Kommentar

Die erste große Enttäuschung Alexander Müller, 16.03.2022 08:34 Uhr

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ist auf dem Weg, bei den Apotheken so beliebt zu werden wie sein Amtsvorgänger Jens Spahn (CDU). Grafik: APOTHEKE ADHOC
Berlin - 

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat vor, was schon viele Gesundheitsminister:innen im ersten Viertel ihrer Amtszeit getan haben: Er setzt den Rotstift an und überzieht die Branche mit einem schmerzhaften Spargesetz. Dass und vor allem wie er bei den Apotheken sparen will, ist die erste große Enttäuschung seiner noch kurzen Zeit als Minister, kommentiert Alexander Müller.

Lauterbachs Entwurf für sein Gesetz zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzstabilisierungsgesetz, GKV-FinStG) sieht unter anderen Maßnahmen vor, den Kassenabschlag der Apotheken von 1,77 auf 2 Euro zu erhöhen. Das würden den Krankenkassen rund 170 Millionen Euro sparen. Und jede Apotheke würde es im Durchschnitt mehr als 9000 Euro kosten.

Fest steht: Der Bund hat in der Coronakrise nie dagewesene Ausgaben getätigt, auch im Gesundheitsbereich. Der Großteil wurde direkt aus Steuergeldern finanziert, trotzdem klagen die Krankenkassen über ein gewaltiges Finanzloch. Dass für diese Ausgabenpolitik im wahrsten Sinne irgendwann die Quittung kommt, war leider zu erwarten. Und irgendwo muss das Geld ja herkommen.

Bei den Apotheken ist traditionell die leichteste Stellschraube der Kassenabschlag, prominentestes Beispiel ist das AMNOG vor rund zehn Jahren. Eigentlich waren die Apotheker:innen froh, nicht mehr mit den Kassen über den Zwangsrabatt „verhandeln“ zu müssen, aber die Gefahr eines Ein- und Zugriffs des Gesetzgebers stand seit der „Festschreibung“ immer im Raum.

Die Steuerberater der Apotheken warnen, dass die Corona-Sondereffekte nur eine halbwegs warme Decke sind, unter der die alten Wunden weiter schwären. Und das meint die Packungsvergütung, die seit Jahren nicht angehoben wurde. Und die – man kann es nicht anders sagen – unter dem Strich nicht ausreicht, um das Niveau der flächendeckenden Arzneimittelversorgung auf dem gewohnten Niveau aufrecht zu erhalten. Die Zahl der Apotheken sinkt Jahr für Jahr, die wirtschaftliche Situation der Inhaber:innen verschärft die Personalnot in ihren Betrieben und umgekehrt.

Und ausgerechnet in dieser Phase will also Minister Lauterbach den Kassenabschlag erhöhen und damit den Apotheken de facto eine Honorarkürzung aufs Auge drücken. Zu Gunsten der Krankenkassen, die sich in der Pandemie nun wirklich nicht durch übertriebenen Einsatz ausgezeichnet haben. Als Ausgleich für fehlende Milliarden im Staatshaushalt, mit denen sich windige Unternehmerburschen, Betrüger und gierige Politiker:innen die Taschen vollgemacht haben.

Sollte sich das Geundheitsministerium mit seinen Plänen durchsetzen, drohen den Apotheken zwei Jahre der wirtschaftlichen Kälte. Jetzt muss die Branche auf die Vernunft am Kabinettstisch hoffen. Und tatsächlich sind aus dem Kanzleramt schon Gegenstimmen zu vernehmen, immerhin.

Was Lauterbach betrifft, so war der mit einem Sympathiebonus ins Amt gestartet, den sich vor Jahren noch niemand in der Apotheke hätte vorstellen können. Das hatte vor allem zwei Gründe: Der erste ist sein Amtsvorgänger Jens Spahn (CDU), der die Apotheken mit seiner Unzuverlässigkeit, seiner aggressiven Machtpolitik und seinen eigenen Skandalen in eine Haltung von „es kann nur besser werden“ getrieben hat.

Der zweite Grund ist Lauterbachs Auftreten als Stimme der Vernunft in der Pandemie. Vom Boulevard für sein ständiges Mahnen und Warnen gehasst, hat er vielen Apotheker:innen aus der Seele gesprochen. Die Hoffnungen ruhten auf dem Fachmann im Amt.

Und es ging wirklich gut los: Lauterbach verordnete Spahns febrilem Projekt E-Rezept ein paar Monate Bettruhe und verschaffte der Branche so die Chance auf die nötige Vorbereitung. Als nächstes wollten sich die Apotheker darauf freuen, post-Corona mit Lauterbach die pharmazeutischen Dienstleitungen als Zukunftsprojekt anzugehen. Stattdessen will Lauterbach mehr als den kompletten Betrag, der bislang für die pharmazeutischen Dienstleistungen vorgesehen war, mit einem Federstrich zurücknehmen. Undank ist der Welt Kassenabschlag.

Den Herstellern geht es nicht viel besser. Auch bei ihnen will der Minister massiv sparen. Und hier ist es nicht weniger paradox als im Verhältnis Corona-Apotheke-Kassenabschlag. Denn die Hersteller soll mit höheren Zwangsrabatten belegt werden, während Lauterbach noch in der vergangenen Woche angekündigt hatte, die Produktion wieder nach Europa zurückholen zu wollen.