOASG) will der Gesetzgeber das Zuweisungsverbot explizit auf E-Rezepte ausweiten. Die in § 31, Abs. 1 Sozialgesetzbuch V (SGB V) geregelte freie Apothekenwahl der Versicherten soll um den Halbsatz ergänzt werden: „Dies gilt auch bei der Einlösung von elektronischen Verordnungen.“ Und dahinter soll – fast noch wichtiger – hinzugefügt werden: „Vertragsärzte oder Krankenkassen dürfen, soweit gesetzlich nicht etwas anderes bestimmt ist, weder Verordnungen bestimmten Apotheken zuweisen noch die Versicherten dahingehend beeinflussen, Verordnungen in einer bestimmten Apotheke einzulösen.“
Eindeutiger könnte der Gesetzgeber seinen Willen nach einem Zuweisungsverbot kaum formulieren, könnte man meinen. Doch in seiner Stellungnahme hat der Bundesrat schon im September warnend den Finger gehoben. Zwar sei zu begrüßen, dass das Recht auf freie Apothekenwahl als essentiell angesehen, im SGB V verankert und auf E-Rezepte erstreckt werde. „Allerdings sind in der Praxis Geschäftsmodelle erkennbar, mit denen unter anderem ein ‚Makeln‘ von Verschreibungen durch Dritte mit dem Effekt einer Zuweisungssteuerung erfolgt, die von § 11 Absatz 1 ApoG beziehungsweise dem geänderten § 31 SGB V nicht erfasst werden.“
Die Länderkammer weist auf die Lücke im Entwurf von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hin: „Damit kann das Zuweisungsverbot umgangen und das Recht der Versicherten auf freie Apothekenwahl ausgehöhlt werden.“ Denn die rechtliche Vorgabe im SGB V allein könne „keine Rechtspflichten für Dritte begründen, die außerhalb des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung agieren“. Mit anderen Worten: Private Krankenversicherungen könnten sehr wohl Deals – beispielsweise mit großen Versandapotheken – schließen und ihre Versicherten dahin lenken.
Dass das ein mehr als theoretisches Problem ist, zeigt der oben genannte Fall der Wettbewerbszentrale. Die war gegen eine Kooperation der Central Krankenversicherung (Generali) mit der Versandapotheke Aposan (Eigelstein Apotheke in Köln) vorgegangen. Hier ging es zwar nicht um die gesamte Versorgung der Versicherten, sondern nur um die relativ kleine Patientengruppe mit einer Makuladegeneration, bei denen vom behandelnden Augenarzt die Indikation zur intravitrialen Injektionstherapie (IVOM) mit einem Angiogenesehemmer gestellt worden war.
Diese Versicherten wurden von der Central nicht nur auf die Kooperation mit der Apotheke hingewiesen, die ihren Herstellbetrieb 2016 an einen Finanzinvestor verkauft hatte. Sie bekamen dazu gleich ein an den behandelnden Augenarzt persönlich adressiertes Schreiben nebst einer „Anforderung patientenbezogener Arzneimitteltherapie“. Dabei handelte es sich letztlich um einen Bestellbogen.
Die Wettbewerbszentrale hatte darin einen Verstoß gegen das Abspracheverbot gemäß § 11 Abs. 1 Apothekengesetz (ApoG) gesehen und geklagt. Während in erster Instanz vor dem Landgericht Köln noch darüber gestritten wurde, ob für IVOM-Rezepturarzneimittel die gleichen Ausnahmen vom Zuweisungsverbot gelten wie bei Zytostatika, kassierte die Wettbewerbszentrale im Januar vor dem Oberlandesgericht Köln (OLG) eine noch grundsätzlichere Abfuhr: Eine unzulässige Absprache liege nicht vor. Denn die Krankenversicherung sei keine „andere Person, die sich mit der Behandlung von Krankheiten“ befasst. Der bedarf es aber aus Sicht des Gerichts für eine illegale Absprache. Revision wurde nicht zugelassen.
Die Wettbewerbszentrale nahm noch einen Anlauf und legte Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH ein. Doch die Karlsruher Richter winkten ab. Im ablehnenden Beschluss vom 12. September heißt es, die Sache habe keine grundsätzliche Bedeutung.
Rezeptmakel-Freibrief für PKV?
Rechtsanwältin Christiane Köber, Mitglied der Geschäftsführung der Wettbewerbszentrale, sieht nach der BGH-Entscheidung den Gesetzgeber in der Pflicht. Der Adressatenkreis für das Makelverbot müsse dringend erweitert werden. Denn das derzeit geplanten Zuweisungsverbot im SGB V könne offensichtlich leicht umgangen werden. „Das ist ein Freibrief für jede private Krankenversicherung“, so Köber.
Der Rechtsanwältin ist es nach wie vor ein Rätsel, warum das OLG in der Kooperation der Versandapotheke keine Zuweisung gesehen hat. Aus ihrer Sicht liegt eindeutig eine Einflussnahme seitens vor, da der Patient ein an seinen Arzt adressiertes Schreiben seiner Versicherung immer an diesen übergeben werde, um in Sachen Kostenerstattung auf der sicheren Seite zu sein.
Die ABDA hatte in ihrer Stellungnahme zum VOASG ebenfalls gefordert, dass das „Sammeln, Vermitteln und Weiterleiten von Verschreibungen auch in elektronischer Form an Apotheken und die Werbung dafür“ auch Dritten verboten werden sollte. Denn in den vergangenen Jahren seien mit verschiedenen Geschäftskonzepten die Möglichkeiten ausgelotet worden, an der Versorgung zu partizipieren.
Mit Blick auf das E-Rezept werde es noch schwieriger, unzulässige Gestaltungen aufzudecken, da es in der digitalen Welt schwierig sein werde, den Weg der Verschreibung als Indiz für missbräuchliche Gestaltungen zu verfolgen.
Der Gesetzgeber muss noch eine andere Lücke stopfen, die von den Gerichten aufgedeckt wurde. So hat der BGH bestätigt, dass das Zuweisungsverbot aktuell nicht für ausländische Versender gilt. Der Entwurf des VOASG sieht vor, dass § 11 Apothekengesetz (ApoG) entsprechend geändert wird. In der Begründung heißt es: „Eine entsprechende Erstreckung auf ausländische Apotheken ist angesichts des Regelungszwecks der Vorschrift erforderlich, die intransparente Konstellationen der Zusammenarbeit zwischen Apotheken und Ärzten verhindern und die freie Apothekenwahl garantieren soll.“
Spahn trifft sich mit EU-Kommission
Die ABDA würde gerne noch einen Schritt weiter gehen: „Wir halten es für vorzugswürdig, die Geltung arzneimittel- und apothekenrechtlicher Vorschriften für Apotheken mit Sitz in einem anderen EU-/EWR-Staat übergeordnet zu regeln und insofern für die Zukunft Rechtssicherheit in dieser Frage zu schaffen. Nach unserer Auffassung bietet sich eine entsprechende Verankerung in § 73 Absatz 1 AMG an, der bereits gegenwärtig regelt, unter welchen Voraussetzungen Arzneimittel aus einem anderen EU-/EWR-Staat im Wege des Versandhandels nach Deutschland verbracht werden dürfen.“
Aber dafür muss das Gesetz erst einmal kommen. Derzeit wartet der Gesetzgeber auf die Stellungnahme aus Brüssel. Die Gespräche auf der Fachebene sind abgeschlossen, Anfang Dezember wird Spahn auf der politischen Ebene mit der neu bestellten EU-Kommission sprechen. Möglicherweise Mitte Januar könnte das Ergebnis aus Brüssel vorliegen. Im Falle einer kompletten Ablehnung müsste sich Spahn entscheiden, ob er trotzdem am ebenfalls im VOASG geplanten Rx-Boni-Verbot festhält und es auf ein EuGH-Verfahren ankommen lässt. Daran hängt auch die Frage, ob das Makelverbot rechtzeitig wasserdicht gemacht wird.