Wie viel ist die Arbeit von Apothekerinnen und Apothekern wert? Diese Frage bildet den eigentlichen Kern der aktuellen Honorardebatte. Oliver Hildebrandt, Inhaber der Apotheke im Ärztehaus in Limbach-Oberfrohna, wollte es von den Gesundheitsexpertinnen und -experten der Grünen genauer wissen und fragte nach. Was folgte, war ein wilder Schlagabtausch mit einer Mitarbeiterin aus dem Büro von Paula Piechotta.
Wer als Interessenvertreter zu den Grünen durchdringen will, hat derzeit keinen leichten Stand. Gesundheitssprecher Janosch Dahmen hat so viel um die Ohren, dass er die Verantwortung für den Bereich Arzneimittel/Apotheke samt und sonders an Piechotta abgetreten hat. Die Radiologin aus Leipzig aber trägt ihr Desinteresse an den Belangen der Gesundheitsberufe offen zur Schau: Reflexartig und ohne mit der Wimper zu zucken wird auf die leeren Kassen verwiesen. Piechotta ist im Haushaltsausschuss, aber im Gesundheitsausschuss nur stellvertretendes Mitglied.
Hildebrandt musste genau diese Erfahrung machen. Mitte Juni schrieb er alle Abgeordneten der Grünen an, die im Gesundheitsausschuss sind. Er wollte wissen, warum die Partei offensichtlich eine so schlechte Meinung zu den Apotheken habe, wo diese doch trotz der täglichen Widrigkeiten die Versorgung sicherten. Ausführlich legte er anhand seiner Kennzahlen dar, warum er mit seinem Betrieb mehr oder weniger über die Runden kommt, obwohl er in den vergangenen zehn Jahren immer wieder investiert hat und auch weiter investieren müsste. Und dass man sich nach 20 Jahren die Vergütung nicht mehr schön rechnen könne, während die Krankenkassen das Geld doch für Vorstandsgehälter und Werbung regelrecht zum Fenster hinauswürfen.
Eine Antwort kam – nicht. Also hakte Hildebrandt nach zwei Wochen nach und sprach bei der Gelegenheit auch gleich noch den „Unsinn mit den Gesundheitskiosken“ an. Und ein paar Tage später kam tatsächlich eine Antwort, nicht von den angeschriebenen Abgeordneten, sondern von einer studentischen Mitarbeiterin aus dem Büro Piechotta.
Die erklärte die Zuständigkeit und rechtfertigte die Verspätung mit der Tatsache, dass in der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause viel zu tun sei. Ausführlich ging sie auf die Erleichterungen ein, die das Engpass-Gesetz (ALBVVG) für die Apotheken bringe – Retax, Präquali, Abgabeerleichterungen. Und die Kioske seien als zusätzliches Angebot gedacht, bei dem auch die Apotheken sich einbringen könnten.
Was die Engpass-Prämie angeht: Mehr als 50 Cent seien nicht drin gewesen: „Die Forderungen der Apotheken nach weiteren Erhöhungen der Apothekenvergütung hätte insbesondere in der von den Apothekenverbänden vorgebrachten Höhe Milliarden-Mehrkosten für die Gesetzlichen Krankenkassen bedeutet und damit zusätzliche Beitragssteigerungen für die Gesetzlichen Krankenkassen.“ Dies wäre „nicht vertretbar“ gewesen. Ohnehin seien die durchschnittlichen Einnahmen der Apotheken in den vergangenen Jahren „deutlich gestiegen, nicht nur aufgrund der Corona-Mehreinnahmen wie durch die digitalen Impfzertifikate, sondern auch wegen der insgesamt gestiegenen Arzneimittelausgaben, an denen die Apotheken prozentual beteiligt werden“. Und:
„Der durchschnittliche selbstständige Apotheker verdient deutlich mehr als 10.000 Euro im Monat.“
Das wollte Hildebrandt nicht im Raum stehen lassen: Selbst wenn man den Betrag, auf den viele Apotheken gar nicht kämen, zugrunde lege, sei dies gerade „nicht das Gehalt des Apothekers, sondern der Gewinn der Apotheke vor Steuern!!“ Ziehe man den Spitzensteuersatz von 42 Prozent ab, blieben 5800 Euro, davon müssten Kranken- und Pflegeversicherung sowie Rentenversicherung bezahlt werden. Laut Hildebrandt bleiben der Inhaberin oder dem Inhaber 3590 Euro, um damit seine Familie zu versorgen.
Als betriebswirtschaftlich denkender Inhaber wisse er aber, dass er vom Gewinn auch Investitionsrückstellungen bilden müsse. „Wir sind gerade auf dem Weg die Digitalisierung im Gesundheitswesen richtig in Schwung zu bringen, dafür sind Investitionen nötig! Und die wollen wir auch tätigen, aber wovon??“
Alleine in seiner Apotheke müsse alle fünf Jahre die bestehende Hardware mit drei Kassen, einem Server und vier Backofficearbeitsplätzen erneuert werden. „Dafür muss ich Kosten von rund 35.000 Euro einplanen.“ Verteilt auf fünf Jahre blieben 583 Euro pro Monat, die er nur dafür zurückstellen müsse. „Bleiben bei unserer Rechnung also noch knapp 3000 Euro pro Monat übrig, ohne dass weitere Investitionen eingeplant sind.“
Dann wird der Apotheker direkt: „Ganz ehrlich würden Sie für 3000 Euro netto eine Firma leiten, die Verantwortung für elf Mitarbeiter übernehmen und dann obendrein mit dem gesamten Privatvermögen für alles haften?“ 10.000 Euro sähen vielleicht viel aus. „Aber gerade als Politiker sollte man sich mit Zahlen auskennen und diese auch richtig deuten und es ist geradezu populistisch diese Zahlen falsch zu interpretieren!“
Wieder keine Antwort, wieder hakte Hildebrandt nach. Statt endlich dringend benötigtes Geld für die Grundversorgung bereitzustellen, sollten neben den Kiosken nun auch die Kassen im Bereich AMTS einsteigen, kritisiert der Apotheker in seinem Schreiben vom 31. August. Die Kassen, die nicht nur viel Geld für Verwaltung und Werbung ausgeben, sondern auch mehr für Fahrtkosten als für die Arzneimittelversorgung und ungefähr so viel wie für die häusliche Pflege: „Es kann und darf nicht sein, dass Kinder nicht mit Antibiotika versorgt werden können, weil kein Geld da ist und andere Patienten mit dem Taxi zur Massage (überspitzt!) gefahren werden anstatt den ÖPNV zu bezahlen! Das soll keine Neiddebatte sein – aber wenn gespart werden soll dann doch bitte dort wo es noch Potenzial gibt!“
In der vergangenen Woche nun kam die Antwort – früher sei es nicht möglich gewesen wegen der parlamentarischen Sommerpause mit Terminen im Wahlkreis, Urlaub sowie Nach- und Vorbereitungen für die Sitzungswochen. „Die Einblicke in Ihren Arbeitsalltag als Apotheker durch die Aufstellung einer groben monatlichen Rechnung mit Ein- und Ausgaben sind äußerst aufschlussreich und wurden mit großem Interesse zur Kenntnis genommen“, so die Piechotta-Mitarbeiterin.
Was die GKV-Finanzen angehe, würden „im Rahmen der aktuellen multisektoralen Entbürokratisierungsoffensive potenzielle Einsparpotenziale identifiziert und Strukturen gestrafft, um diesen effizienter zu gestalten“, so die Zusage. Bei den Lieferengpässen setze man sich für eine Verzahnung mit der Legislatur auf EU-Ebene ein. Und über die AMTS-Anrufe werde man in den Beratungen zum Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) noch sprechen. „Leider können wir den parlamentarischen Verhandlungen an dieser Stelle nicht vorgreifen und Ihnen diesbezüglich noch keine weiteren Auskünfte geben.“
Hildebrandt hat am Wochenende schon seine fünfte Mail geschickt.
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