Apotheken-TÜV soll Gesetze checken Lothar Klein, 06.10.2016 07:50 Uhr
Der Normenkontrollrat prüft seit Jahren alle Gesetze auf ihre Bürokratietauglichkeit. Jetzt fordert die Apothekerkammer Berlin so etwas wie einen „Apotheken-TÜV“, der alle Gesetze der Bundesregierung auf ihre Apothekenverträglichkeit checken soll: Das Gesundheits- und Wirtschaftsministerium (BMG/BMWi) sollen bei allen Vorhaben prüfen, „ob die dezentrale Versorgungsstruktur der Apotheken in ihrer Integrität gefährdet wird“, so der Antrag. Die Begründung fällt erstaunlich kurz aus: „Dies dient der Versorgungssicherheit.“ Etwas ausführlicher befassen sich der Antrag des ABDA-Vorstandes und weitere Anträge von Kammern und Verbänden mit dem Thema Versorgungssicherheit.
Deutschlands Apotheken stünden angesichts der demografischen Entwicklung und des wachsenden Betreuungsbedarfs der Patienten vor erheblichen Herausforderungen, so die Sorge. Die Apotheker benötigten nicht nur verlässliche Rahmenbedingungen. An der freiberuflichen Versorgungspraxis der Apotheker müsse festgehalten werden.
Der Bedarf an qualifiziertem pharmazeutischem Personal nehme einerseits zu, so die ABDA. Zugleich sinke jedoch die Bereitschaft junger Apotheker zur Niederlassung. Ein wesentlicher Grund dafür liege in der wachsenden Unsicherheit, da die inhabergeführte Apotheke insbesondere von Institutionen der EU immer wieder in Zweifel gezogen werde. Außerdem fehle ein Rechtsanspruch auf turnusmäßige Überprüfung der Vergütung.
Die ABDA fordert von der Politik zum wiederholten Mal ein klares Bekenntnis zum Fortbestand des freiberuflich organisierten Apothekenwesens. Dazu zählten das Fremd- und Mehrbesitzverbot, die „universell gültige Arzneimittelpreisverordnung“ und die Apothekenpflicht für Arzneimittel. Außerdem müsse den Apotheken eine „zentrale Rolle bei der Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) zukommen“.
In einem gemeinsamen Antrag fordern Apothekerkammer und Apothekerverband Westfalen-Lippe das BMG auf, die Krankenkassen zu verpflichten, ihre Versicherten von der Zuzahlung für Rabattarzneimittel freizustellen, wenn zuzahlungsfreie Alternativen zur Verfügung stehen. Die Zuzahlungspflicht sorge in der Apotheke häufig für Ärger: „Der Zwang zur Abnahme eines zuzahlungspflichtigen Arzneimittels trotz bestehender zuzahlungsfreier Alternativen sollte deshalb beseitigt werden“, so der Antrag.
Der Hessische Apothekerverband richtet einen Antrag gegen die Zyto-Verträge der Krankenkassen. „Ausschreibungen seitens der Kostenträger in der ambulanten Arzneimittelversorgung“ seien abzuschaffen, so die Forderung. Ausschreibungen stünden im Widerspruch des Rechts eines jeden Patienten auf freie Wahl seines Apothekers, Arztes oder jedes anderen Leistungserbringers und führten zu einer „Atomisierung“ der Versorgung. Die fördere die Oligopolisierungen und gefährde damit Innovations- und Investitionsbereitschaft der Apotheken.
Die Apothekerkammer Sachsen beklagt in einem Antrag die Ausweitung des Direktvertriebs von Arzneimitteln und fordert das BMG auf, dafür Sorge zu tragen, die Lieferfähigkeit des pharmazeutischen Großhandels und damit die Belieferung der Apotheken möglichst umfassend sicherzustellen. In letzter Zeit sei zu beobachten, dass einzelne Hersteller den Großhandel mit sogenannten „Kontingent-Arzneimitteln“ nur noch eingeschränkt belieferten.
Die Apothekerkammer Berlin schlägt eine Umstellung des Honorars bei der ambulanten Versorgung mit patientenindividuellen Zytostatikazubereitungen vor. „Über die Preise der Ausgangsstoffe verhandeln die Kostenträger direkt mit den Anbietern der Ausgangsstoffe, vergleichbar den Rabattverträgen“, so die Kammer Berlin. Industrielle Strukturen in der Versorgung onkologischer Patienten gefährdeten die flächendeckende Versorgung.
Der Apothekerverband Nordrhein fordert in einem Antrag das Verbot des ausschließlichen Direktvertrieb bei Blutzuckermessgeräten – Stichwort: Freestyle Libre (Abbott). Diese Geräte müssten „zwingend auch über den Weg der öffentlichen Apotheke vertrieben werden“. Bei diesen Geräten handele es sich um beratungsintensive und beratungssensible Produkte, bei denen es immer wieder vorkomme, dass sich die Kunden an Apotheke vor Ort wendeten, um sich zur Anwendung beraten zu lassen. Die Apotheken könnten ihrem gesetzlich festgelegten Versorgungsauftrag aber nicht nachkommen, wenn sie von dem Vertrieb einzelner Produkte ausgeschlossen seien.
Zudem beklagt der Apothekerverband Nordrhein das sinkende Versorgungsniveau mit aufsaugenden Inkontinenzprodukten. Um die Preisspirale nach unten zu stoppen, seien wieder Festpreise erforderlich. Es gebe derzeit immer mehr Krankenkassen, die eine Inkontinenzversorgung zu so niedrigen Pauschalen anböten, dass die Versicherten für eine qualitativ hochwertige Versorgung Aufzahlungen leisten müssten. „Mit aktuell vorhandenen monatlichen Pauschalen bei der Techniker Krankenkasse mit 15,50 Euro netto, der Knappschaft mit 15 Euro und Barmer GEK 14 Euro netto ist eine ausreichende Versorgung der Versicherten nicht möglich.“
Der Apothekerverband Nordrhein vermutet hinter der Preisdrückerei der Kassen System: „Man könnte derzeit schon meinen, dass manche Krankenkassen gezielt niedrige Konditionen vereinbaren, damit die Versicherten mit Beschwerden im Inkontinenzbereich, die in der Regel teuer für die Krankenkasse sind, sich eine neue Versicherung suchen, bei denen die Pauschalen noch hoch sind und keine eigenen Aufzahlungen geleistet werden müssen.“