Interview KBV-Sprecher Dr.Roland Stahl

„Die eigene Klientel nicht ins Nirwana schicken“ Benjamin Rohrer, 21.09.2012 09:35 Uhr

Berlin - 

Die Forderungen der Ärzte und Apotheker ähneln sich derzeit: Nachdem ihre Gehälter zwei Jahre gesetzlich eingefroren wurden, fordern die Mediziner nun einen Inflationsausgleich, die Dynamisierung ihres Honorars und Geld für ihre Kostensteigerungen. Weil die Krankenkassen diesen Forderungen nicht entgegen kommen wollten, wurde zu Protesten aufgerufen: Gemeinsam mit 30 freien ärztlichen Verbänden kündigte die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) „Nadelstiche“ gegen die Kassen an. Im Interview mit APOTHEKE ADHOC erklärt KBV-Sprecher Dr. Roland Stahl die Dramaturgie der Ärzte-Proteste, Protestaktionen als Teambuilding-Maßnahme und Eskalationsstufen.

 

ADHOC: Gemeinsam mit den freien Verbänden hat die KBV Praxisschließungen angekündigt. Wird es dazu kommen?

STAHL: Das hängt vom Ausgang der Verhandlungen ab. Praxisschließungen sind immer die letzte Eskalationsstufe, weil bei solchen Protesten auch extremer medialer Gegenwind droht. Solche extremen Proteste könnten ja auch eskalieren: Je stärker die Protestaufrufe, desto unkontrollierbarer wird es, was die einzelnen Mitglieder tun. Das Klima kann schnell kippen.

ADHOC: Wer hatte denn die Idee für die „Nadelstiche“?

STAHL: Die Aktionen wurden von uns gemeinsam mit den Vorständen der KVen und der freien Verbänden erarbeitet. Die KVen haben dann die Praxen in ihren Regionen darüber informiert.

ADHOC: Haben Sie die einzelnen Aktionen zentral vorgegeben oder konnten die Ärzte in den Regionen auch selbst Maßnahmen umsetzen?

STAHL: Die KVen konnten die Ideen auch nach eigenem Gusto umsetzen. Um die einzelnen Aktionen in den Regionen besser abzustimmen, haben wir aber eine Website zur Verfügung gestellt, auf der alle Maßnahmen gesammelt werden.

 

 

ADHOC: Was muss während einer Protestphase um jeden Preis vermieden werden?

STAHL: Man darf nicht überziehen und die Patienten in Geiselhaft nehmen. Das bringt einem keine Sympathien ein. Man darf auch nicht planlos agieren, beispielsweise etwas ankündigen und dann nicht durchführen. Es ist auch wichtig, die eigene Klientel nicht ins Nirwana zu schicken. Es darf auch keine reine Funktionärsdiskussion entstehen.

ADHOC: Die Ärzteschaft ist nicht für ihre Geschlossenheit bekannt. Wie war die Beteiligung der Basis an den Protestaktionen?

STAHL: Die Proteste waren fürs Teambuilding nicht schlecht. Mit den freien Verbänden haben wir vorher nie so eng zusammen gearbeitet. Die Arbeit für die gemeinsame Sache war etwas Neues und hat zusammengeschweißt.

ADHOC: Hätten Sie die gleichen Aktionen gegenüber der Politik durchgeführt?

STAHL: In der Politik geht es viel um Vertrauen, man muss miteinander reden können. Es wäre daher falsch, in Protesten gegen politische Entscheidungen gleich den Hammer auszupacken. Drohungen gegenüber der Politik sind immer gefährlich. Die Politik vergisst so etwas nicht. Um Politikern mit Konsequenzen zu drohen, ist es wichtig, dass mir die Bürger glauben. Sonst sehen die Politiker nämlich keinen Handlungsbedarf.

ADHOC: Dazu braucht man die Medien...

STAHL: Richtig. Und in einer Mediendemokratie braucht man Gesichter. Sinnvoll ist die Inszenierung von zwei bis drei Personen auf Bundesebene. Ein Beispiel: Wenn die ärztliche Delegation nach den geplatzten Verhandlungen geschlossen den Raum verlässt und vor die Kameras tritt, ist das beispielsweise eine gelungene Inszenierung.

 

 

ADHOC: Verstehen die Vorstände der Ärzteschaft das moderne Medienspiel?

STAHL: Der Vorstand muss das als Teil seines Jobs verstehen. Ein Medientraining insbesondere für die öffentlichen und veröffentlichten Gesichter einer Institution sind absolut sinnvoll, ja notwendig.

ADHOC: Was halten Sie von Plakaten und Flyern?

STAHL: Plakate sind gut für die einheitliche Erscheinung. Sie sind auch vom Budget her machbar. Allerdings müssen dann alle an einem Strang ziehen und mitmachen, so dass das Motiv flächendeckend zu sehen ist. Flyer eignen sich besonders gut, um Patienten zu informieren.