Sondierungsgespräche

Dichter Nebel über Jamaika

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Berlin -

Nach der Niedersachsen-Wahl beginnen jetzt endlich in Berlin die Sondierungsgespräche zwischen Union, FDP und Grünen über eine Jamaika-Koalition. Die potenziellen Bündnispartner rechnen mit langwierigen Verhandlungen. Noch immer liegt dichter Nebel über Jamaika. Die Knackpunkte der Verhandlungen befinden sich zunächst jenseits der Gesundheitspolitik. Die FDP will den Solidarzuschlag abschaffen und die Sozialabgaben begrenzen, die Grünen Dieselmotoren verbannen – und es geht natürlich um die Flüchtlingspolitik.

Klar ist bislang nur, dass das Jamaika-Projekt mit ungewissem Ausgang jetzt Fahrt aufnimmt: CSU-Chef Horst Seehofer wird heute nach Berlin fliegen und schon abends die ersten bilateralen Gespräche führen. Mittwoch, Donnerstag und Freitag finden offizielle Sondierungsgespräche in verschiedenen Runden statt – zunächst getrennt zwischen Union mit FDP und Grünen, dann FDP und Grüne allein und am Freitag Jamaika-komplett. Am Samstag wollen CDU und CSU die Ergebnisse in kleiner Runde bewerten und entscheiden, wie es weitergehen soll. „So müssen wir jetzt von Woche zu Woche gehen und auf Sicht fahren“, sagt Seehofer.

Denn nach der CDU-Pleite bei der Landtagswahl in Niedersachsen und dem Rechtsruck in Österreich sind die Dinge nicht leichter geworden. Zwar beteuert Kanzlerin Angela Merkel (CDU), sie gehe „mit guter Stimmung“ und keineswegs geschwächt in die Sondierungsgespräche. Das klingt aber wie das Pfeifen im Wald. Die Bild-Zeitung hat bereits Zweifel an Merkels Führungsqualitäten ausgemacht und dazu Fotos einer zerknirschten CDU-Chefin veröffentlicht. In der CDU grummelt es. So beginnt meistens der schleichende Machtverlust.

Für die Union wird Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) mit am Sondierungstisch sitzen. Als langjähriges Mitglied der noch aus Bonner Zeiten stammenden „Pizza-Connection“ pflegt Gröhe enge Kontakte zu den Grünen. Mit FDP-Chef Christian Lindner ist Gröhe persönlich befreundet. Hin und wieder wird bei den Gröhes in Neuss gemeinsam gegrillt. Dass Gröhe als amtierender Gesundheitsminister in späteren Koalitionsgesprächen die Gesundheitsthemen verhandeln wird, versteht sich von selbst.

Ob er Gesundheitsminister bleibt, ist längst nicht ausgemacht. Die NRW-CDU fordert zwei Ministerposten im neuen Kabinett. Sollte das nicht klappen besteht der neue NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) zumindest auf einer herausgehobenen Position – das könnte der Posten des Arbeits- und Sozialministers sein. Als Spitzenkandidat der NRW-CDU fiele dieses Amt dann Gröhe zu.

Während vor allem die Union noch die Wahlschlappen verdauen muss, ist die FDP schon mal mit Personalien und Inhalten vorgeprescht. Parteichef Lindner will nach über 25 Jahren den Solidaritätszuschlag wieder abschaffen. Eingeführt wurde dieser 1991 im Zuge der Finanzierung der Deutschen Einheit aber auch wegen Mehrbelastungen durch den ersten Golfkrieg. Dazu will Lindner das Finanzministerium der CDU entreißen: „Ein Grüner, ein CSU- oder ein FDP-Finanzminister – alles wäre besser, als das Kanzleramt und das Finanzministerium weiterhin in CDU-Hand zu halten, denn so wird durchregiert. Das hat sich nicht bewährt.“

Des Weiteren will die FDP die Sozialabgaben begrenzen. „Die Sozialabgaben dürfen nicht unendlich weiter steigen. Wir müssen da eine Grenze setzen“, erklärte FDP-Präsidiumsmitglied Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die voraussichtlich die Gesundheitsthemen verhandeln wird. Die Sozialpolitikerin fügte hinzu: „Ein Einwanderungsgesetz würde hier sehr helfen.“ Man müsse aber auch über eine stärkere Steuerfinanzierung sprechen. Dabei seien wegen der Rekordsteuereinnahmen keine zusätzlichen Steuern nötig, sondern nur eine sinnvollere Verteilung.

Strack-Zimmermann deutete an, dass sie sich eine paritätische Finanzierung der Gesundheitskosten von Arbeitgebern und Arbeitnehmern vorstellen kann. „Dass sich die Arbeitgeber an den Kosten für die medizinische Versorgung beteiligen, ist richtig, auch an den wachsenden Kosten.“ Strack-Zimmermann verlangt auch ein neues Denken bei der Rente. „Es ist naiv, 2017 zu sagen, bis 2030 ist alles gut. Die Probleme sind bekannt, da brauchen wir keine Kommission“, sagte sie an die Adresse von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Laut Strack-Zimmermann fordert die FDP eine flexible Rente, eine Art Baukastenprinzip mit einer Grundsicherung: „Ab 60 sollen die Menschen selbst entscheiden, wie lange sie arbeiten. In Berufen mit harter körperlicher Arbeit ist die Belastung eine andere als in Bürojobs. Die Werdegänge der Menschen sind sehr unterschiedlich, dem muss auch die Rente gerecht werden. Im übrigen solle man „auch im Ruhestand etwas hinzuverdienen können, ohne dass es gekappt wird“.

Gröhe sieht die größten Hürden im Gesundheitsbereich bei der Zukunft von gesetzlicher und privater Krankenversicherung. Dort gebe es „in der Tat ganz erhebliche Auffassungsunterschiede“. Das Thema Rx-Versandverbot sprach Gröhe im Interview mit seiner Hauszeitung Rheinische Post erst gar nicht an. Auch hierüber liegt noch dichter Jamaika-Nebel. Fast 50 Politiker werden versuchen, die neue Koalition aus der Taufe zu heben. Die FDP schickt zunächst nur ein Kern-Team zu den Sondierungen: Parteichef Christian Lindner, sein Stellvertreter Wolfgang Kubicki, Generalsekretärin Nicola Beer und Parlamentsgeschäftsführer Marco Buschmann. CDU, CSU und Grüne schicken jeweils 14 Unterhändler.

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