Schmidt: Die Apotheke im Dorf lassen Julia Pradel, 17.09.2014 21:14 Uhr
Bei der Eröffnung des Deutschen Apothekertags (DAT) wurde viel über die Honorierung gesprochen, immerhin haben die Apotheker zahlreiche Forderungen an die Politik. ABDA-Präsident Friedemann Schmidt zeigte hingegen den Nachwuchsmangel als das eigentliche Problem auf und schwor die Delegierten auf das Perspektivpapier 2030 ein, das morgen verabschiedet werden soll.
Zunächst ging es aber doch kurz um die alltäglichen Sorgen der Apotheker: „Jede Unsicherheit bei der Arzneimittelversorgung, sei es durch Lieferausfälle, komplexe Vertragsgestaltung, unklare Substitutionsregelungen oder drohende Retaxationen beschädigt das Vertrauen der Patienten in ihre Arzneimitteltherapie“, merkte Schmidt an. Sie führe zu verminderter Adhärenz und ausbleibendem therapeutischem Erfolg. „Unnötige Bürokratie in der Patientenversorgung spart kein Geld, sondern schafft systeminterne Kosten.“ Die erstklassige Arzneimittelversorgung drohe durch überbordende Komplexität ernsthaft Schaden zu nehmen.
Schmidt forderte die Krankenkassen auf: „Beenden Sie Ihre Politik der kleinlichen Blockade, geben Sie uns mehr Bewegungsfreiheit, lassen Sie und zurückkehren zu einem Zustand gegenseitigen Vertrauens.“
Die Apotheker stehen Schmidt zufolge fest und konsequent zu den zentralen Werten: „Arzneimittelversorgung ist Apothekersache, sie muss frei bleiben von berufsfremden Einflüssen.“ Allerdings: Auch gute Systeme seien keine Selbstläufer. „Ihre Qualität und Effizienz wird regelmäßig hinterfragt, getestet und muss sich immer wieder aufs Neue beweisen und anpassen“, so Schmidt.
Als größte Herausforderung sieht der ABDA-Präsident den Nachwuchsmangel: Es sei schwierig, einen jungen Kollegen davon zu überzeugen, den Apothekenbetrieb zu übernehmen und weiterzuführen. „In den letzten Jahren sind über tausend Kolleginnen und Kollegen an dieser Aufgabe gescheitert“, so Schmidt. Es spreche wenig dafür, dass sich die Situation in Kürze grundlegend ändern werde.
Das hat für Apotheker weitreichende Folgen: „Scheitern an der Aufgabe der Apothekenübergabe heißt dabei ja nicht nur dem Untergang des eigenen Lebenswerkes hilflos zusehen zu müssen, es bedeutet auch Scheitern an der Verantwortung für oft jahrzehntelang tätige Mitarbeiter und häufig genug auch Scheitern des persönlichen Planes für einen wirtschaftlich abgesicherten Lebensabend“, so Schmidt. Und letztlich lasse man auch seine Patienten im Stich.
Diese Situation ist für Schmidt die eigentliche Herausforderung, die nicht nur zum Nachdenken, sondern zum aktiven Handeln Anlass gebe. Der anhaltende Rückgang der Apothekenzahlen ist aus Schmidts Sicht Ausdruck des geschwundenen Vertrauens der jungen Apothekergeneration in eine selbstständige Existenz.
Dieser Rückgang schwächt Schmidt zufolge den Anteil der Apotheker, die ihren Beruf in selbstständiger Stellung ausüben, und gefährde daher langfristig die mit der Freiberuflichkeit einhergehende Sonderstellung. Außerdem besteht die Gefahr von Versorgungsproblemen in bestimmten Regionen. Zwar biete das Apothekenrecht ein hinreichendes Instrumentarium zur Sicherstellung der Arzneimittelversorgung – Zweigapotheken, Notapotheken, Rezeptsammelstellen und Botendienste –, dennoch würden die Wege der Patienten länger.
Natürlich gebe es bereits zahlreiche technische Lösungsversuche. „Allerdings konnte bisher noch keines dieser Modelle zeigen, dass es mehr sein könnte als ein modernistisches Feigenblatt für die dahinterliegende billige Versandhandelslogistik“, kritisierte Schmidt. „Die Apotheke gehört ins Dorf.“ Dort wirke sie vertrauensbildend und strukturstabilisierend. Dies gehe aber nur, wenn junge Apotheker bereit seien, dort ihre Berufstätigkeit aufzunehmen. „Dazu müssen wir sie motivieren und nicht entmutigen“, forderte Schmidt. Dafür sei politisches Handeln gefragt, das über größere Zeiträume blicke.
Besonders die Angst vor „bürokratischer Gängelung“ schreckt Schmidt zufolge von der Selbstständigkeit ab. Vertrauen in die eigenen Stärken lasse sich nur durch einen Ordnungsrahmen wecken, der motiviere.
Auch die Apothekerschaft hat laut Schmidt die Herausforderung angenommen, die Zukunft zu gestalten: „Über mehr als ein Jahr haben wir uns der Aufgabe gewidmet, uns über die Zukunft der öffentlichen Apotheke klar zu werden“, so Schmidt mit Blick auf das Perspektivpapier 2030. Er forderte die Apotheker auf, gemeinsam ein klares Signal in den Berufsstand und in Gesellschaft und Politik auszusenden und das Papier mit einem eindeutigen zustimmenden Votum zu versehen, damit allen klar werde: „Die Apotheker übernehmen Verantwortung.“
In Sachen Perspektivpapier hob Schmidt besonders das Bekenntnis zur Arbeit im heilberuflichen Netzwerk, die Weiterentwicklung der Aus-, Fort- und Weiterbildung und die Evidenzbasierung der Beratung hervor. Bedenken in Sachen Evidenz kann er nicht nachvollziehen: „Wir sind Naturwissenschaftler und keine Künstler und wollen dies auch bleiben“, sagte Schmidt. Daher könne man gar nicht anders als evidenzbasiert beraten. Dabei gehe es nicht um Rechthaberei, sondern um die Aufklärung von Patienten und die Erläuterung bestimmter Therapien.
Nach der Verabschiedung des Perspektivpapiers sollen laut Schmidt „unverzüglich praktische Schritte zur Verwirklichung unserer Ziele“ gemacht werden. In den nächsten Monaten komme es darauf an, dass man nicht bei der Proklamation des Papiers stehen bleibe.
Der Hauptgeschäftsführer der ABDA, Dr. Sebastian Schmitz, betonte in seinem Bericht ebenfalls die Bedeutung des Perspektivpapiers: Man brauche die Debatte über die grundsätzliche Ausrichtung der Verbandsarbeit jetzt und nicht irgendwann, so Schmitz. Er hob außerdem einige Projekte der Apothekerschaft hervor: die Arzneimittelinitiative Sachsen und Thüringen (ARMIN), das Grundsatzpapier der ABDA zum Medikationsmanagement, die Beteiligung der Apothekerschaft an der Telematik und der Entwicklung der elektronischen Gesundheitskarte und die Image-Kampagne, die im Frühjahr gestartet war.
Mit Blick auf die „Schreckensliste des Sachverständigenrates“ betonte Schmitz, dass es weiterhin wichtig sei, die „richtige Blaupause“ für das Gesundheitssystem immer und immer wieder zu präsentieren und die hierfür erforderlichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen einzufordern. Er kritisierte, dass bei den Krankenkassen – und manchmal auf in der Politik – die Suche nach Einsparmöglichkeiten wichtiger zu sein scheine als die Suche nach Versorgungsverbesserungen.
Schmitz wiederholte die Forderungen der Apotheker nach einer Erhöhung der Rezeptur- und Betäubungsmittelzuschläge, eine Erhöhung der Zuführungen zum Nacht- und Notdienstfonds sowie die Anpassung der allgemeinen Vergütung der Apotheken in Form des Fixhonorars. „Das Mindestens, was der Gesetzgeber hier kurzfristig tun muss, ist eine Festlegung der Zeiträume, innerhalb derer die Anpassung des Festzuschlages überprüft wird“, so Schmitz.