Der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbandes (DAV) zieht seine eigenen Schlüsse aus dem „Lunapharm-Skandal“ um mutmaßlich gestohlene Zytostatika. Fritz Becker hält die Importquote für überholt und gefährlich für die Arzneimittelsicherheit. Das wollen die Importeure nicht auf sich sitzen lassen: Beckers Import-Diskussion trage „trumpsche“ Züge, seine Äußerungen zeugten „von wenig Marktkenntnis“, kritisiert der Verband der Arzneimittelimporteure Deutschlands (VAD). Unterstützung erhält Becker aber von der AOK.
Vergessenheit, Unkenntnis, „weder sachgerecht noch zielführend“: Der VAD teilt kräftig gegen DAV-Präsident Becker aus. Der hatte in der Diskussion über den Arzneimittelskandal um mutmaßlich gestohlene Zytostatika die Importquote ins Visier genommen. „Die Importquote ist ein mittlerweile überholtes Kostendämpfungsinstrument, das in Zeiten der Arzneimittel-Rabattverträge kaum noch Einsparungen erzielt“, so Becker am Dienstag. Ihre Erfüllung „verursacht nicht nur erheblichen bürokratischen Aufwand in der Apotheke, sondern gefährdet vor allem die Arzneimittelsicherheit für die Patienten“.
Denn der verordnete Import verringere die Sicherheit der hierzulande abgegebenen Arzneimittel. „Lange und grenzüberschreitende Lieferketten erhöhen das Risiko für das Einschleusen von gestohlenen und gefälschten Medikamenten“, so Becker. „Jeder Apotheker braucht den Spielraum, um sich bei Sicherheitsbedenken im Einzelfall gegen ein Importmedikament entscheiden zu können.“
Das hält man beim VAD für Unfug. Der jetzige Skandal habe mit dem legalen und politisch gewollten Arzneimittelhandel innerhalb der EU nichts zu tun. Stattdessen liege der Skandal „in den offenkundig illegalen Aktivitäten eines Kleinsthändlers und der mangelhaften Koordination und Kooperation der zuständigen Ermittlungs- beziehungsweise Aufsichtsbehörden“, schreibt der Verband. Die Forderung Beckers nach einer Streichung der Importquote sei deshalb „weder sachgerecht noch zielführend und zeugt insgesamt von wenig Marktkenntnis des DAV-Vorsitzenden.“
Den weist der Verband bei der Gelegenheit auch gleich darauf hin, wie die Quote zustande kam. „Herr Becker scheint vergessen zu haben, dass sie das Ergebnis eines zwischen Organen der Selbstverwaltung geschlossenen Vertrages ist.“ Nicht weniger, sondern mehr Quote sei stattdessen der Weg: „Wollte Herr Becker ernsthaft den ‚bürokratischen Aufwand‘ in der Apotheke verbessern, könnte er mit seinem Vertragspartner beispielsweise die Erfüllung der Importquote über alle Kassen anstreben.“
Bei Beckers Forderung nach „Spielraum, um sich bei Sicherheitsbedenken im Einzelfall gegen ein Importmedikament entscheiden zu können“ handele es sich um eine „Scheindiskussion“, denn Becker „verkennt oder lässt bewusst aus, dass die von ihm verhandelte Importquote 5 und nicht 100 Prozent beträgt“, so der VAD. Die Apotheken hätte jederzeit die Möglichkeit, bei einem in Zweifel geratenen Anbieter nicht mehr zu bestellen.
Und auch das Deutsche Arzneiprüfungsinstitut (DAPI) bekommt eine Salve ab: Das hatte nämlich berechnet, dass die sechs Millionen an gesetzlich Versicherte abgegebenen Import-Packungen unter Berücksichtigung der Herstellerabschläge lediglich 120 Millionen Euro im Jahr einsparen. „Diese „im Auftrag des DAV errechneten Angaben sind nicht nachvollziehbar“, erwidert der VAD, der von mehr als der doppelten Summe ausgeht.
Denn im patentgeschützten Segment seien durch die Importe Einsparungen von 245 Millionen Euro im Jahr auf Basis der verfügbaren Marktdaten „transparent und problemlos zu berechnen“. Allein durch die 15/15-Regelung – nach der Arzneimittel entweder 15 Prozent oder 15 Euro günstiger sein müssen als das Original – würden die Krankenkassen mehr als 182 Millionen Euro sparen.
Damit nicht genug, unterstellt der VAD dem DAV-Präsidenten fachliche Schwächen: „Zudem vermischt Herr Becker zum wiederholten Male die Einsparungen durch importierte patentgeschütze und verschreibungspflichtige Originale mit den angegebenen 4 Milliarden Euro durch Rabattverträge bei Generika.“ Da sie keinen Einblick in die Referenzwerte erhielten, seien die Einsparungen durch geheime Rabattverträge für Außenstehende jedoch nicht zu berechnen.
Bei Rabattverträgen für Rx-Medikamente nach der frühen Nutzenbewertung wiederum führe die Logik der Preisabstandsklausel nach § 129 SGB V dazu, dass der Import preisgünstiger sein muss, um auf die Importquote angerechnet zu werden. Dass dieser Preiswettbewerbsmechanismus funktioniere und zu Preissenkungen und Einsparungen führe, „sieht man in dem fortgesetzten Versuch der Hersteller, die verhandelten Preise so lange wie möglich intransparent und geheim zu halten“.
Becker rät der VAD an, sich um andere Themen zu kümmern. „Als oberster Vertreter der wirtschaftlichen Interessen der Apothekeninhaber wäre Herr Becker besser beraten, sich mit ähnlicher Kraft lieber an der Honorardiskussion zu beteiligen.“ In Berlin „machen hingegen bereits Gerüchte die Runde“, der DAV gutiere den Gesetzesentwurf, wonach Rabatte und Skonti im Einkauf auf die variablen 3,15 Prozent des Großhandels gedeckelt werden sollen.
Rückendeckung erhält Becker indes aus dem Kassen-Lager: Christopher Hermann, Vorstandschef der AOK Baden-Württemberg, pflichtet ihm bei, dass die Importquote außer Aufwand nichts bringe. „Die Quote ist ein bürokratisches Monster und trägt zur dringend notwendigen Transparenz im Markt Nullkommanix bei“, so Hermann, der im selben Atemzug die Rabattverträge verteidigt.
„2017 hat die AOK Baden-Württemberg durch Reimporte ganze 7 Millionen Euro weniger für Arzneimittel ausgegeben, was aber mit jeder Menge überbordender Bürokratie verbunden war“, erklärt er. „Im selben Jahr führten die Arzneimittelrabattverträge zu Entlastungen von 230 Millionen Euro.“ Und so findet auch Hermann markige Worte zur Importquote: Sein Fazit: „Vermeintliche Steuerungsinstrumente aus der planungswirtschaftlichen Steinzeit gehören nicht ins 21. Jahrhundert, sondern abgeschafft.“
Auch Hermann erhält dafür eine deftige Retourkutsche von den Importeuren. Am Tag nach seinem Statement folgt die Erwiderung: Es überrasche nicht, dass Hermann „die Gunst der Stunde zu erkennen glaubt“, um „seinen persönlichen Feldzug gegen Importarzneimittel weiter zu führen“. Auch seine Zahlen seien bezüglich der Einsparungen „nicht nachprüfbar“.
Der baden-württembergische AOK-Chef sei vielmehr „wesentlich verantwortlich für Lieferengpässe im generischen Markt in Deutschland, da er mit rücksichtslosen Preisverhandlungen Bedarfsplanung und Produktion in Deutschland fast unmöglich gemacht hat“. Letztlich werde er so durch „Oligopolisierung des generischen Marktes“ vermeintliche Einsparungen aufs Spiel setzen und zu nachhaltig höheren Preisen beitragen.
Seine Kritik an „vermeintlichen Steuerungselementen“ hält man beim VAD offenbar ebenso für unaufrichtig. Wenn er ein grundsätzliches Problem mit staatlichen Eingriffen habe, müsste er eher die Abschaffung des Herstellerabschlages oder des Apothekenabschlag fordern – die ebenfalls zu Einsparungen bei den Kassen führen.
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