Die Übernahme des Telemedizin-Anbieters Teleclinic durch Zur Rose hat die Apotheker kalt erwischt. Mehr denn je besteht die Sorge, dass online ausgestellte E-Rezepte künftig direkt an DocMorris weitergereicht werden. Die Abda fordert ein Einschreiten der Politik, ein Verband prüft zudem rechtliche Schritte. Doch gerade dieser Fall zeigt, wie schwer sich die Apotheker mit dem neuen Gegner der Verschreibungsplattform tun.
Zur Rose hat Teleclinic für mehr als 40 Millionen Euro gekauft. Es ist eine Wette, denn bislang sind die Umsätze überschaubar. Der DocMorris-Mutterkonzern wird aber wissen, warum er diese Summe investiert hat. Landesapothekerkammer und Landesärztekammer Brandenburg appellieren gemeinsam an die Politik und an die Aufsichtsbehörden, auf die rote Linie zwischen Ärzten und Apothekern zu achten. „Die freie Apothekenwahl muss gewährleistet bleiben“, erklärte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) Ende Juli auf Anfrage. Zuvor hatte bereits CDU-Gesundheitspolitiker Michael Hennrich gewarnt: „Das müssen wir uns genauer ansehen.“
Apothekerin Theresia Neumann war entsetzt, als sie von dem Teleclinic-Deal erfuhr. Neumann heißt eigentlich anders, hätte zwar selbst keine Probleme, mit ihrem Klarnamen aufzutreten, will aber ihre Landesapothekerkammer vor Anfeindungen schützen. Der lange Brief an ihre Kammer und ihren Verband dreht sich um die Frage: „Inwiefern sehen Sie Handlungsbedarf, die Patienten im Sinne von Verbraucherschutz und unter Anwendung geltender Gesetze vor solchen Geschäftemachern zu bewahren, indem man das Betreiben solcher Portale gerichtlich untersagen lässt?“
Neumann sieht die Grundfesten des Systems attackiert: „Seit Hunderten von Jahren existiert mit gutem Grund eine Trennung zwischen Arzt und Apotheke, geschichtlich verankert im Edikt von Salerno, und bis vor einigen Monaten auch allgemein anerkannter Standard“, schreibt die Apothekerin. Diese Grundregel werde nun nicht mehr nur „missachtet“, sondern „aktiv ausgehöhlt“ von Internet-Versendern wie Teleclinic.
TeleClinic-CEO Katharina Jünger erklärte gegenüber APOTHEKE ADHOC, dass es in der kommenden Woche eine neue digitale Lösung geben soll, mit der Kunden eine Apotheke vor Ort auswählen könnten. Man sei nur durch die abrupte Beendigung der Kooperation seitens apotheken.de in die Situation geraten, dem Kunden in der App kurzfristig nur die Versandapotheke Mache für die Rezepteinlösung anbieten zu können. „Darauf wird der Kunde auch aktiv hingewiesen“, so Jünger. Nach ihrer Aussage gibt es bis dahin zusätzlich die Möglichkeit des postalischen Versands des Rezepts – aber nur auf Nachfrage des Kunden. Man habe keinerlei Interesse daran, die freie Apothekenwahl bei der Einlösung des Rezepts zu umgehen, versicherte Jünger.
Aber die neue DocMorris-Schwester ist ja bei Weitem nicht der einzige Anbieter. Die Vermischung von Arzt und Apotheker gebe es auch bei Deutsche Medz, am deutlichsten aber auf dem Portal DoctoABC, so Neumann. Das Versprechen hier lautet: „Ihr Arzt und Apotheken Service online.“ Angeboten werden diskrete und qualifizierte Behandlung, Konsultation und Rezept online sowie freie Lieferung am Folgetag.
Solche Modelle verleiten Apothekerin Neumann zufolge zu einer höchst bedenklichen „Selbstbedienungsmentalität“. Kommerzielle Interessen stünden offensichtlich im Vordergrund. Dass hier von der Einnahme von Präparaten abgeraten werde, sei äußerst unwahrscheinlich. In naher Zukunft dürften noch mehr solcher Portale entstehen, befürchtet die Apothekerin.
Ihre Kammer will das Thema bei der nächsten Kammerversammlung besprechen. Der Verband hat – ob auf Veranlassung Neumanns oder aus eigenem Antrieb – bereits bei der Wettbewerbszentrale nachgefragt. Doch die Einschätzung aus Bad Homburg laute, die Sache ließe sich nicht „einfach so“ abmahnen, zitiert der Verbandsjurist. Denn es würde ein Geschäftskonzept angegriffen, und das bei Unternehmen mit Sitz in Großbritannien. Die erste Schwierigkeit sei die Rechtslage. Vermutlich sei in Großbritannien die Fernbehandlung erlaubt. Angeblich stelle dort ein „registrierter Rezeptaussteller“ das Rezept aus. Oftmals sei auch die rechtsichere Zustellung ins Ausland ein Problem, auch müssten Dolmetscher eingebunden werden, schreibt der Verbandsjurist. „Wir haben in diesem Zusammenhang Erfahrungen mit DocMorris gemacht.“
Die LAV sieht keine Chance für einen Alleingang, erforderlich sei die Einbindung aller Verbände auf Bundesebene. Zudem müsse man die Marktrelevanz betrachten, „so dass nicht jede Spam-Email Löcher in den Verbandshaushalt reißt“. Die Sache soll im Vorstand besprochen werden.
Diese Passivität kann Neumann nicht verstehen, sie kenne sie aber aus anderen Fällen. „Wenn man der Kammer mitteilt, dass im Rewe-Supermarkt 96-prozentiges Ethanol in Trinkflaschen erhältlich ist, wird einem bei Vorlage des Kassenbons erläutert, dass man da auch nicht viel machen könne.“ Nicht einmal die Handelskammer werde eingeschaltet. Mit den Telemedizin-Portalen sei es dasselbe: „Wildwest im Internet? Keiner zuständig, kein deutsches Impressum, keine Handlungsmöglichkeit, also auch kein Handlungsbedarf“, empört sich Neumann.
In ihrem Brief an die Kammer kritisiert sie auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Während sich die Bürger mit Pflegenotstand, Kurzarbeit und Abstrichen in ihrer Lebensqualität abfinden müssten, gebärde sich Spahn „wie ein Sonnenkönig“: Der Minister missachte im Aufzug die Abstandsregeln, habe sich auch bei der Maskenbeschaffung nicht mit Ruhm bekleckert, ziehe dafür aber gerade in eine Millionen-Immobilie, empört sich die Apothekerin.
Sie kritisiert, dass Spahn das im Koalitionsvertrag vereinbarte Rx-Versandverbot nicht durchsetze. Die vermeintlichen rechtlichen Bedenken hält sie für vorgeschoben. „Warum protegiert ein deutscher Minister eine nicht-deutsche Institution, die sich auf die Fahnen schreibt, den deutschen Arzneimittelmarkt aufzurollen?“, fragt sich Neumann.
Und während sich deutsche Apotheken schon für eine gratis abgegebene Packung Taschentücher rechtfertigen müssten, könnten die ausländischen Versender seit dem EuGH-Urteil mit hohen Rabatten locken – mit Postfach in Deutschland, aber ohne deutsche Kontrollmechanismen. Die Versender übernähmen keine Notdienste und seien „nur auf die Akquirierung großer Geldströme aus dem deutschen Gesundheitswesen in die Taschen der Aktionäre ausgelegt“, kritisiert die Apothekerin. Aus ihrer Sicht brauchen die Apotheker ein RxVV dringender denn je. Denn das Makeln von Rezepten werde zeitnah Blüten treiben. „Wer könnte kontrollieren, wie viele Lenkungsmechanismen hier den Patienten von seiner Mündigkeit befreien?“
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