Ehemaliger GKV-Lobbyist im BMG

Der Vater der Light-Filiale

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Berlin -

Wenn man nach Belegen dafür sucht, dass die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geplanten Light-Filialen kein Zugeständnis, sondern ein Angriff auf die Apotheken sind, dann lohnt ein Blick in die Entstehungsgeschichte. Denn die Idee, Apotheken ohne Approbierte zuzulassen, kommt aus dem Lager der Kassen – hat ihr „Erfinder“ sie womöglich selbst ins Bundesgesundheitsministerium (BMG) mitgebracht?

Lauterbach hält am Konzept der Light-Filialen fest; er will das Ganze als „Flexibilisierung“ verstanden wissen, die angeblich den Apotheken zugutekommt. Bei einer Diskussionsrunde im hessischen Gudensberg verriet BMG-Abteilungsleiter Thomas Müller unlängst, was es wirklich damit auf sich hat: Es fänden sich kaum neue Apothekerinnen und Apotheker in öffentlichen Apotheken – das liege an der Gehaltsstruktur und an fehlenden Weiterentwicklungsmöglichkeiten. Zwar seien PTA ebenfalls Mangelware, aber hier sei die Ausbildung leichter skalierbar als beim Pharmaziestudium.

Tatsächlich stammt die Idee aber gar nicht aus dem BMG, sondern aus dem Lager der Kassen, wie Abda-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening in der vergangenen Woche scharf kritisierte: „Das Vorgehen ist nicht am Wohle der Menschen und am Versorgungsalltag orientiert, sondern an den Ideen der GKV.“ Es gehe um Leistungskürzungspläne, die schon seit zehn Jahren in den Köpfen der Krankenkassenlobby herumschwebten.

Worauf sie anspielte, war ein Positionspapier, das der GKV-Spitzenverband bereits 2014 vorgelegt hatte und in dem von „Teleassistenz“ die Rede war. In dem Dokument mit dem Titel „10 Handlungsfelder für Qualität und Finanzierbarkeit der Arzneimittelversorgung“ wurden verschiedene Vorschläge gemacht; in Kapitel 9 wurden Ideen skizziert, um den Apothekenmarkt zukunftsfähig zu gestalten.

Fremdbesitz zulassen, Versandhandel stärken

Hier wurden so ziemlich alle Ideen herausgekramt, mit denen man Apothekerinnen und Apotheker zur Weißglut bringen kann: „Eine Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitzverbotes ist weiterhin dringend geboten“, hieß es etwa. Neue Vertriebswege und flexiblere Angebotsstrukturen müssten ebenso etabliert werden wie wettbewerbliche Anreize für eine intensivere Beratung. „Der Versandhandel ist zu stärken, soweit für alle Vertriebswege die Sicherheit der Versorgung gewährleistet ist und dieser zur Wirtschaftlichkeit der Versorgung beiträgt. Auch der selektivvertragliche Wettbewerb bietet zum Beispiel durch Vertragsapotheken die Möglichkeit zur Verbesserung der Versorgung.“

Was dabei kaum Beachtung fand, war die Blaupause für das, was heute als Light-Filiale konkret zu werden droht: „Weiterentwicklungspotenzial besteht beim derzeitigen System mit Haupt- und Filialapotheken. Nach geltender Regelung sind Filialapotheken mit nahezu gleicher Ausstattung und Organisation wie Hauptapotheken zu betreiben. Dies geht mit hohen Fixkosten einher, die aufgrund unnötigerweise mehrfach vorhandener Strukturen nicht optimal ausgelastet werden“, hieß es in dem Positionspapier.

„Pharmazeutische Sprechstunde“

So sei unter der derzeitigen Regelung in Regionen mit geringer Patientenzahl auch der Betrieb von Filialen wirtschaftlich nicht attraktiv. „Vor diesem Hintergrund ist eine Weiterentwicklung apothekerlicher Versorgungsformen in schwach besiedelten Regionen notwendig. Was sich in der ärztlichen Versorgung als Telemedizin etabliert, könnte in der Filialapotheke durch pharmazeutisches Fachpersonal mit Teleassistenz zum approbierten Apotheker in der Hauptapotheke mindestens ebenso präsent geleistet werden. Damit könnte sowohl die beratungsbedürftige Arzneimittelabgabe als auch eine feste ‚pharmazeutische Sprechstunde‘ realisiert werden. Unter Zuhilfenahme von neuen technischen Möglichkeiten bleibt so die Arzneimittelversorgungssicherheit durch eine Beratung des Patienten gewährleistet.“

Damals GKV, heute BMG

Verantwortlich für das Papier zeichneten Dr. Antje Haas als Leiterin der Abteilung Arznei- und Heilmittel sowie Michael Weller als damaliger Leiter des Stabsbereichs Politik. Weller ist seit 1980 für die Kassen tätig, wobei er 1992 vorübergehend ins BMG abgeordnet wurde und von 1995 bis 1999 als Grundsatzreferent für Gesundheitspolitik in der SPD-Bundestagsfraktion tätig war. Bis 2007 war er dann Geschäftsführer Politik beim AOK-Bundesverband, bevor er diese Aufgabe nach Gründung des GKV-Spitzenverbands für die Dachorganisation aller Kassen übernahm.

Im Mai 2022 holte Lauterbach ihn schließlich ins BMG, wo er seitdem die Abteilung 2 „Gesundheitsversorgung, Krankenversicherung“ leitet. Damit muss jede Reform über seinen Tisch, denn sobald die Krankenkassen von einem Vorhaben betroffen sind, muss die Abteilung eingebunden werden.

Hat der frühere GKV-Lobbyist die Idee der Teleassistenz also mitgebracht? Ist er tatsächlich der „Vater der Light-Filiale“? Weller sagt, er habe mit dem aktuellen Vorschlag nichts zu tun. Und auch Beobachter glauben nicht, dass so ein im Vergleich zu anderen Vorhaben nebensächliches Thema überhaupt auf seiner Agenda steht.

Lockerung statt Honorar

Selbst das Positionspapier aus dem Jahr 2014 habe er als Verantwortlicher für den Politikbereich zwar gezeichnet, ohne dass er aber bei der Erstellung involviert gewesen sei, sagt einer, der damals tatsächlich dabei gewesen ist. Vielmehr habe man in der zuständigen Fachabteilung nach Ideen gesucht, um den Apothekenmarkt weiterzuentwickeln: „Da es schon damals Konsens war, dass die Apotheken kein höheres Honorar erhalten sollten, wurden Vorschläge erarbeitet, um im laufenden Betrieb für Einsparmöglichkeiten zu suchen.“

Beteiligt war demnach ein halbes Dutzend Mitarbeiter in der Abteilung, darunter auch Apothekerinnen beziehungsweise Apotheker. Im Grunde genommen habe man damals nur eine laufende Diskussion aufgegriffen: Seinerzeit sei über Erleichterungen für Apotheken in der Parenteraliaversorgung gesprochen wurden, diese Idee habe man weiter gedacht – und auf die Ausstattung von Filialen übertragen.

Seiner Vermutung nach wurden im BMG jetzt einfach die Ideen aus dem Positionspapier aufgegriffen – ohne dass Weller sich persönlich dafür eingesetzt haben dürfte. Denn einmal zu Papier gebracht, entwickelten Ideen in der Gesundheitspolitik irgendwann ein Eigenleben. So seien Ansätze aus dem Dokument sicher auch in der einen oder anderen Stellungnahme der Kassen zu Gesundheitsreformen der vergangenen Jahre enthalten gewesen.

Digitalisierung der Arzneimittelabgabe

Der GKV-Spitzenverband selbst hatte die Idee der Teleassistenz übrigens 2018 noch einmal in einem weiteren Positionspapier untergebracht, das diesmal mit dem Titel „Neuordnung der Apothekenstrukturen und -vergütung“ überschrieben war. Im Punkt „Chancen der Digitalisierung auch bei der Arzneimittelabgabe nutzen“ hieß es: „Durch digitale Kommunikationsmöglichkeiten könnten ebenfalls neue patientenorientierte Versorgungsformen geschaffen werden. Analog zur Telemedizin könnte beispielsweise Telepharmazie in der Filialapotheke durch pharmazeutisches Fachpersonal mit Teleassistenz zum approbierten Apotheker in der Hauptapotheke ebenso präsent wie bei vergleichbaren Modellen in der ärztlichen Versorgung geleistet werden.“

Damit könnten laut Papier sowohl die „beratungsbedürftige Arzneimittelabgabe“ als auch eine feste „pharmazeutische Sprechstunde“ realisiert werden. „Unter Zuhilfenahme von neuen technischen Möglichkeiten bleibt so die Arzneimittelversorgungssicherheit durch Patientenberatung gewährleistet. So könnten Fixkosten in Apotheken und die Rentabilitätsschwelle für die angebotenen pharmazeutischen Dienstleistungen deutlich gesenkt werden. Damit wäre die Versorgung auch in der Fläche für Apotheken attraktiver.“

Unter diesem Papier tauchten übrigens keine Namen mehr auf. Unterzeichnet wurde vielmehr allgemein durch die „Abteilung Arznei- und Heilmittel“ und den „Stabsbereich Politik“.

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